Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Odüßee.
Sezte sich gegen ihm über, und nöthigt' ihn also zum Eßen:

Iß nun, fremder Mann, so gut wir Hirten es haben, 80
Ferkelfleisch; die gemästeten Schweine verzehren die Freier, V. 81.
Deren Herz nicht Furcht vor den Göttern kennet, noch Mitleid.
Alle gewaltsame That misfällt ja den seligen Göttern;
Tugend ehren sie nur und Gerechtigkeit unter den Menschen!
Selbst die barbarischen Räuber, die durch Kronions Verhängniß 85
An ein fremdes Gestad' anlandeten, Beute gewannen,
Und mit beladenen Schiffen die Heimat glücklich erreichten,
Fühlen dennoch im Herzen die Macht des empörten Gewißens!
Aber diesen entdeckte vielleicht die Stimme der Götter
Jenes traurigen Tod, da sie nicht werben, wie recht ist, 90
Und zu dem Ihrigen nicht heimkehren; sondern in Ruhe
Fremdes Gut unmäßig und ohne Schonen verpraßen.
Alle Tag' und Nächte, die Zeus den Sterblichen sendet,
Opfern die Ueppigen stets, und nicht Ein Opfer, noch zwei bloß!
Und verschwelgen den Wein mit ungezähmter Begierde. 95
Reichlich war er gesegnet an Lebensgütern; es hatte
Keiner der Edlen so viel, nicht dort auf der fruchtbaren Veste,
Noch in Ithaka hier; nicht zwanzig Männer zusammen
Haben so viel Reichthümer. Ich will sie dir jezo beschreiben.
Rinderheerden sind zwölf auf der Veste, der weidenden Schafe V. 100. 100

V. 81. Das Fleisch junger Thiere ward eben so geringe geschäzt, als Fische
und Vögel; denn es war ihnen zu weichlich. Fünfjährige Mastschweine aßen sie,
wenns hoch hergieng.
V. 100. Odüßeus beherschte einen Theil des festen Landes, gegen Ithaka über,
nämlich die Halbinsel Närikos oder Leukas, die nachmals zur Insel geworden ist,
und jezt St. Maura heißt.

Oduͤßee.
Sezte ſich gegen ihm uͤber, und noͤthigt' ihn alſo zum Eßen:

Iß nun, fremder Mann, ſo gut wir Hirten es haben, 80
Ferkelfleiſch; die gemaͤſteten Schweine verzehren die Freier, V. 81.
Deren Herz nicht Furcht vor den Goͤttern kennet, noch Mitleid.
Alle gewaltſame That misfaͤllt ja den ſeligen Goͤttern;
Tugend ehren ſie nur und Gerechtigkeit unter den Menſchen!
Selbſt die barbariſchen Raͤuber, die durch Kronions Verhaͤngniß 85
An ein fremdes Geſtad' anlandeten, Beute gewannen,
Und mit beladenen Schiffen die Heimat gluͤcklich erreichten,
Fuͤhlen dennoch im Herzen die Macht des empoͤrten Gewißens!
Aber dieſen entdeckte vielleicht die Stimme der Goͤtter
Jenes traurigen Tod, da ſie nicht werben, wie recht iſt, 90
Und zu dem Ihrigen nicht heimkehren; ſondern in Ruhe
Fremdes Gut unmaͤßig und ohne Schonen verpraßen.
Alle Tag' und Naͤchte, die Zeus den Sterblichen ſendet,
Opfern die Ueppigen ſtets, und nicht Ein Opfer, noch zwei bloß!
Und verſchwelgen den Wein mit ungezaͤhmter Begierde. 95
Reichlich war er geſegnet an Lebensguͤtern; es hatte
Keiner der Edlen ſo viel, nicht dort auf der fruchtbaren Veſte,
Noch in Ithaka hier; nicht zwanzig Maͤnner zuſammen
Haben ſo viel Reichthuͤmer. Ich will ſie dir jezo beſchreiben.
Rinderheerden ſind zwoͤlf auf der Veſte, der weidenden Schafe V. 100. 100

