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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

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Odüßee.
Jezo zerschnitt er des Stiers schönfarbiges Leder, und fügte
Solen um seine Füße. Die untergeordneten Hirten
Hatten sich schon zerstreut: drei hüteten weidende Schweine; 25
Aber der vierte war in die Stadt gesendet, ein Mastschwein
Hinzuführen, den Zoll für die übermütigen Freier,
Daß beim festlichen Schmaus' ihr Herz an dem Fleische sich labte.

Plötzlich erblickten Odüßeus die wachsambellenden Hunde,
Und sie stürzten auf ihn lautschreiend. Aber Odüßeus 30
Sezte sich klüglich nieder, und legte den Stab aus den Händen.
Dennoch hätt' er auch dort unwürdige Schmerzen erduldet;
Aber der Sauhirt lief aus der Thüre mit hurtigen Füßen
Hinter den bellenden her, und warf aus den Händen das Leder;
Scheltend verfolgt' er die Hund', und zerstreute sie hierhin und dorthin 35
Mit geworfenen Steinen; und jezo sprach er zum König:

Alter, es fehlte nicht viel, so hätten die Hunde mit Einmal
Dich zerrißen, und mich hätt' ewige Schande getroffen!
Und mir gaben die Götter vorhin schon Kummer und Trübsal.
Denn um den göttlichen König die bittersten Thränen vergießend, 40
Siz' ich hier, und sende die fettgemästeten Schweine
Andern zum Schmause, da jener vielleicht des Brotes entbehret,
Und die Länder und Städte barbarischer Völker durchwandert!
Wenn er anders noch lebt, und das Licht der Sonne noch schauet!
Aber folge mir, Greis, in meine Hütte, damit du, 45
Wann sich deine Seele mit Brot und Weine gelabt hat,
Sagest, von wannen du kommst, und welche Leiden du littest.

Also sprach er, und führt' ihn hinein, der trefliche Sauhirt,
Hieß den folgenden Gast sich auf ein laubichtes Lager
Sezen, und breitete drauf der buntgesprenkelten Gemse 50

Oduͤßee.
Jezo zerſchnitt er des Stiers ſchoͤnfarbiges Leder, und fuͤgte
Solen um ſeine Fuͤße. Die untergeordneten Hirten
Hatten ſich ſchon zerſtreut: drei huͤteten weidende Schweine; 25
Aber der vierte war in die Stadt geſendet, ein Maſtſchwein
Hinzufuͤhren, den Zoll fuͤr die uͤbermuͤtigen Freier,
Daß beim feſtlichen Schmauſ' ihr Herz an dem Fleiſche ſich labte.

Ploͤtzlich erblickten Oduͤßeus die wachſambellenden Hunde,
Und ſie ſtuͤrzten auf ihn lautſchreiend. Aber Oduͤßeus 30
Sezte ſich kluͤglich nieder, und legte den Stab aus den Haͤnden.
Dennoch haͤtt' er auch dort unwuͤrdige Schmerzen erduldet;
Aber der Sauhirt lief aus der Thuͤre mit hurtigen Fuͤßen
Hinter den bellenden her, und warf aus den Haͤnden das Leder;
Scheltend verfolgt' er die Hund', und zerſtreute ſie hierhin und dorthin 35
Mit geworfenen Steinen; und jezo ſprach er zum Koͤnig:

Alter, es fehlte nicht viel, ſo haͤtten die Hunde mit Einmal
Dich zerrißen, und mich haͤtt' ewige Schande getroffen!
Und mir gaben die Goͤtter vorhin ſchon Kummer und Truͤbſal.
Denn um den goͤttlichen Koͤnig die bitterſten Thraͤnen vergießend, 40
Siz' ich hier, und ſende die fettgemaͤſteten Schweine
Andern zum Schmauſe, da jener vielleicht des Brotes entbehret,
Und die Laͤnder und Staͤdte barbariſcher Voͤlker durchwandert!
Wenn er anders noch lebt, und das Licht der Sonne noch ſchauet!
Aber folge mir, Greis, in meine Huͤtte, damit du, 45
Wann ſich deine Seele mit Brot und Weine gelabt hat,
Sageſt, von wannen du kommſt, und welche Leiden du litteſt.

Alſo ſprach er, und fuͤhrt' ihn hinein, der trefliche Sauhirt,
Hieß den folgenden Gaſt ſich auf ein laubichtes Lager
Sezen, und breitete drauf der buntgeſprenkelten Gemſe 50

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[264/0270] Oduͤßee. Jezo zerſchnitt er des Stiers ſchoͤnfarbiges Leder, und fuͤgte Solen um ſeine Fuͤße. Die untergeordneten Hirten Hatten ſich ſchon zerſtreut: drei huͤteten weidende Schweine; Aber der vierte war in die Stadt geſendet, ein Maſtſchwein Hinzufuͤhren, den Zoll fuͤr die uͤbermuͤtigen Freier, Daß beim feſtlichen Schmauſ' ihr Herz an dem Fleiſche ſich labte. 25 Ploͤtzlich erblickten Oduͤßeus die wachſambellenden Hunde, Und ſie ſtuͤrzten auf ihn lautſchreiend. Aber Oduͤßeus Sezte ſich kluͤglich nieder, und legte den Stab aus den Haͤnden. Dennoch haͤtt' er auch dort unwuͤrdige Schmerzen erduldet; Aber der Sauhirt lief aus der Thuͤre mit hurtigen Fuͤßen Hinter den bellenden her, und warf aus den Haͤnden das Leder; Scheltend verfolgt' er die Hund', und zerſtreute ſie hierhin und dorthin Mit geworfenen Steinen; und jezo ſprach er zum Koͤnig: 30 35 Alter, es fehlte nicht viel, ſo haͤtten die Hunde mit Einmal Dich zerrißen, und mich haͤtt' ewige Schande getroffen! Und mir gaben die Goͤtter vorhin ſchon Kummer und Truͤbſal. Denn um den goͤttlichen Koͤnig die bitterſten Thraͤnen vergießend, Siz' ich hier, und ſende die fettgemaͤſteten Schweine Andern zum Schmauſe, da jener vielleicht des Brotes entbehret, Und die Laͤnder und Staͤdte barbariſcher Voͤlker durchwandert! Wenn er anders noch lebt, und das Licht der Sonne noch ſchauet! Aber folge mir, Greis, in meine Huͤtte, damit du, Wann ſich deine Seele mit Brot und Weine gelabt hat, Sageſt, von wannen du kommſt, und welche Leiden du litteſt. 40 45 Alſo ſprach er, und fuͤhrt' ihn hinein, der trefliche Sauhirt, Hieß den folgenden Gaſt ſich auf ein laubichtes Lager Sezen, und breitete drauf der buntgeſprenkelten Gemſe 50

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Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/270>, abgerufen am 25.11.2024.