Freudig begrüßt zu werden! Doch jene, das Scheusal an Bosheit! Hat ihr eignes Gedächtniß, und alle Weiber der Nachwelt Ewig entehrt, wenn eine sich auch des Guten befleißigt!
Also sprach er; und ich antwortete wieder, und sagte: 435 Wehe! wie fürchterlich hat Kronions waltende Vorsicht Durch arglistige Weiber, den Samen Atreus von Anfang Heimgesucht! Wie viele sind Helenens halber gestorben! Und du verlorst, heimkehrend, durch Klütaimnästra dein Leben!
Also sprach ich; und drauf antwortete jener, und sagte: 440 Laß deshalben auch du von dem Weibe nimmer dich lenken, Und vertrau' ihr nicht aus Zärtlichkeit jedes Geheimniß; Sondern verkündige dies, und jenes halte verborgen! Aber, Odüßeus, du wirst nicht sterben durch deine Gemahlin; Denn sie ist rechtschaffen, und Weisheit adelt die Seele 445 Von Ikarios Tochter, der klugen Pänelopeia. Ach wir verließen sie einst als junge Frau im Palaste, Da wir zum Streit auszogen, und ihr unmündiges Knäblein Lag an der Brust, der nun in den Kreis der Männer sich hinsezt. Glücklicher Sohn! ihn schaut einst wiederkehrend sein Vater, 450 Und er begrüßt den Vater mit frommer kindlicher Liebe! Aber mir hat mein Weib nicht einmal den freudigen Anblick Meines Sohnes erlaubt; sie hat zuvor mich ermordet. Höre nun meinen Rath, und bewahr' ihn sorgsam im Herzen: Lande mit deinem Schiff ans vaterländische Ufer 455 Heimlich, nicht öffentlich an; denn nimmer ist Weibern zu trauen! Aber verkündige mir, und sage die lautere Wahrheit: Habt ihr etwa gehört von meinem noch lebenden Sohne, In Orchomenos, oder vielleicht in der sandigen Pülos,
Elfter Geſang.
Freudig begruͤßt zu werden! Doch jene, das Scheuſal an Bosheit! Hat ihr eignes Gedaͤchtniß, und alle Weiber der Nachwelt Ewig entehrt, wenn eine ſich auch des Guten befleißigt!
Alſo ſprach er; und ich antwortete wieder, und ſagte: 435 Wehe! wie fuͤrchterlich hat Kronions waltende Vorſicht Durch argliſtige Weiber, den Samen Atreus von Anfang Heimgeſucht! Wie viele ſind Helenens halber geſtorben! Und du verlorſt, heimkehrend, durch Kluͤtaimnaͤſtra dein Leben!
Alſo ſprach ich; und drauf antwortete jener, und ſagte: 440 Laß deshalben auch du von dem Weibe nimmer dich lenken, Und vertrau' ihr nicht aus Zaͤrtlichkeit jedes Geheimniß; Sondern verkuͤndige dies, und jenes halte verborgen! Aber, Oduͤßeus, du wirſt nicht ſterben durch deine Gemahlin; Denn ſie iſt rechtſchaffen, und Weisheit adelt die Seele 445 Von Ikarios Tochter, der klugen Paͤnelopeia. Ach wir verließen ſie einſt als junge Frau im Palaſte, Da wir zum Streit auszogen, und ihr unmuͤndiges Knaͤblein Lag an der Bruſt, der nun in den Kreis der Maͤnner ſich hinſezt. Gluͤcklicher Sohn! ihn ſchaut einſt wiederkehrend ſein Vater, 450 Und er begruͤßt den Vater mit frommer kindlicher Liebe! Aber mir hat mein Weib nicht einmal den freudigen Anblick Meines Sohnes erlaubt; ſie hat zuvor mich ermordet. Hoͤre nun meinen Rath, und bewahr' ihn ſorgſam im Herzen: Lande mit deinem Schiff ans vaterlaͤndiſche Ufer 455 Heimlich, nicht oͤffentlich an; denn nimmer iſt Weibern zu trauen! Aber verkuͤndige mir, und ſage die lautere Wahrheit: Habt ihr etwa gehoͤrt von meinem noch lebenden Sohne, In Orchomenos, oder vielleicht in der ſandigen Puͤlos,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0227"n="221"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Elfter Geſang.</hi></fw><lb/>
Freudig begruͤßt zu werden! Doch jene, das Scheuſal an Bosheit!<lb/>
Hat ihr eignes Gedaͤchtniß, und alle Weiber der Nachwelt<lb/>
