Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.Neunzehnter Gesang. Daß er also geschmückt an Tälemachos Seite das FrühmahlHier im Saale genieße. Doch reuen soll es den Freier, Der ihn wieder so frech mishandelt: nicht das geringste Hab' er hier ferner zu schaffen, und zürnt' er noch so gewaltig! Denn wie erkenntest du doch, o Fremdling, ob ich an Klugheit 325 Und verständigem Herzen vor andern Frauen geschmückt sei, Ließ' ich dich ungewaschen und schlechtbekleidet im Hause Speisen? Es sind ja den Menschen nur wenige Tage beschieden. Wer nun grausam denkt, und grausame Handlungen ausübt; Diesem wünschen alle, so lang' er lebet, nur Unglück, 330 Und noch selbst im Tode wird sein Gedächtniß verabscheut. Aber wer edel denkt, und edle Handlungen ausübt; Deßen würdigen Ruhm verbreiten die Fremdlinge weithin Unter die Menschen auf Erden, und jeder segnet den Guten. Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Odüßeus: 335 Neunzehnter Geſang. Daß er alſo geſchmuͤckt an Taͤlemachos Seite das FruͤhmahlHier im Saale genieße. Doch reuen ſoll es den Freier, Der ihn wieder ſo frech mishandelt: nicht das geringſte Hab' er hier ferner zu ſchaffen, und zuͤrnt' er noch ſo gewaltig! Denn wie erkennteſt du doch, o Fremdling, ob ich an Klugheit 325 Und verſtaͤndigem Herzen vor andern Frauen geſchmuͤckt ſei, Ließ' ich dich ungewaſchen und ſchlechtbekleidet im Hauſe Speiſen? Es ſind ja den Menſchen nur wenige Tage beſchieden. Wer nun grauſam denkt, und grauſame Handlungen ausuͤbt; Dieſem wuͤnſchen alle, ſo lang' er lebet, nur Ungluͤck, 330 Und noch ſelbſt im Tode wird ſein Gedaͤchtniß verabſcheut. Aber wer edel denkt, und edle Handlungen ausuͤbt; Deßen wuͤrdigen Ruhm verbreiten die Fremdlinge weithin Unter die Menſchen auf Erden, und jeder ſegnet den Guten. Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Oduͤßeus: 335 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0379" n="373"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Neunzehnter Geſang.</hi></fw><lb/> Daß er alſo geſchmuͤckt an Taͤlemachos Seite das Fruͤhmahl<lb/> Hier im Saale genieße. Doch reuen ſoll es den Freier,<lb/> Der ihn wieder ſo frech mishandelt: nicht das geringſte<lb/> Hab' er hier ferner zu ſchaffen, und zuͤrnt' er noch ſo gewaltig!<lb/> Denn wie erkennteſt du doch, o Fremdling, ob ich an Klugheit <note place="right">325</note><lb/> Und verſtaͤndigem Herzen vor andern Frauen geſchmuͤckt ſei,<lb/> Ließ' ich dich ungewaſchen und ſchlechtbekleidet im Hauſe<lb/> Speiſen? Es ſind ja den Menſchen nur wenige Tage beſchieden.<lb/> Wer nun grauſam denkt, und grauſame Handlungen ausuͤbt;<lb/> Dieſem wuͤnſchen alle, ſo lang' er lebet, nur Ungluͤck, <note place="right">330</note><lb/> Und noch ſelbſt im Tode wird ſein Gedaͤchtniß verabſcheut.<lb/> Aber wer edel denkt, und edle Handlungen ausuͤbt;<lb/> Deßen wuͤrdigen Ruhm verbreiten die Fremdlinge weithin<lb/> Unter die Menſchen auf Erden, und jeder ſegnet den Guten.</p><lb/> <p>Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Oduͤßeus: <note place="right">335</note><lb/> Du ehrwuͤrdiges Weib des Laertiaden Oduͤßeus,<lb/> Ach mir wurden Maͤntel und weiche praͤchtige Polſter<lb/> Ganz verhaßt, ſeitdem ich von Kraͤta's ſchneeichten Bergen<lb/> Ueber die Wogen fuhr im langberuderten Schiffe!<lb/> Laß mich denn dieſe Nacht ſo ruhn, wie ich es gewohnt bin: <note place="right">340</note><lb/> Viele ſchlafloſe Naͤchte hab' ich auf elendem Lager<lb/> Hingebracht, und ſehnlich den ſchoͤnen Morgen erwartet.<lb/> Auch gebeut nicht dieſen, mir meine Fuͤße zu waſchen;<lb/> Denn ich moͤchte nicht gern verſtaten, daß eine der Maͤgde,<lb/> Die im Hauſe dir dienen, mir meine Fuͤße beruͤhre. <note place="right">345</note><lb/> Wo du nicht etwa ſonſt eine alte verſtaͤndige Frau haſt,<lb/> Welche ſo vielen Kummer, als ich, im Leben erduldet:<lb/> Dieſer wehr' ich es nicht, mir meine Fuͤße zu waſchen.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [373/0379]
Neunzehnter Geſang.
Daß er alſo geſchmuͤckt an Taͤlemachos Seite das Fruͤhmahl
Hier im Saale genieße. Doch reuen ſoll es den Freier,
Der ihn wieder ſo frech mishandelt: nicht das geringſte
Hab' er hier ferner zu ſchaffen, und zuͤrnt' er noch ſo gewaltig!
Denn wie erkennteſt du doch, o Fremdling, ob ich an Klugheit
Und verſtaͤndigem Herzen vor andern Frauen geſchmuͤckt ſei,
Ließ' ich dich ungewaſchen und ſchlechtbekleidet im Hauſe
Speiſen? Es ſind ja den Menſchen nur wenige Tage beſchieden.
Wer nun grauſam denkt, und grauſame Handlungen ausuͤbt;
Dieſem wuͤnſchen alle, ſo lang' er lebet, nur Ungluͤck,
Und noch ſelbſt im Tode wird ſein Gedaͤchtniß verabſcheut.
Aber wer edel denkt, und edle Handlungen ausuͤbt;
Deßen wuͤrdigen Ruhm verbreiten die Fremdlinge weithin
Unter die Menſchen auf Erden, und jeder ſegnet den Guten.
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Ihr antwortete drauf der erfindungsreiche Oduͤßeus:
Du ehrwuͤrdiges Weib des Laertiaden Oduͤßeus,
Ach mir wurden Maͤntel und weiche praͤchtige Polſter
Ganz verhaßt, ſeitdem ich von Kraͤta's ſchneeichten Bergen
Ueber die Wogen fuhr im langberuderten Schiffe!
Laß mich denn dieſe Nacht ſo ruhn, wie ich es gewohnt bin:
Viele ſchlafloſe Naͤchte hab' ich auf elendem Lager
Hingebracht, und ſehnlich den ſchoͤnen Morgen erwartet.
Auch gebeut nicht dieſen, mir meine Fuͤße zu waſchen;
Denn ich moͤchte nicht gern verſtaten, daß eine der Maͤgde,
Die im Hauſe dir dienen, mir meine Fuͤße beruͤhre.
Wo du nicht etwa ſonſt eine alte verſtaͤndige Frau haſt,
Welche ſo vielen Kummer, als ich, im Leben erduldet:
Dieſer wehr' ich es nicht, mir meine Fuͤße zu waſchen.
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