Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.Odüßee. Alle werben um mich mit Gewalt, und zehren das Gut auf.Darum kümmern mich Fremdling' und Hülfeflehende wenig, Selbst die Herolde nicht, des Volks geheiligte Diener; 135 Sondern ich härme mich ab um meinen trauten Odüßeus. Jene treiben die Hochzeit, und ich ersinne Verzögrung. Erst gab diesen Gedanken ein Himmlischer mir in die Seele. Trüglich zettelt' ich mir in meiner Kammer ein feines Uebergroßes Geweb', und sprach zu der Freier Versammlung: 140 Jünglinge, die ihr mich liebt, nach dem Tode des edlen Odüßeus! Dringt auf meine Vermählung nicht eher, bis ich den Mantel Fertig gewirkt, (damit nicht umsonst das Garn mir verderbe!) Welcher dem Helden Laertäs zum Leichengewande bestimmt ist, Wann ihn die finstere Stunde mit Todesschlummer umschattet: 145 Daß nicht irgend im Lande mich eine Achaierin tadle, Läg' er uneingekleidet, der einst so vieles beherschte. Also sprach ich mit List, und bewegte die Herzen der Edlen. Und nun webt' ich des Tages an meinem großen Gewande; Aber des Nachts, dann trennt' ich es auf, beim Scheine der Fackeln. 150 Also teuschte ich sie drei Jahr', und betrog die Achaier. Als nun das vierte Jahr im Geleite der Horen herankam, Und mit dem wechselnden Mond viel Tage waren verschwunden; Da verriethen mich Mägde, die Hündinnen sonder Empfindung! Und mich trafen die Freier, und schalten mit drohenden Worten. 155 Also mußt' ich es nun, auch wider Willen, vollenden. Aber ich kann nicht länger die Hochzeit meiden, noch weiß ich Neuen Rath zu erfinden. Denn dringend ermahnen die Eltern Mich zur Heirat; auch sieht es mein Sohn mit großem Verdruß au, Wie man sein Gut verzehrt: denn er ist nun ein Mann, der sein Erbe 160 Oduͤßee. Alle werben um mich mit Gewalt, und zehren das Gut auf.Darum kuͤmmern mich Fremdling' und Huͤlfeflehende wenig, Selbſt die Herolde nicht, des Volks geheiligte Diener; 135 Sondern ich haͤrme mich ab um meinen trauten Oduͤßeus. Jene treiben die Hochzeit, und ich erſinne Verzoͤgrung. Erſt gab dieſen Gedanken ein Himmliſcher mir in die Seele. Truͤglich zettelt' ich mir in meiner Kammer ein feines Uebergroßes Geweb', und ſprach zu der Freier Verſammlung: 140 Juͤnglinge, die ihr mich liebt, nach dem Tode des edlen Oduͤßeus! Dringt auf meine Vermaͤhlung nicht eher, bis ich den Mantel Fertig gewirkt, (damit nicht umſonſt das Garn mir verderbe!) Welcher dem Helden Laertaͤs zum Leichengewande beſtimmt iſt, Wann ihn die finſtere Stunde mit Todesſchlummer umſchattet: 145 Daß nicht irgend im Lande mich eine Achaierin tadle, Laͤg' er uneingekleidet, der einſt ſo vieles beherſchte. Alſo ſprach ich mit Liſt, und bewegte die Herzen der Edlen. Und nun webt' ich des Tages an meinem großen Gewande; Aber des Nachts, dann trennt' ich es auf, beim Scheine der Fackeln. 150 Alſo teuſchte ich ſie drei Jahr', und betrog die Achaier. Als nun das vierte Jahr im Geleite der Horen herankam, Und mit dem wechſelnden Mond viel Tage waren verſchwunden; Da verriethen mich Maͤgde, die Huͤndinnen ſonder Empfindung! Und mich trafen die Freier, und ſchalten mit drohenden Worten. 155 Alſo mußt' ich es nun, auch wider Willen, vollenden. Aber ich kann nicht laͤnger die Hochzeit meiden, noch weiß ich Neuen Rath zu erfinden. Denn dringend ermahnen die Eltern Mich zur Heirat; auch ſieht es mein Sohn mit großem Verdruß au, Wie man ſein Gut verzehrt: denn er iſt nun ein Mann, der ſein Erbe 160 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0372" n="366"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Oduͤßee.</hi></fw><lb/> Alle werben um mich mit Gewalt, und zehren das Gut auf.