Ewig entehrt, wenn eine ſich auch des Guten befleißigt!</p><lb/><p>Alſo ſprach er; und ich antwortete wieder, und ſagte: <noteplace="right">435</note><lb/>
Wehe! wie fuͤrchterlich hat Kronions waltende Vorſicht<lb/>
Durch argliſtige Weiber, den Samen Atreus von Anfang<lb/>
Heimgeſucht! Wie viele ſind Helenens halber geſtorben!<lb/>
Und du verlorſt, heimkehrend, durch Kluͤtaimnaͤſtra dein Leben!</p><lb/><p>Alſo ſprach ich; und drauf antwortete jener, und ſagte: <noteplace="right">440</note><lb/>
Laß deshalben auch du von dem Weibe nimmer dich lenken,<lb/>
Und vertrau' ihr nicht aus Zaͤrtlichkeit jedes Geheimniß;<lb/>
Sondern verkuͤndige dies, und jenes halte verborgen!<lb/>
Aber, Oduͤßeus, du wirſt nicht ſterben durch deine Gemahlin;<lb/>
Denn ſie iſt rechtſchaffen, und Weisheit adelt die Seele <noteplace="right">445</note><lb/>
Von Ikarios Tochter, der klugen Paͤnelopeia.<lb/>
Ach wir verließen ſie einſt als junge Frau im Palaſte,<lb/>
Da wir zum Streit auszogen, und ihr unmuͤndiges Knaͤblein<lb/>
Lag an der Bruſt, der nun in den Kreis der Maͤnner ſich hinſezt.<lb/>
Gluͤcklicher Sohn! ihn ſchaut einſt wiederkehrend ſein Vater, <noteplace="right">450</note><lb/>
Und er begruͤßt den Vater mit frommer kindlicher Liebe!<lb/>
Aber mir hat mein Weib nicht einmal den freudigen Anblick<lb/>
Meines Sohnes erlaubt; ſie hat zuvor mich ermordet.<lb/>
Hoͤre nun meinen Rath, und bewahr' ihn ſorgſam im Herzen:<lb/>
Lande mit deinem Schiff ans vaterlaͤndiſche Ufer <noteplace="right">455</note><lb/>
Heimlich, nicht oͤffentlich an; denn nimmer iſt Weibern zu trauen!<lb/>
Aber verkuͤndige mir, und ſage die lautere Wahrheit:<lb/>
Habt ihr etwa gehoͤrt von meinem noch lebenden Sohne,<lb/>
In Orchomenos, oder vielleicht in der ſandigen Puͤlos,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[221/0227]
Elfter Geſang.
Freudig begruͤßt zu werden! Doch jene, das Scheuſal an Bosheit!
Hat ihr eignes Gedaͤchtniß, und alle Weiber der Nachwelt
Ewig entehrt, wenn eine ſich auch des Guten befleißigt!
Alſo ſprach er; und ich antwortete wieder, und ſagte:
Wehe! wie fuͤrchterlich hat Kronions waltende Vorſicht
Durch argliſtige Weiber, den Samen Atreus von Anfang
Heimgeſucht! Wie viele ſind Helenens halber geſtorben!
Und du verlorſt, heimkehrend, durch Kluͤtaimnaͤſtra dein Leben!
435
Alſo ſprach ich; und drauf antwortete jener, und ſagte:
Laß deshalben auch du von dem Weibe nimmer dich lenken,
Und vertrau' ihr nicht aus Zaͤrtlichkeit jedes Geheimniß;
Sondern verkuͤndige dies, und jenes halte verborgen!
Aber, Oduͤßeus, du wirſt nicht ſterben durch deine Gemahlin;
Denn ſie iſt rechtſchaffen, und Weisheit adelt die Seele
Von Ikarios Tochter, der klugen Paͤnelopeia.
Ach wir verließen ſie einſt als junge Frau im Palaſte,
Da wir zum Streit auszogen, und ihr unmuͤndiges Knaͤblein
Lag an der Bruſt, der nun in den Kreis der Maͤnner ſich hinſezt.
Gluͤcklicher Sohn! ihn ſchaut einſt wiederkehrend ſein Vater,
Und er begruͤßt den Vater mit frommer kindlicher Liebe!
Aber mir hat mein Weib nicht einmal den freudigen Anblick
Meines Sohnes erlaubt; ſie hat zuvor mich ermordet.
Hoͤre nun meinen Rath, und bewahr' ihn ſorgſam im Herzen:
Lande mit deinem Schiff ans vaterlaͤndiſche Ufer
Heimlich, nicht oͤffentlich an; denn nimmer iſt Weibern zu trauen!
Aber verkuͤndige mir, und ſage die lautere Wahrheit:
Habt ihr etwa gehoͤrt von meinem noch lebenden Sohne,
In Orchomenos, oder vielleicht in der ſandigen Puͤlos,
440
445
450
455
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/227>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.