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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

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Odüßee.
Denn es sind, wie man sagt, zwo Pforten der nichtigen Träume: V. 562.
Eine von Elfenbein, die andre von Horne gebauet.
Welche nun aus der Pforte von Elfenbeine herausgehn,
Diese teuschen den Geist durch lügenhafte Verkündung; 565
Andere, die aus der Pforte von glattem Horne hervorgehn,
Deuten Wirklichkeit an, wenn sie den Menschen erscheinen.
Aber ich zweifle, ob dorther ein vorbedeutendes Traumbild
Zu mir kam. O wie herzlich erwünscht wär' es mir und dem Sohne!
Eins verkünd' ich dir noch, und du nim solches zu Herzen. 570
Morgen erscheinet der Tag, der entsezliche! der von Odüßeus
Hause mich trennen wird: denn morgen gebiet' ich den Wettkampf,
Durch zwölf Aexte zu schießen, die jener in seinem Palaste V. 573.
Pflegte, wie Hölzer des Kiels, in grader Reihe zu stellen; V. 574.
Ferne stand er alsdann, und schnellte den Pfeil durch die Aexte. 575
Diesen Wettkampf will ich den Freiern jezo gebieten.
Weßen Hand von ihnen den Bogen am leichtesten spannet,
Und mit der Senne den Pfeil durch alle zwölf Aexte hindurchschnellt;

V. 562. Die Träume wohnen am Eingang des Schattenreichs. Der Grund
zur Erdichtung dieser Pforten war ein Wortspiel; denn das Wort Elfenbein,
hat im Griechischen Aehnlichkeit mit teuschen; und Horn mit erfüllen. Dazu
kam nun die Eigenschaft der Materie, weil Horn durchsichtig ist, hingegen El-
fenbein zwar durch seine Weiße Licht verheißt, aber durch seine Dunkelheit teuscht.
V. 573. Dies waren Stichäxte, lange Zwergäxte ohne Stiel, womit man
die Löcher aushaut. Vielleicht waren sie bloß zu diesem Spiele bestimmt, und
daher etwas länger als gewöhnlich. Sie wurden mit der Schärfe so in dem
Boden befestigt, daß die offenen Oere in grader Linie stunden.
V. 574. Kielhölzer: die geraden, durch einen langen Balken verbundenen
Pfäle, woran von beiden Seiten die Bretter des Kiels genagelt wurden. Bei
Erbauung eines Schiffes fing man hiermit an.

Oduͤßee.
Denn es ſind, wie man ſagt, zwo Pforten der nichtigen Traͤume: V. 562.
Eine von Elfenbein, die andre von Horne gebauet.
Welche nun aus der Pforte von Elfenbeine herausgehn,
Dieſe teuſchen den Geiſt durch luͤgenhafte Verkuͤndung; 565
Andere, die aus der Pforte von glattem Horne hervorgehn,
Deuten Wirklichkeit an, wenn ſie den Menſchen erſcheinen.
Aber ich zweifle, ob dorther ein vorbedeutendes Traumbild
Zu mir kam. O wie herzlich erwuͤnſcht waͤr' es mir und dem Sohne!
Eins verkuͤnd' ich dir noch, und du nim ſolches zu Herzen. 570
Morgen erſcheinet der Tag, der entſezliche! der von Oduͤßeus
Hauſe mich trennen wird: denn morgen gebiet' ich den Wettkampf,
Durch zwoͤlf Aexte zu ſchießen, die jener in ſeinem Palaſte V. 573.
Pflegte, wie Hoͤlzer des Kiels, in grader Reihe zu ſtellen; V. 574.
Ferne ſtand er alsdann, und ſchnellte den Pfeil durch die Aexte. 575
Dieſen Wettkampf will ich den Freiern jezo gebieten.
Weßen Hand von ihnen den Bogen am leichteſten ſpannet,
Und mit der Senne den Pfeil durch alle zwoͤlf Aexte hindurchſchnellt;

