Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Odüßee.
Welche sich Tochter nannte des tadellosen Salmoneus,
Und die Ehegenoßin von Krätheus, Aiolos Sohne.
Diese liebte vordem den göttlichen Strom Enipeus,
Der durch seine Gefilde, der Ströme schönster, einherwallt.
Einst lustwandelte sie an Enipeus schönen Gewäßern; 240
Siehe da nahm der Erderschütterer seine Gestalt an,
Und beschlief sie im Sand', an der Mündung des wirbelnden Stromes.
Rings um die Liebenden stand, wie ein Berg, die purpurne Woge,
Hochgewölbt, und verbarg den Gott und die sterbliche Jungfrau.
Schmeichelnd löst' er den Gürtel der Keuschheit, und ließ sie entschlummern. 245
Und da jezo der Gott das Werk der Liebe vollendet;
Drückt' er des Mädchens Hand, und sagte mit freundlicher Stimme:

Freue dich, Mädchen, der Liebe! Du wirst im Laufe des Jahres
Herliche Söhne gebären. Denn nicht unfruchtbaren Samen
Streut ein unsterblicher Gott. Du pfleg' und nähre sie sorgsam. 250
Jezo gehe zu Haus', und schweig', und sage dies Niemand:
Ich, dein Geliebter, bin der Erderschüttrer Poseidon.

Also sprach er, und sprang in des Meers hochwallende Woge.
Türo ward schwanger, und kam mit Pelias nieder und Näleus,
Welche beide des großen Zeus gewaltige Diener 255
Wurden: Pelias einst, der iaolkischen Fluren
Heerdenreicher Beherscher, und Näleus, der sandigen Pülos.
Andere Söhne gebar dem Krätheus die Fürstin der Weiber,
Aison und Feräs, und drauf Amüthaon, den Tummler der Roße.

Auch Antiopä kam, die schöne Tochter Asopos, 260
Rühmend, sie habe geruht in Zeus des Kroniden Umarmung.
Und sie gebar dem Gott zween Söhne, Amfion und Zäthos.
Diese bauten zuerst die siebenthorichte Thäbai,

Oduͤßee.
Welche ſich Tochter nannte des tadelloſen Salmoneus,
Und die Ehegenoßin von Kraͤtheus, Aiolos Sohne.
Dieſe liebte vordem den goͤttlichen Strom Enipeus,
Der durch ſeine Gefilde, der Stroͤme ſchoͤnſter, einherwallt.
Einſt luſtwandelte ſie an Enipeus ſchoͤnen Gewaͤßern; 240
Siehe da nahm der Erderſchuͤtterer ſeine Geſtalt an,
Und beſchlief ſie im Sand', an der Muͤndung des wirbelnden Stromes.
Rings um die Liebenden ſtand, wie ein Berg, die purpurne Woge,
Hochgewoͤlbt, und verbarg den Gott und die ſterbliche Jungfrau.
Schmeichelnd loͤſt' er den Guͤrtel der Keuſchheit, und ließ ſie entſchlummern. 245
Und da jezo der Gott das Werk der Liebe vollendet;
Druͤckt' er des Maͤdchens Hand, und ſagte mit freundlicher Stimme:

Freue dich, Maͤdchen, der Liebe! Du wirſt im Laufe des Jahres
Herliche Soͤhne gebaͤren. Denn nicht unfruchtbaren Samen
Streut ein unſterblicher Gott. Du pfleg' und naͤhre ſie ſorgſam. 250
Jezo gehe zu Hauſ', und ſchweig', und ſage dies Niemand:
Ich, dein Geliebter, bin der Erderſchuͤttrer Poſeidon.

Alſo ſprach er, und ſprang in des Meers hochwallende Woge.
Tuͤro ward ſchwanger, und kam mit Pelias nieder und Naͤleus,
Welche beide des großen Zeus gewaltige Diener 255
Wurden: Pelias einſt, der iaolkiſchen Fluren
Heerdenreicher Beherſcher, und Naͤleus, der ſandigen Puͤlos.
Andere Soͤhne gebar dem Kraͤtheus die Fuͤrſtin der Weiber,
Aiſon und Feraͤs, und drauf Amuͤthaon, den Tummler der Roße.

