Also sprach er; da lachten sie laut, und sahn nach einander. Aber nun fuhr ihn Melantho, die rosenwangichte Tochter 320 Dolios, an. Es hatte sie Pänelopeia erzogen, Und wie ihr Kind gepflegt, und jeden Wunsch ihr gewähret: Dennoch rührte sie nicht der Kummer Pänelopeiens; Sondern sie buhlte geheim mit Eurümachos, ihrem Geliebten. Diese lästerte schändlich den edlen Dulder Odüßeus: 325
Elender Fremdling, du bist wohl deiner Sinne nicht mächtig: Daß du nicht gehst, die Nacht in der Herberg', oder des Schmiedes Warmer Eße zu ruhn; und hier in der großen Gesellschaft Solcher Männer so dreist, und ohne jemand zu fürchten, Plauderst! Traun dich bethört der Weinrausch, oder du bist auch 330 Immer ein solcher Geck, und schwazest solche Geschwäze! Oder schwindelt dein Hirn, weil du Iros, den Bettler, besiegt hast? Daß sich nur keiner erhebe, der tapferer streitet als Iros! Denn er möchte dein Haupt mit starken Fäusten zerschlagen, Und aus dem Hause dich stoßen, mit triefendem Blute besudelt. 335
Zürnend schaute auf sie und sprach der weise Odüßeus: Wahrlich, das sag' ich Tälemachos an, was du Hündin da plauderst: (Siehst du ihn dort?) damit er dich gleich in Stücke zerhaue!
Also sprach er, und schreckte die bangen Weiber von hinnen; Und sie entflohn aus dem Saal, und eileten durch die Gemächer, 340 Zitternd vor Angst; denn sie meinten, er hab' im Ernste geredet.
Und Odüßeus stand, der leuchtenden Feuergeschirre Flamme nährend, und sahe nach allen. Aber sein Herz war Andrer Gedanken voll, die bald zu Handlungen reiften.
Aber den mutigen Freiern verstatete Pallas Athänä 345 Nicht, des erbitternden Spottes sich ganz zu enthalten, damit noch
Achzehnter Geſang.
Alſo ſprach er; da lachten ſie laut, und ſahn nach einander. Aber nun fuhr ihn Melantho, die roſenwangichte Tochter 320 Dolios, an. Es hatte ſie Paͤnelopeia erzogen, Und wie ihr Kind gepflegt, und jeden Wunſch ihr gewaͤhret: Dennoch ruͤhrte ſie nicht der Kummer Paͤnelopeiens; Sondern ſie buhlte geheim mit Euruͤmachos, ihrem Geliebten. Dieſe laͤſterte ſchaͤndlich den edlen Dulder Oduͤßeus: 325
Elender Fremdling, du biſt wohl deiner Sinne nicht maͤchtig: Daß du nicht gehſt, die Nacht in der Herberg', oder des Schmiedes Warmer Eße zu ruhn; und hier in der großen Geſellſchaft Solcher Maͤnner ſo dreiſt, und ohne jemand zu fuͤrchten, Plauderſt! Traun dich bethoͤrt der Weinrauſch, oder du biſt auch 330 Immer ein ſolcher Geck, und ſchwazeſt ſolche Geſchwaͤze! Oder ſchwindelt dein Hirn, weil du Iros, den Bettler, beſiegt haſt? Daß ſich nur keiner erhebe, der tapferer ſtreitet als Iros! Denn er moͤchte dein Haupt mit ſtarken Faͤuſten zerſchlagen, Und aus dem Hauſe dich ſtoßen, mit triefendem Blute beſudelt. 335
Zuͤrnend ſchaute auf ſie und ſprach der weiſe Oduͤßeus: Wahrlich, das ſag' ich Taͤlemachos an, was du Huͤndin da plauderſt: (Siehſt du ihn dort?) damit er dich gleich in Stuͤcke zerhaue!
Alſo ſprach er, und ſchreckte die bangen Weiber von hinnen; Und ſie entflohn aus dem Saal, und eileten durch die Gemaͤcher, 340 Zitternd vor Angſt; denn ſie meinten, er hab' im Ernſte geredet.
Und Oduͤßeus ſtand, der leuchtenden Feuergeſchirre Flamme naͤhrend, und ſahe nach allen. Aber ſein Herz war Andrer Gedanken voll, die bald zu Handlungen reiften.
