Als nun die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte, Zogen wir unser Schiff in die felsenbeschattete Grotte, Welche die schönen Reigen und Size der Nümfen verbirget. Jezo rief ich die Freunde zur Rathsversammlung, und sagte:
Freunde, wir haben ja noch im Schiffe zu eßen und trinken; 320 Darum schonet der Rinder, daß uns kein Böses begegne! Diese Rinder und Schafe sind jenes furchtbaren Gottes Hälios Eigenthum, der alles siehet und höret.
Also sprach ich, und zwang ihr edles Herz zum Gehorsam. Aber der Süd durchstürmte den ganzen Monat, und niemals 325 Hub sich ein anderer Wind, als der Ost und der herschende Südwind. Doch solang' es an Speis' und rothem Weine nicht fehlte, Schoneten jene der Rinder, ihr süßes Leben zu retten. Und da endlich im Schiffe der ganze Vorrat verzehrt war, Streiften sie alle aus Noth, vom nagenden Hunger gefoltert, 330 Durch die Insel umher, mit krummer Angel sich Fische Oder Vögel zu fangen, was ihren Händen nur vorkam. Jezo ging ich allein durch die Insel, um einsam die Götter Anzuflehn, ob einer den Weg mir zeigte zur Heimkehr. Als ich, die Insel durchgehend, mich weit von den Freunden entfernet, 335 Am windfreien Gestade; da wusch ich die Händ', und flehte Alle Götter an, die Bewohner des hohen Olümpos. Und sie deckten mir sanft die Augen mit süßem Schlummer.
Aber Eurülochos reizte die andern Freunde zum Bösen: Höret meine Worte, ihr theuren Genoßen im Unglück. 340 Zwar ist jeglicher Tod den armen Sterblichen furchtbar; Aber so jammervoll ist keiner, als Hungers sterben.
Q
Zwoͤlfter Geſang.
Als nun die daͤmmernde Fruͤhe mit Roſenfingern erwachte, Zogen wir unſer Schiff in die felſenbeſchattete Grotte, Welche die ſchoͤnen Reigen und Size der Nuͤmfen verbirget. Jezo rief ich die Freunde zur Rathsverſammlung, und ſagte:
Freunde, wir haben ja noch im Schiffe zu eßen und trinken; 320 Darum ſchonet der Rinder, daß uns kein Boͤſes begegne! Dieſe Rinder und Schafe ſind jenes furchtbaren Gottes Haͤlios Eigenthum, der alles ſiehet und hoͤret.
Alſo ſprach ich, und zwang ihr edles Herz zum Gehorſam. Aber der Suͤd durchſtuͤrmte den ganzen Monat, und niemals 325 Hub ſich ein anderer Wind, als der Oſt und der herſchende Suͤdwind. Doch ſolang' es an Speiſ' und rothem Weine nicht fehlte, Schoneten jene der Rinder, ihr ſuͤßes Leben zu retten. Und da endlich im Schiffe der ganze Vorrat verzehrt war, Streiften ſie alle aus Noth, vom nagenden Hunger gefoltert, 330 Durch die Inſel umher, mit krummer Angel ſich Fiſche Oder Voͤgel zu fangen, was ihren Haͤnden nur vorkam. Jezo ging ich allein durch die Inſel, um einſam die Goͤtter Anzuflehn, ob einer den Weg mir zeigte zur Heimkehr. Als ich, die Inſel durchgehend, mich weit von den Freunden entfernet, 335 Am windfreien Geſtade; da wuſch ich die Haͤnd', und flehte Alle Goͤtter an, die Bewohner des hohen Oluͤmpos. Und ſie deckten mir ſanft die Augen mit ſuͤßem Schlummer.
Aber Euruͤlochos reizte die andern Freunde zum Boͤſen: Hoͤret meine Worte, ihr theuren Genoßen im Ungluͤck. 340 Zwar iſt jeglicher Tod den armen Sterblichen furchtbar; Aber ſo jammervoll iſt keiner, als Hungers ſterben.
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Zwoͤlfter Geſang.
Als nun die daͤmmernde Fruͤhe mit Roſenfingern erwachte,
Zogen wir unſer Schiff in die felſenbeſchattete Grotte,
Welche die ſchoͤnen Reigen und Size der Nuͤmfen verbirget.
Jezo rief ich die Freunde zur Rathsverſammlung, und ſagte:
Freunde, wir haben ja noch im Schiffe zu eßen und trinken;
Darum ſchonet der Rinder, daß uns kein Boͤſes begegne!
Dieſe Rinder und Schafe ſind jenes furchtbaren Gottes
Haͤlios Eigenthum, der alles ſiehet und hoͤret.
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Alſo ſprach ich, und zwang ihr edles Herz zum Gehorſam.
Aber der Suͤd durchſtuͤrmte den ganzen Monat, und niemals
Hub ſich ein anderer Wind, als der Oſt und der herſchende Suͤdwind.
Doch ſolang' es an Speiſ' und rothem Weine nicht fehlte,
Schoneten jene der Rinder, ihr ſuͤßes Leben zu retten.
Und da endlich im Schiffe der ganze Vorrat verzehrt war,
Streiften ſie alle aus Noth, vom nagenden Hunger gefoltert,
Durch die Inſel umher, mit krummer Angel ſich Fiſche
Oder Voͤgel zu fangen, was ihren Haͤnden nur vorkam.
Jezo ging ich allein durch die Inſel, um einſam die Goͤtter
Anzuflehn, ob einer den Weg mir zeigte zur Heimkehr.
Als ich, die Inſel durchgehend, mich weit von den Freunden entfernet,
Am windfreien Geſtade; da wuſch ich die Haͤnd', und flehte
Alle Goͤtter an, die Bewohner des hohen Oluͤmpos.
Und ſie deckten mir ſanft die Augen mit ſuͤßem Schlummer.
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Aber Euruͤlochos reizte die andern Freunde zum Boͤſen:
Hoͤret meine Worte, ihr theuren Genoßen im Ungluͤck.
Zwar iſt jeglicher Tod den armen Sterblichen furchtbar;
Aber ſo jammervoll iſt keiner, als Hungers ſterben.
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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/247>, abgerufen am 23.11.2024.
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