Auch Antiopaͤ kam, die ſchoͤne Tochter Aſopos, 260
Ruͤhmend, ſie habe geruht in Zeus des Kroniden Umarmung.
Und ſie gebar dem Gott zween Soͤhne, Amfion und Zaͤthos.
Dieſe bauten zuerſt die ſiebenthorichte Thaͤbai,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0220" n="214"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Odu&#x0364;ßee.</hi></fw><lb/>
Welche &#x017F;ich Tochter nannte des tadello&#x017F;en Salmoneus,<lb/>
Und die Ehegenoßin von Kra&#x0364;theus, Aiolos Sohne.<lb/>
Die&#x017F;e liebte vordem den go&#x0364;ttlichen Strom Enipeus,<lb/>
Der durch &#x017F;eine Gefilde, der Stro&#x0364;me &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ter, einherwallt.<lb/>
Ein&#x017F;t lu&#x017F;twandelte &#x017F;ie an Enipeus &#x017F;cho&#x0364;nen Gewa&#x0364;ßern; <note place="right">240</note><lb/>
Siehe da nahm der Erder&#x017F;chu&#x0364;tterer &#x017F;eine Ge&#x017F;talt an,<lb/>
Und be&#x017F;chlief &#x017F;ie im Sand', an der Mu&#x0364;ndung des wirbelnden Stromes.<lb/>
Rings um die Liebenden &#x017F;tand, wie ein Berg, die purpurne Woge,<lb/>
Hochgewo&#x0364;lbt, und verbarg den Gott und die &#x017F;terbliche Jungfrau.<lb/>
Schmeichelnd lo&#x0364;&#x017F;t' er den Gu&#x0364;rtel der Keu&#x017F;chheit, und ließ &#x017F;ie ent&#x017F;chlummern. <note place="right">245</note><lb/>
Und da jezo der Gott das Werk der Liebe vollendet;<lb/>
Dru&#x0364;ckt' er des Ma&#x0364;dchens Hand, und &#x017F;agte mit freundlicher Stimme:</p><lb/>
        <p>Freue dich, Ma&#x0364;dchen, der Liebe! Du wir&#x017F;t im Laufe des Jahres<lb/>
Herliche So&#x0364;hne geba&#x0364;ren. Denn nicht unfruchtbaren Samen<lb/>
Streut ein un&#x017F;terblicher Gott. Du pfleg' und na&#x0364;hre &#x017F;ie &#x017F;org&#x017F;am. <note place="right">250</note><lb/>
Jezo gehe zu Hau&#x017F;', und &#x017F;chweig', und &#x017F;age dies Niemand:<lb/>
Ich, dein Geliebter, bin der Erder&#x017F;chu&#x0364;ttrer Po&#x017F;eidon.</p><lb/>
        <p>Al&#x017F;o &#x017F;prach er, und &#x017F;prang in des Meers hochwallende Woge.<lb/>
Tu&#x0364;ro ward &#x017F;chwanger, und kam mit Pelias nieder und Na&#x0364;leus,<lb/>
Welche beide des großen Zeus gewaltige Diener <note place="right">255</note><lb/>
Wurden: Pelias ein&#x017F;t, der iaolki&#x017F;chen Fluren<lb/>
Heerdenreicher Beher&#x017F;cher, und Na&#x0364;leus, der &#x017F;andigen Pu&#x0364;los.<lb/>
Andere So&#x0364;hne gebar dem Kra&#x0364;theus die Fu&#x0364;r&#x017F;tin der Weiber,<lb/>
Ai&#x017F;on und Fera&#x0364;s, und drauf Amu&#x0364;thaon, den Tummler der Roße.</p><lb/>
        <p>Auch Antiopa&#x0364; kam, die &#x017F;cho&#x0364;ne Tochter A&#x017F;opos, <note place="right">260</note><lb/>
Ru&#x0364;hmend, &#x017F;ie habe geruht in Zeus des Kroniden Umarmung.<lb/>
Und &#x017F;ie gebar dem Gott zween So&#x0364;hne, Amfion und Za&#x0364;thos.<lb/>
Die&#x017F;e bauten zuer&#x017F;t die &#x017F;iebenthorichte Tha&#x0364;bai,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[214/0220] Oduͤßee. Welche ſich Tochter nannte des tadelloſen Salmoneus, Und die Ehegenoßin von Kraͤtheus, Aiolos Sohne. Dieſe liebte vordem den goͤttlichen Strom Enipeus, Der durch ſeine Gefilde, der Stroͤme ſchoͤnſter, einherwallt. Einſt luſtwandelte ſie an Enipeus ſchoͤnen Gewaͤßern; Siehe da nahm der Erderſchuͤtterer ſeine Geſtalt an, Und beſchlief ſie im Sand', an der Muͤndung des wirbelnden Stromes. Rings um die Liebenden ſtand, wie ein Berg, die purpurne Woge, Hochgewoͤlbt, und verbarg den Gott und die ſterbliche Jungfrau. Schmeichelnd loͤſt' er den Guͤrtel der Keuſchheit, und ließ ſie entſchlummern. Und da jezo der Gott das Werk der Liebe vollendet; Druͤckt' er des Maͤdchens Hand, und ſagte mit freundlicher Stimme: 240 245 Freue dich, Maͤdchen, der Liebe! Du wirſt im Laufe des Jahres Herliche Soͤhne gebaͤren. Denn nicht unfruchtbaren Samen Streut ein unſterblicher Gott. Du pfleg' und naͤhre ſie ſorgſam. Jezo gehe zu Hauſ', und ſchweig', und ſage dies Niemand: Ich, dein Geliebter, bin der Erderſchuͤttrer Poſeidon. 250 Alſo ſprach er, und ſprang in des Meers hochwallende Woge. Tuͤro ward ſchwanger, und kam mit Pelias nieder und Naͤleus, Welche beide des großen Zeus gewaltige Diener Wurden: Pelias einſt, der iaolkiſchen Fluren Heerdenreicher Beherſcher, und Naͤleus, der ſandigen Puͤlos. Andere Soͤhne gebar dem Kraͤtheus die Fuͤrſtin der Weiber, Aiſon und Feraͤs, und drauf Amuͤthaon, den Tummler der Roße. 255 Auch Antiopaͤ kam, die ſchoͤne Tochter Aſopos, Ruͤhmend, ſie habe geruht in Zeus des Kroniden Umarmung. Und ſie gebar dem Gott zween Soͤhne, Amfion und Zaͤthos. Dieſe bauten zuerſt die ſiebenthorichte Thaͤbai, 260

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/220
Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/220>, abgerufen am 23.11.2024.