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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

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Funfzehnter Gesang.
Hievon eß' ich und trinke, und geb' auch ehrlichen Leuten.
Von der Königin selbst ist keine Freude zu hoffen,
Weder Wort noch That, seitdem die Plage das Haus traf,
Jener verwüstende Schwarm! Und Knechte wünschen doch herzlich, 375
Vor der Frau des Hauses zu reden, und alles zu hören,
Und zu eßen und trinken, und dann auch etwas zu Felde
Mitzunehmen: wodurch das Herz der Bedienten erfreut wird.

Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Odüßeus:
Ei so bist du als Kind, Eumaios, Hüter der Schweine, 380
Fern von dem Vaterland' und deinen Eltern verirret!
Aber verkündige mir, und sage die lautere Wahrheit:
Ward die prächtige Stadt von Kriegesschaaren verwüstet,
Welche dein Vater einst und die trefliche Mutter bewohnten?
Oder fanden dich einsam bei Schafen oder bei Rindern 385
Räuber, und schleppten dich fort zu den Schiffen, und boten im Hause
Dieses Mannes dich feil, der dich nach Würden bezahlte?

Ihm antwortete drauf der männerbeherschende Sauhirt:
Fremdling, weil du mich fragst und so genau dich erkundest,
Nun so size still, erfreue dich horchend, und trinke 390
Wein. Die Nächte sind lang; man kann ausruhen, und kann auch
Angenehme Gespräch' anhören. Es zwinget dich Niemand,
Frühe schlafen zu gehn; auch vieles Schlafen ist schädlich.
Sehnt sich der übrigen einer in seinem Herzen zur Ruhe,
Dieser gehe zu Bett'; und sobald der Morgen sich röthet, 395
Frühstück' er, und treibe des Königes Schweine zu Felde.
Aber wir wollen hier in der Hütte noch eßen und trinken,
Um einander das Herz durch Erinnerung trauriger Leiden
Aufzuheitern; denn auch der Trübsal denket man gerne,

Funfzehnter Geſang.
Hievon eß' ich und trinke, und geb' auch ehrlichen Leuten.
Von der Koͤnigin ſelbſt iſt keine Freude zu hoffen,
Weder Wort noch That, ſeitdem die Plage das Haus traf,
Jener verwuͤſtende Schwarm! Und Knechte wuͤnſchen doch herzlich, 375
Vor der Frau des Hauſes zu reden, und alles zu hoͤren,
Und zu eßen und trinken, und dann auch etwas zu Felde
Mitzunehmen: wodurch das Herz der Bedienten erfreut wird.

Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Oduͤßeus:
Ei ſo biſt du als Kind, Eumaios, Huͤter der Schweine, 380
Fern von dem Vaterland' und deinen Eltern verirret!
Aber verkuͤndige mir, und ſage die lautere Wahrheit:
Ward die praͤchtige Stadt von Kriegesſchaaren verwuͤſtet,
Welche dein Vater einſt und die trefliche Mutter bewohnten?
Oder fanden dich einſam bei Schafen oder bei Rindern 385
Raͤuber, und ſchleppten dich fort zu den Schiffen, und boten im Hauſe
Dieſes Mannes dich feil, der dich nach Wuͤrden bezahlte?

Ihm antwortete drauf der maͤnnerbeherſchende Sauhirt:
Fremdling, weil du mich fragſt und ſo genau dich erkundeſt,
Nun ſo ſize ſtill, erfreue dich horchend, und trinke 390
Wein. Die Naͤchte ſind lang; man kann ausruhen, und kann auch
Angenehme Geſpraͤch' anhoͤren. Es zwinget dich Niemand,
Fruͤhe ſchlafen zu gehn; auch vieles Schlafen iſt ſchaͤdlich.
Sehnt ſich der uͤbrigen einer in ſeinem Herzen zur Ruhe,
Dieſer gehe zu Bett'; und ſobald der Morgen ſich roͤthet, 395
Fruͤhſtuͤck' er, und treibe des Koͤniges Schweine zu Felde.
Aber wir wollen hier in der Huͤtte noch eßen und trinken,
Um einander das Herz durch Erinnerung trauriger Leiden
Aufzuheitern; denn auch der Truͤbſal denket man gerne,

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[297/0303] Funfzehnter Geſang. Hievon eß' ich und trinke, und geb' auch ehrlichen Leuten. Von der Koͤnigin ſelbſt iſt keine Freude zu hoffen, Weder Wort noch That, ſeitdem die Plage das Haus traf, Jener verwuͤſtende Schwarm! Und Knechte wuͤnſchen doch herzlich, Vor der Frau des Hauſes zu reden, und alles zu hoͤren, Und zu eßen und trinken, und dann auch etwas zu Felde Mitzunehmen: wodurch das Herz der Bedienten erfreut wird. 375 Ihm antwortete drauf der erfindungsreiche Oduͤßeus: Ei ſo biſt du als Kind, Eumaios, Huͤter der Schweine, Fern von dem Vaterland' und deinen Eltern verirret! Aber verkuͤndige mir, und ſage die lautere Wahrheit: Ward die praͤchtige Stadt von Kriegesſchaaren verwuͤſtet, Welche dein Vater einſt und die trefliche Mutter bewohnten? Oder fanden dich einſam bei Schafen oder bei Rindern Raͤuber, und ſchleppten dich fort zu den Schiffen, und boten im Hauſe Dieſes Mannes dich feil, der dich nach Wuͤrden bezahlte? 380 385 Ihm antwortete drauf der maͤnnerbeherſchende Sauhirt: Fremdling, weil du mich fragſt und ſo genau dich erkundeſt, Nun ſo ſize ſtill, erfreue dich horchend, und trinke Wein. Die Naͤchte ſind lang; man kann ausruhen, und kann auch Angenehme Geſpraͤch' anhoͤren. Es zwinget dich Niemand, Fruͤhe ſchlafen zu gehn; auch vieles Schlafen iſt ſchaͤdlich. Sehnt ſich der uͤbrigen einer in ſeinem Herzen zur Ruhe, Dieſer gehe zu Bett'; und ſobald der Morgen ſich roͤthet, Fruͤhſtuͤck' er, und treibe des Koͤniges Schweine zu Felde. Aber wir wollen hier in der Huͤtte noch eßen und trinken, Um einander das Herz durch Erinnerung trauriger Leiden Aufzuheitern; denn auch der Truͤbſal denket man gerne, 390 395

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Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/303>, abgerufen am 22.11.2024.