V. 81. Das Fleiſch junger Thiere ward eben ſo geringe geſchaͤzt, als Fiſche
und Voͤgel; denn es war ihnen zu weichlich. Fuͤnfjaͤhrige Maſtſchweine aßen ſie,
wenns hoch hergieng.
V. 100. Oduͤßeus beherſchte einen Theil des feſten Landes, gegen Ithaka uͤber,
naͤmlich die Halbinſel Naͤrikos oder Leukas, die nachmals zur Inſel geworden iſt,
und jezt St. Maura heißt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0272" n="266"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Odu&#x0364;ßee.</hi></fw><lb/>
Sezte &#x017F;ich gegen ihm u&#x0364;ber, und no&#x0364;thigt' ihn al&#x017F;o zum Eßen:</p><lb/>
        <p>Iß nun, fremder Mann, &#x017F;o gut wir Hirten es haben, <note place="right">80</note><lb/>
Ferkelflei&#x017F;ch; die gema&#x0364;&#x017F;teten Schweine verzehren die Freier, <note place="foot" n="V. 81.">Das Flei&#x017F;ch junger Thiere ward eben &#x017F;o geringe ge&#x017F;cha&#x0364;zt, als Fi&#x017F;che<lb/>
und Vo&#x0364;gel; denn es war ihnen zu weichlich. Fu&#x0364;nfja&#x0364;hrige Ma&#x017F;t&#x017F;chweine aßen &#x017F;ie,<lb/>
wenns hoch hergieng.</note><lb/>
Deren Herz nicht Furcht vor den Go&#x0364;ttern kennet, noch Mitleid.<lb/>
Alle gewalt&#x017F;ame That misfa&#x0364;llt ja den &#x017F;eligen Go&#x0364;ttern;<lb/>
Tugend ehren &#x017F;ie nur und Gerechtigkeit unter den Men&#x017F;chen!<lb/>
Selb&#x017F;t die barbari&#x017F;chen Ra&#x0364;uber, die durch Kronions Verha&#x0364;ngniß <note place="right">85</note><lb/>
An ein fremdes Ge&#x017F;tad' anlandeten, Beute gewannen,<lb/>
Und mit beladenen Schiffen die Heimat glu&#x0364;cklich erreichten,<lb/>
Fu&#x0364;hlen dennoch im Herzen die Macht des empo&#x0364;rten Gewißens!<lb/>
Aber die&#x017F;en entdeckte vielleicht die Stimme der Go&#x0364;tter<lb/>
Jenes traurigen Tod, da &#x017F;ie nicht werben, wie recht i&#x017F;t, <note place="right">90</note><lb/>
Und zu dem Ihrigen nicht heimkehren; &#x017F;ondern in Ruhe<lb/>
Fremdes Gut unma&#x0364;ßig und ohne Schonen verpraßen.<lb/>
Alle Tag' und Na&#x0364;chte, die Zeus den Sterblichen &#x017F;endet,<lb/>
Opfern die Ueppigen &#x017F;tets, und nicht Ein Opfer, noch zwei bloß!<lb/>
Und ver&#x017F;chwelgen den Wein mit ungeza&#x0364;hmter Begierde. <note place="right">95</note><lb/>
Reichlich war er ge&#x017F;egnet an Lebensgu&#x0364;tern; es hatte<lb/>
Keiner der Edlen &#x017F;o viel, nicht dort auf der fruchtbaren Ve&#x017F;te,<lb/>
Noch in Ithaka hier; nicht zwanzig Ma&#x0364;nner zu&#x017F;ammen<lb/>
Haben &#x017F;o viel Reichthu&#x0364;mer. Ich will &#x017F;ie dir jezo be&#x017F;chreiben.<lb/>
Rinderheerden &#x017F;ind zwo&#x0364;lf auf der Ve&#x017F;te, der weidenden Schafe <note place="foot" n="V. 100.">Odu&#x0364;ßeus beher&#x017F;chte einen Theil des fe&#x017F;ten Landes, gegen Ithaka u&#x0364;ber,<lb/>
na&#x0364;mlich die Halbin&#x017F;el Na&#x0364;rikos oder Leukas, die nachmals zur In&#x017F;el geworden i&#x017F;t,<lb/>
und jezt St. Maura heißt.</note> <note place="right">100</note><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[266/0272] Oduͤßee. Sezte ſich gegen ihm uͤber, und noͤthigt' ihn alſo zum Eßen: Iß nun, fremder Mann, ſo gut wir Hirten es haben, Ferkelfleiſch; die gemaͤſteten Schweine verzehren die Freier, V. 81. Deren Herz nicht Furcht vor den Goͤttern kennet, noch Mitleid. Alle gewaltſame That misfaͤllt ja den ſeligen Goͤttern; Tugend ehren ſie nur und Gerechtigkeit unter den Menſchen! Selbſt die barbariſchen Raͤuber, die durch Kronions Verhaͤngniß An ein fremdes Geſtad' anlandeten, Beute gewannen, Und mit beladenen Schiffen die Heimat gluͤcklich erreichten, Fuͤhlen dennoch im Herzen die Macht des empoͤrten Gewißens! Aber dieſen entdeckte vielleicht die Stimme der Goͤtter Jenes traurigen Tod, da ſie nicht werben, wie recht iſt, Und zu dem Ihrigen nicht heimkehren; ſondern in Ruhe Fremdes Gut unmaͤßig und ohne Schonen verpraßen. Alle Tag' und Naͤchte, die Zeus den Sterblichen ſendet, Opfern die Ueppigen ſtets, und nicht Ein Opfer, noch zwei bloß! Und verſchwelgen den Wein mit ungezaͤhmter Begierde. Reichlich war er geſegnet an Lebensguͤtern; es hatte Keiner der Edlen ſo viel, nicht dort auf der fruchtbaren Veſte, Noch in Ithaka hier; nicht zwanzig Maͤnner zuſammen Haben ſo viel Reichthuͤmer. Ich will ſie dir jezo beſchreiben. Rinderheerden ſind zwoͤlf auf der Veſte, der weidenden Schafe V. 100. 80 85 90 95 100 V. 81. Das Fleiſch junger Thiere ward eben ſo geringe geſchaͤzt, als Fiſche und Voͤgel; denn es war ihnen zu weichlich. Fuͤnfjaͤhrige Maſtſchweine aßen ſie, wenns hoch hergieng. V. 100. Oduͤßeus beherſchte einen Theil des feſten Landes, gegen Ithaka uͤber, naͤmlich die Halbinſel Naͤrikos oder Leukas, die nachmals zur Inſel geworden iſt, und jezt St. Maura heißt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/272
Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/272>, abgerufen am 25.11.2024.