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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

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Odüßee.
Darum sag' ich dir jezt; nim meine Worte zu Herzen.
Siehe kein Wesen ist so eitel und unbeständig,
Als der Mensch, von allem, was lebt und webet auf Erden. 130
Denn so lange die Götter ihm Heil und blühende Jugend
Schenken; trozt er, und wähnt, ihn treffe nimmer ein Unglück.
Aber züchtigen ihn die seligen Götter mit Trübsal;
Dann erträgt er sein Leiden mit Ungeduld und Verzweiflung.
Denn wie die Tage sich ändern, die Gott vom Himmel uns sendet, 135
Aendert sich auch das Herz der erdebewohuenden Menschen.
Siehe, ich selber war einst ein glücklicher Mann, und verübte
Viel Unarten, vom Troz und Uebermute verleitet,
Weil mein Vater mich schüzte und meine mächtigen Brüder.
Drum erhebe sich nimmer ein Mann, und frevele nimmer; 140
Sondern genieße, was ihm die Götter bescheren, in Demut!
Welchen Gräuel erblick' ich, den hier die Freier beginnen!
Wie sie die Güter verschwelgen, und schmähn die Gattin des Mannes,
Welcher vielleicht nicht lange von seinen Freunden und Ländern
Ferne bleibt, vielleicht schon nah ist! Aber es führe 145
Dich ein Himmlischer heim, daß du nicht jenem begegnest,
Wann er wieder zurück in sein liebes Vaterland kehret!
Denn die Freier alhier und jener trennen sich schwerlich
Ohne Blut von einander, sobald er unter sein Dach kommt!

Also sprach er, und goß des süßen Weines den Göttern, 150
Trank, und reichte den Becher zurück dem Führer der Völker.
Dieser ging durch den Saal, mit tiefverwundeter Seele,
Und mit gesunkenem Haupt; denn er ahndete Böses im Herzen.
Dennoch entrann er nicht dem Verderben; ihn feßelt' Athänä,
Daß ihn Tälemachos Hand mit der Todeslanze vertilgte. 155

Oduͤßee.
Darum ſag' ich dir jezt; nim meine Worte zu Herzen.
Siehe kein Weſen iſt ſo eitel und unbeſtaͤndig,
Als der Menſch, von allem, was lebt und webet auf Erden. 130
Denn ſo lange die Goͤtter ihm Heil und bluͤhende Jugend
Schenken; trozt er, und waͤhnt, ihn treffe nimmer ein Ungluͤck.
Aber zuͤchtigen ihn die ſeligen Goͤtter mit Truͤbſal;
Dann ertraͤgt er ſein Leiden mit Ungeduld und Verzweiflung.
Denn wie die Tage ſich aͤndern, die Gott vom Himmel uns ſendet, 135
Aendert ſich auch das Herz der erdebewohuenden Menſchen.
Siehe, ich ſelber war einſt ein gluͤcklicher Mann, und veruͤbte
Viel Unarten, vom Troz und Uebermute verleitet,
Weil mein Vater mich ſchuͤzte und meine maͤchtigen Bruͤder.
Drum erhebe ſich nimmer ein Mann, und frevele nimmer; 140
Sondern genieße, was ihm die Goͤtter beſcheren, in Demut!
Welchen Graͤuel erblick' ich, den hier die Freier beginnen!
Wie ſie die Guͤter verſchwelgen, und ſchmaͤhn die Gattin des Mannes,
Welcher vielleicht nicht lange von ſeinen Freunden und Laͤndern
Ferne bleibt, vielleicht ſchon nah iſt! Aber es fuͤhre 145
Dich ein Himmliſcher heim, daß du nicht jenem begegneſt,
Wann er wieder zuruͤck in ſein liebes Vaterland kehret!
Denn die Freier alhier und jener trennen ſich ſchwerlich
Ohne Blut von einander, ſobald er unter ſein Dach kommt!

Alſo ſprach er, und goß des ſuͤßen Weines den Goͤttern, 150
Trank, und reichte den Becher zuruͤck dem Fuͤhrer der Voͤlker.
Dieſer ging durch den Saal, mit tiefverwundeter Seele,
Und mit geſunkenem Haupt; denn er ahndete Boͤſes im Herzen.
Dennoch entrann er nicht dem Verderben; ihn feßelt' Athaͤnaͤ,
Daß ihn Taͤlemachos Hand mit der Todeslanze vertilgte. 155

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[350/0356] Oduͤßee. Darum ſag' ich dir jezt; nim meine Worte zu Herzen. Siehe kein Weſen iſt ſo eitel und unbeſtaͤndig, Als der Menſch, von allem, was lebt und webet auf Erden. Denn ſo lange die Goͤtter ihm Heil und bluͤhende Jugend Schenken; trozt er, und waͤhnt, ihn treffe nimmer ein Ungluͤck. Aber zuͤchtigen ihn die ſeligen Goͤtter mit Truͤbſal; Dann ertraͤgt er ſein Leiden mit Ungeduld und Verzweiflung. Denn wie die Tage ſich aͤndern, die Gott vom Himmel uns ſendet, Aendert ſich auch das Herz der erdebewohuenden Menſchen. Siehe, ich ſelber war einſt ein gluͤcklicher Mann, und veruͤbte Viel Unarten, vom Troz und Uebermute verleitet, Weil mein Vater mich ſchuͤzte und meine maͤchtigen Bruͤder. Drum erhebe ſich nimmer ein Mann, und frevele nimmer; Sondern genieße, was ihm die Goͤtter beſcheren, in Demut! Welchen Graͤuel erblick' ich, den hier die Freier beginnen! Wie ſie die Guͤter verſchwelgen, und ſchmaͤhn die Gattin des Mannes, Welcher vielleicht nicht lange von ſeinen Freunden und Laͤndern Ferne bleibt, vielleicht ſchon nah iſt! Aber es fuͤhre Dich ein Himmliſcher heim, daß du nicht jenem begegneſt, Wann er wieder zuruͤck in ſein liebes Vaterland kehret! Denn die Freier alhier und jener trennen ſich ſchwerlich Ohne Blut von einander, ſobald er unter ſein Dach kommt! 130 135 140 145 Alſo ſprach er, und goß des ſuͤßen Weines den Goͤttern, Trank, und reichte den Becher zuruͤck dem Fuͤhrer der Voͤlker. Dieſer ging durch den Saal, mit tiefverwundeter Seele, Und mit geſunkenem Haupt; denn er ahndete Boͤſes im Herzen. Dennoch entrann er nicht dem Verderben; ihn feßelt' Athaͤnaͤ, Daß ihn Taͤlemachos Hand mit der Todeslanze vertilgte. 150 155

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Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/356>, abgerufen am 27.11.2024.