V. 562. Die Traͤume wohnen am Eingang des Schattenreichs. Der Grund
zur Erdichtung dieſer Pforten war ein Wortſpiel; denn das Wort Elfenbein,
hat im Griechiſchen Aehnlichkeit mit teuſchen; und Horn mit erfuͤllen. Dazu
kam nun die Eigenſchaft der Materie, weil Horn durchſichtig iſt, hingegen El-
fenbein zwar durch ſeine Weiße Licht verheißt, aber durch ſeine Dunkelheit teuſcht.
V. 573. Dies waren Stichaͤxte, lange Zwergaͤxte ohne Stiel, womit man
die Loͤcher aushaut. Vielleicht waren ſie bloß zu dieſem Spiele beſtimmt, und
daher etwas laͤnger als gewoͤhnlich. Sie wurden mit der Schaͤrfe ſo in dem
Boden befeſtigt, daß die offenen Oere in grader Linie ſtunden.
V. 574. Kielhoͤlzer: die geraden, durch einen langen Balken verbundenen
Pfaͤle, woran von beiden Seiten die Bretter des Kiels genagelt wurden. Bei
Erbauung eines Schiffes fing man hiermit an.
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[382/0388] Oduͤßee. Denn es ſind, wie man ſagt, zwo Pforten der nichtigen Traͤume: V. 562. Eine von Elfenbein, die andre von Horne gebauet. Welche nun aus der Pforte von Elfenbeine herausgehn, Dieſe teuſchen den Geiſt durch luͤgenhafte Verkuͤndung; Andere, die aus der Pforte von glattem Horne hervorgehn, Deuten Wirklichkeit an, wenn ſie den Menſchen erſcheinen. Aber ich zweifle, ob dorther ein vorbedeutendes Traumbild Zu mir kam. O wie herzlich erwuͤnſcht waͤr' es mir und dem Sohne! Eins verkuͤnd' ich dir noch, und du nim ſolches zu Herzen. Morgen erſcheinet der Tag, der entſezliche! der von Oduͤßeus Hauſe mich trennen wird: denn morgen gebiet' ich den Wettkampf, Durch zwoͤlf Aexte zu ſchießen, die jener in ſeinem Palaſte V. 573. Pflegte, wie Hoͤlzer des Kiels, in grader Reihe zu ſtellen; V. 574. Ferne ſtand er alsdann, und ſchnellte den Pfeil durch die Aexte. Dieſen Wettkampf will ich den Freiern jezo gebieten. Weßen Hand von ihnen den Bogen am leichteſten ſpannet, Und mit der Senne den Pfeil durch alle zwoͤlf Aexte hindurchſchnellt; 565 570 575 V. 562. Die Traͤume wohnen am Eingang des Schattenreichs. Der Grund zur Erdichtung dieſer Pforten war ein Wortſpiel; denn das Wort Elfenbein, hat im Griechiſchen Aehnlichkeit mit teuſchen; und Horn mit erfuͤllen. Dazu kam nun die Eigenſchaft der Materie, weil Horn durchſichtig iſt, hingegen El- fenbein zwar durch ſeine Weiße Licht verheißt, aber durch ſeine Dunkelheit teuſcht. V. 573. Dies waren Stichaͤxte, lange Zwergaͤxte ohne Stiel, womit man die Loͤcher aushaut. Vielleicht waren ſie bloß zu dieſem Spiele beſtimmt, und daher etwas laͤnger als gewoͤhnlich. Sie wurden mit der Schaͤrfe ſo in dem Boden befeſtigt, daß die offenen Oere in grader Linie ſtunden. V. 574. Kielhoͤlzer: die geraden, durch einen langen Balken verbundenen Pfaͤle, woran von beiden Seiten die Bretter des Kiels genagelt wurden. Bei Erbauung eines Schiffes fing man hiermit an.

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Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/388>, abgerufen am 24.11.2024.