Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite
Odüßee.
Zwanzigster Gesang.


Aber im Vorsaal lagerte sich der edle Odüßeus.
Ueber die rohe Haut des Stieres breitet' er viele
Wollichte Felle der Schafe vom üppigen Schmause der Freier;
Und Eurünomä deckte den Ruhenden zu mit dem Mantel.
Alda lag Odüßeus, und sann dem Verderben der Freier 5
Wachend nach. Nun gingen die Weiber aus dem Palaste,
Welche schon ehemals mit den Freiern hatten geschaltet,
Und belustigten sich, und lachten unter einander.
Aber dem Könige ward sein Herz im Busen erreget;
Und er bedachte sich hin und her, mit wankendem Vorsaz: 10
Ob er sich plözlich erhübe, die Frechen alle zu tödten;
Oder ihnen noch Einmal zum allerlezten erlaubte,
Mit den Freiern zu schalten. Im Innersten bellte sein Herz ihm:
So wie die mutige Hündin, die zarten Jungen umwandelnd,
Jemand, den sie nicht kennt, anbellt, und zum Kampfe hervorspringt. 15
Also bellte sein Herz, durch die schändlichen Gräuel erbittert.
Aber er schlug an die Brust, und sprach die zürnenden Worte:

Dulde, mein Herz! Du hast noch härtere Kränkung erduldet,
Damals, als der Küklop, das Ungeheuer! die lieben
Tapfern Freunde dir fraß. Du duldest, bis dich ein Anschlag 20

Oduͤßee.
Zwanzigſter Geſang.


Aber im Vorſaal lagerte ſich der edle Oduͤßeus.
Ueber die rohe Haut des Stieres breitet' er viele
Wollichte Felle der Schafe vom uͤppigen Schmauſe der Freier;
Und Euruͤnomaͤ deckte den Ruhenden zu mit dem Mantel.
Alda lag Oduͤßeus, und ſann dem Verderben der Freier 5
Wachend nach. Nun gingen die Weiber aus dem Palaſte,
Welche ſchon ehemals mit den Freiern hatten geſchaltet,
Und beluſtigten ſich, und lachten unter einander.
Aber dem Koͤnige ward ſein Herz im Buſen erreget;
Und er bedachte ſich hin und her, mit wankendem Vorſaz: 10
Ob er ſich ploͤzlich erhuͤbe, die Frechen alle zu toͤdten;
Oder ihnen noch Einmal zum allerlezten erlaubte,
Mit den Freiern zu ſchalten. Im Innerſten bellte ſein Herz ihm:
So wie die mutige Huͤndin, die zarten Jungen umwandelnd,
Jemand, den ſie nicht kennt, anbellt, und zum Kampfe hervorſpringt. 15
Alſo bellte ſein Herz, durch die ſchaͤndlichen Graͤuel erbittert.
Aber er ſchlug an die Bruſt, und ſprach die zuͤrnenden Worte:

Dulde, mein Herz! Du haſt noch haͤrtere Kraͤnkung erduldet,
Damals, als der Kuͤklop, das Ungeheuer! die lieben
Tapfern Freunde dir fraß. Du duldeſt, bis dich ein Anſchlag 20

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0390" n="384"/>
      <div n="1">
        <head><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Odu&#x0364;ßee</hi>.</hi><lb/><hi rendition="#g">Zwanzig&#x017F;ter Ge&#x017F;ang</hi>.</head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p><hi rendition="#in">A</hi>ber im Vor&#x017F;aal lagerte &#x017F;ich der edle Odu&#x0364;ßeus.<lb/><hi rendition="#et">Ueber die rohe Haut des Stieres breitet' er viele</hi><lb/>
Wollichte Felle der Schafe vom u&#x0364;ppigen Schmau&#x017F;e der Freier;<lb/>
Und Euru&#x0364;noma&#x0364; deckte den Ruhenden zu mit dem Mantel.<lb/>
Alda lag Odu&#x0364;ßeus, und &#x017F;ann dem Verderben der Freier <note place="right">5</note><lb/>
Wachend nach. Nun gingen die Weiber aus dem Pala&#x017F;te,<lb/>
Welche &#x017F;chon ehemals mit den Freiern hatten ge&#x017F;chaltet,<lb/>
Und belu&#x017F;tigten &#x017F;ich, und lachten unter einander.<lb/>
Aber dem Ko&#x0364;nige ward &#x017F;ein Herz im Bu&#x017F;en erreget;<lb/>
Und er bedachte &#x017F;ich hin und her, mit wankendem Vor&#x017F;az: <note place="right">10</note><lb/>
Ob er &#x017F;ich plo&#x0364;zlich erhu&#x0364;be, die Frechen alle zu to&#x0364;dten;<lb/>
Oder ihnen noch Einmal zum allerlezten erlaubte,<lb/>
Mit den Freiern zu &#x017F;chalten. Im Inner&#x017F;ten bellte &#x017F;ein Herz ihm:<lb/>
So wie die mutige Hu&#x0364;ndin, die zarten Jungen umwandelnd,<lb/>
Jemand, den &#x017F;ie nicht kennt, anbellt, und zum Kampfe hervor&#x017F;pringt. <note place="right">15</note><lb/>
Al&#x017F;o bellte &#x017F;ein Herz, durch die &#x017F;cha&#x0364;ndlichen Gra&#x0364;uel erbittert.<lb/>
Aber er &#x017F;chlug an die Bru&#x017F;t, und &#x017F;prach die zu&#x0364;rnenden Worte:</p><lb/>
        <p>Dulde, mein Herz! Du ha&#x017F;t noch ha&#x0364;rtere Kra&#x0364;nkung erduldet,<lb/>
Damals, als der Ku&#x0364;klop, das Ungeheuer! die lieben<lb/>
Tapfern Freunde dir fraß. Du dulde&#x017F;t, bis dich ein An&#x017F;chlag <note place="right">20</note><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[384/0390] Oduͤßee. Zwanzigſter Geſang. Aber im Vorſaal lagerte ſich der edle Oduͤßeus. Ueber die rohe Haut des Stieres breitet' er viele Wollichte Felle der Schafe vom uͤppigen Schmauſe der Freier; Und Euruͤnomaͤ deckte den Ruhenden zu mit dem Mantel. Alda lag Oduͤßeus, und ſann dem Verderben der Freier Wachend nach. Nun gingen die Weiber aus dem Palaſte, Welche ſchon ehemals mit den Freiern hatten geſchaltet, Und beluſtigten ſich, und lachten unter einander. Aber dem Koͤnige ward ſein Herz im Buſen erreget; Und er bedachte ſich hin und her, mit wankendem Vorſaz: Ob er ſich ploͤzlich erhuͤbe, die Frechen alle zu toͤdten; Oder ihnen noch Einmal zum allerlezten erlaubte, Mit den Freiern zu ſchalten. Im Innerſten bellte ſein Herz ihm: So wie die mutige Huͤndin, die zarten Jungen umwandelnd, Jemand, den ſie nicht kennt, anbellt, und zum Kampfe hervorſpringt. Alſo bellte ſein Herz, durch die ſchaͤndlichen Graͤuel erbittert. Aber er ſchlug an die Bruſt, und ſprach die zuͤrnenden Worte: 5 10 15 Dulde, mein Herz! Du haſt noch haͤrtere Kraͤnkung erduldet, Damals, als der Kuͤklop, das Ungeheuer! die lieben Tapfern Freunde dir fraß. Du duldeſt, bis dich ein Anſchlag 20

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/390
Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/390>, abgerufen am 24.11.2024.