Aber den mutigen Freiern verſtatete Pallas Athaͤnaͤ 345 Nicht, des erbitternden Spottes ſich ganz zu enthalten, damit noch
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0363"n="357"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Achzehnter Geſang.</hi></fw><lb/><p>Alſo ſprach er; da lachten ſie laut, und ſahn nach einander.<lb/>
Aber nun fuhr ihn Melantho, die roſenwangichte Tochter <noteplace="right">320</note><lb/>
Dolios, an. Es hatte ſie Paͤnelopeia erzogen,<lb/>
Und wie ihr Kind gepflegt, und jeden Wunſch ihr gewaͤhret:<lb/>
Dennoch ruͤhrte ſie nicht der Kummer Paͤnelopeiens;<lb/>
Sondern ſie buhlte geheim mit Euruͤmachos, ihrem Geliebten.<lb/>
Dieſe laͤſterte ſchaͤndlich den edlen Dulder Oduͤßeus: <noteplace="right">325</note></p><lb/><p>Elender Fremdling, du biſt wohl deiner Sinne nicht maͤchtig:<lb/>
Daß du nicht gehſt, die Nacht in der Herberg', oder des Schmiedes<lb/>
Warmer Eße zu ruhn; und hier in der großen Geſellſchaft<lb/>
Solcher Maͤnner ſo dreiſt, und ohne jemand zu fuͤrchten,<lb/>
Plauderſt! Traun dich bethoͤrt der Weinrauſch, oder du biſt auch <noteplace="right">330</note><lb/>
Immer ein ſolcher Geck, und ſchwazeſt ſolche Geſchwaͤze!<lb/>
Oder ſchwindelt dein Hirn, weil du Iros, den Bettler, beſiegt haſt?<lb/>
Daß ſich nur keiner erhebe, der tapferer ſtreitet als Iros!<lb/>
Denn er moͤchte dein Haupt mit ſtarken Faͤuſten zerſchlagen,<lb/>
Und aus dem Hauſe dich ſtoßen, mit triefendem Blute beſudelt. <noteplace="right">335</note></p><lb/><p>Zuͤrnend ſchaute auf ſie und ſprach der weiſe Oduͤßeus:<lb/>
Wahrlich, das ſag' ich Taͤlemachos an, was du Huͤndin da plauderſt:<lb/>
(Siehſt du ihn dort?) damit er dich gleich in Stuͤcke zerhaue!</p><lb/><p>Alſo ſprach er, und ſchreckte die bangen Weiber von hinnen;<lb/>
Und ſie entflohn aus dem Saal, und eileten durch die Gemaͤcher, <noteplace="right">340</note><lb/>
Zitternd vor Angſt; denn ſie meinten, er hab' im Ernſte geredet.</p><lb/><p>Und Oduͤßeus ſtand, der leuchtenden Feuergeſchirre<lb/>
Flamme naͤhrend, und ſahe nach allen. Aber ſein Herz war<lb/>
Andrer Gedanken voll, die bald zu Handlungen reiften.</p><lb/><p>Aber den mutigen Freiern verſtatete Pallas Athaͤnaͤ<noteplace="right">345</note><lb/>
Nicht, des erbitternden Spottes ſich ganz zu enthalten, damit noch<lb/></p></div></body></text></TEI>
[357/0363]
Achzehnter Geſang.
Alſo ſprach er; da lachten ſie laut, und ſahn nach einander.
Aber nun fuhr ihn Melantho, die roſenwangichte Tochter
Dolios, an. Es hatte ſie Paͤnelopeia erzogen,
Und wie ihr Kind gepflegt, und jeden Wunſch ihr gewaͤhret:
Dennoch ruͤhrte ſie nicht der Kummer Paͤnelopeiens;
Sondern ſie buhlte geheim mit Euruͤmachos, ihrem Geliebten.
Dieſe laͤſterte ſchaͤndlich den edlen Dulder Oduͤßeus:
320
325
Elender Fremdling, du biſt wohl deiner Sinne nicht maͤchtig:
Daß du nicht gehſt, die Nacht in der Herberg', oder des Schmiedes
Warmer Eße zu ruhn; und hier in der großen Geſellſchaft
Solcher Maͤnner ſo dreiſt, und ohne jemand zu fuͤrchten,
Plauderſt! Traun dich bethoͤrt der Weinrauſch, oder du biſt auch
Immer ein ſolcher Geck, und ſchwazeſt ſolche Geſchwaͤze!
Oder ſchwindelt dein Hirn, weil du Iros, den Bettler, beſiegt haſt?
Daß ſich nur keiner erhebe, der tapferer ſtreitet als Iros!
Denn er moͤchte dein Haupt mit ſtarken Faͤuſten zerſchlagen,
Und aus dem Hauſe dich ſtoßen, mit triefendem Blute beſudelt.
330
335
Zuͤrnend ſchaute auf ſie und ſprach der weiſe Oduͤßeus:
Wahrlich, das ſag' ich Taͤlemachos an, was du Huͤndin da plauderſt:
(Siehſt du ihn dort?) damit er dich gleich in Stuͤcke zerhaue!
Alſo ſprach er, und ſchreckte die bangen Weiber von hinnen;
Und ſie entflohn aus dem Saal, und eileten durch die Gemaͤcher,
Zitternd vor Angſt; denn ſie meinten, er hab' im Ernſte geredet.
340
Und Oduͤßeus ſtand, der leuchtenden Feuergeſchirre
Flamme naͤhrend, und ſahe nach allen. Aber ſein Herz war
Andrer Gedanken voll, die bald zu Handlungen reiften.
Aber den mutigen Freiern verſtatete Pallas Athaͤnaͤ
Nicht, des erbitternden Spottes ſich ganz zu enthalten, damit noch
345
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/363>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.