<lb/> Darum kuͤmmern mich Fremdling' und Huͤlfeflehende wenig,<lb/> Selbſt die Herolde nicht, des Volks geheiligte Diener; <note place="right">135</note><lb/> Sondern ich haͤrme mich ab um meinen trauten Oduͤßeus.<lb/> Jene treiben die Hochzeit, und ich erſinne Verzoͤgrung.<lb/> Erſt gab dieſen Gedanken ein Himmliſcher mir in die Seele.<lb/> Truͤglich zettelt' ich mir in meiner Kammer ein feines<lb/> Uebergroßes Geweb', und ſprach zu der Freier Verſammlung: <note place="right">140</note><lb/> Juͤnglinge, die ihr mich liebt, nach dem Tode des edlen Oduͤßeus!<lb/> Dringt auf meine Vermaͤhlung nicht eher, bis ich den Mantel<lb/> Fertig gewirkt, (damit nicht umſonſt das Garn mir verderbe!)<lb/> Welcher dem Helden Laertaͤs zum Leichengewande beſtimmt iſt,<lb/> Wann ihn die finſtere Stunde mit Todesſchlummer umſchattet: <note place="right">145</note><lb/> Daß nicht irgend im Lande mich eine Achaierin tadle,<lb/> Laͤg' er uneingekleidet, der einſt ſo vieles beherſchte.<lb/> Alſo ſprach ich mit Liſt, und bewegte die Herzen der Edlen.<lb/> Und nun webt' ich des Tages an meinem großen Gewande;<lb/> Aber des Nachts, dann trennt' ich es auf, beim Scheine der Fackeln. <note place="right">150</note><lb/> Alſo teuſchte ich ſie drei Jahr', und betrog die Achaier.<lb/> Als nun das vierte Jahr im Geleite der Horen herankam,<lb/> Und mit dem wechſelnden Mond viel Tage waren verſchwunden;<lb/> Da verriethen mich Maͤgde, die Huͤndinnen ſonder Empfindung!<lb/> Und mich trafen die Freier, und ſchalten mit drohenden Worten. <note place="right">155</note><lb/> Alſo mußt' ich es nun, auch wider Willen, vollenden.<lb/> Aber ich kann nicht laͤnger die Hochzeit meiden, noch weiß ich<lb/> Neuen Rath zu erfinden. Denn dringend ermahnen die Eltern<lb/> Mich zur Heirat; auch ſieht es mein Sohn mit großem Verdruß au,<lb/> Wie man ſein Gut verzehrt: denn er iſt nun ein Mann, der ſein Erbe <note place="right">160</note><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [366/0372]
Oduͤßee.
Alle werben um mich mit Gewalt, und zehren das Gut auf.
Darum kuͤmmern mich Fremdling' und Huͤlfeflehende wenig,
Selbſt die Herolde nicht, des Volks geheiligte Diener;
Sondern ich haͤrme mich ab um meinen trauten Oduͤßeus.
Jene treiben die Hochzeit, und ich erſinne Verzoͤgrung.
Erſt gab dieſen Gedanken ein Himmliſcher mir in die Seele.
Truͤglich zettelt' ich mir in meiner Kammer ein feines
Uebergroßes Geweb', und ſprach zu der Freier Verſammlung:
Juͤnglinge, die ihr mich liebt, nach dem Tode des edlen Oduͤßeus!
Dringt auf meine Vermaͤhlung nicht eher, bis ich den Mantel
Fertig gewirkt, (damit nicht umſonſt das Garn mir verderbe!)
Welcher dem Helden Laertaͤs zum Leichengewande beſtimmt iſt,
Wann ihn die finſtere Stunde mit Todesſchlummer umſchattet:
Daß nicht irgend im Lande mich eine Achaierin tadle,
Laͤg' er uneingekleidet, der einſt ſo vieles beherſchte.
Alſo ſprach ich mit Liſt, und bewegte die Herzen der Edlen.
Und nun webt' ich des Tages an meinem großen Gewande;
Aber des Nachts, dann trennt' ich es auf, beim Scheine der Fackeln.
Alſo teuſchte ich ſie drei Jahr', und betrog die Achaier.
Als nun das vierte Jahr im Geleite der Horen herankam,
Und mit dem wechſelnden Mond viel Tage waren verſchwunden;
Da verriethen mich Maͤgde, die Huͤndinnen ſonder Empfindung!
Und mich trafen die Freier, und ſchalten mit drohenden Worten.
Alſo mußt' ich es nun, auch wider Willen, vollenden.
Aber ich kann nicht laͤnger die Hochzeit meiden, noch weiß ich
Neuen Rath zu erfinden. Denn dringend ermahnen die Eltern
Mich zur Heirat; auch ſieht es mein Sohn mit großem Verdruß au,
Wie man ſein Gut verzehrt: denn er iſt nun ein Mann, der ſein Erbe
135
140
145
150
155
160
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |