Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Odüßee.
Und den schäumenden Kelch umhauchten balsamische Düfte,210
Göttlicher Kraft: da war es gewiß nicht Freude zu dursten!
Hiermit füllt' ich den großen Schlauch, den Ranzen mit Speise;
Denn mir ahndete schon im Heldengeiste, wir würden
Einen Mann besuchen, mit großer Stärke gerüstet,
Grausam und ungerecht, und durch keine Geseze gebändigt.215

Eilig wanderten wir zur Höhl', und fanden den Riesen
Nicht daheim; er weidete schon auf der Weide die Heerden.
Und wir gingen hinein, und besahen wundernd die Höhle.
Alle Körbe strozten von Käse; Lämmer und Zicklein
Drängeten sich in den Ställen, und jede waren besonders220
Eingesperrt: die Frühling' allein, allein auch die Mittlern,
Und die zarten Spätling' allein. Es schwammen in Molken
Alle Gefäße, die Wannen und Eimer, worinnen er melkte.
Anfangs baten mich zwar die Freunde mit dringenden Worten,
Nur von den Käsen zu nehmen, und wegzuschleichen; dann wieder,225
Hurtig zu unserm Schiff' aus den Ställen die Lämmer und Zicklein
Wegzutreiben, und über die salzigen Fluten zu steuern.
Aber ich hörete nicht; (ach beßer, hätt' ich gehöret!)
Um ihn selber zu sehn, und seiner Bewirtung zu harren:
Ach für meine Gefährten ein unerfreulicher Anblick!230

Und wir zündeten Feuer, und opferten; nahmen dann selber
Von den Käsen und aßen, und sezten uns voller Erwartung,
Bis er kam mit der Heerd'. Er trug eine mächtige Ladung
Trockenes Scheiterholz, das er zum Mahle gespaltet.
Und in der Höhle stürzt' er es hin: da krachte der Felsen;235
Und wir erschraken, und flohn in den innersten Winkel der Höhle.
Aber er trieb in die Kluft die fetten Ziegen und Schafe

Oduͤßee.
Und den ſchaͤumenden Kelch umhauchten balſamiſche Duͤfte,210
Goͤttlicher Kraft: da war es gewiß nicht Freude zu durſten!
Hiermit fuͤllt' ich den großen Schlauch, den Ranzen mit Speiſe;
Denn mir ahndete ſchon im Heldengeiſte, wir wuͤrden
Einen Mann beſuchen, mit großer Staͤrke geruͤſtet,
Grauſam und ungerecht, und durch keine Geſeze gebaͤndigt.215

Eilig wanderten wir zur Hoͤhl', und fanden den Rieſen
Nicht daheim; er weidete ſchon auf der Weide die Heerden.
Und wir gingen hinein, und beſahen wundernd die Hoͤhle.
Alle Koͤrbe ſtrozten von Kaͤſe; Laͤmmer und Zicklein
Draͤngeten ſich in den Staͤllen, und jede waren beſonders220
Eingeſperrt: die Fruͤhling' allein, allein auch die Mittlern,
Und die zarten Spaͤtling' allein. Es ſchwammen in Molken
Alle Gefaͤße, die Wannen und Eimer, worinnen er melkte.
Anfangs baten mich zwar die Freunde mit dringenden Worten,
Nur von den Kaͤſen zu nehmen, und wegzuſchleichen; dann wieder,225
Hurtig zu unſerm Schiff' aus den Staͤllen die Laͤmmer und Zicklein
Wegzutreiben, und uͤber die ſalzigen Fluten zu ſteuern.
Aber ich hoͤrete nicht; (ach beßer, haͤtt' ich gehoͤret!)
Um ihn ſelber zu ſehn, und ſeiner Bewirtung zu harren:
Ach fuͤr meine Gefaͤhrten ein unerfreulicher Anblick!230

Und wir zuͤndeten Feuer, und opferten; nahmen dann ſelber
Von den Kaͤſen und aßen, und ſezten uns voller Erwartung,
Bis er kam mit der Heerd'. Er trug eine maͤchtige Ladung
Trockenes Scheiterholz, das er zum Mahle geſpaltet.
Und in der Hoͤhle ſtuͤrzt' er es hin: da krachte der Felſen;235
Und wir erſchraken, und flohn in den innerſten Winkel der Hoͤhle.
Aber er trieb in die Kluft die fetten Ziegen und Schafe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0176" n="170"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Odu&#x0364;ßee.</hi></fw><lb/>
Und den &#x017F;cha&#x0364;umenden Kelch umhauchten bal&#x017F;ami&#x017F;che Du&#x0364;fte,<note place="right">210</note><lb/>
Go&#x0364;ttlicher Kraft: da war es gewiß nicht Freude zu dur&#x017F;ten!<lb/>
Hiermit fu&#x0364;llt' ich den großen Schlauch, den Ranzen mit Spei&#x017F;e;<lb/>
Denn mir ahndete &#x017F;chon im Heldengei&#x017F;te, wir wu&#x0364;rden<lb/>
Einen Mann be&#x017F;uchen, mit großer Sta&#x0364;rke geru&#x0364;&#x017F;tet,<lb/>
Grau&#x017F;am und ungerecht, und durch keine Ge&#x017F;eze geba&#x0364;ndigt.<note place="right">215</note></p><lb/>
        <p>Eilig wanderten wir zur Ho&#x0364;hl', und fanden den Rie&#x017F;en<lb/>
Nicht daheim; er weidete &#x017F;chon auf der Weide die Heerden.<lb/>
Und wir gingen hinein, und be&#x017F;ahen wundernd die Ho&#x0364;hle.<lb/>
Alle Ko&#x0364;rbe &#x017F;trozten von Ka&#x0364;&#x017F;e; La&#x0364;mmer und Zicklein<lb/>
Dra&#x0364;ngeten &#x017F;ich in den Sta&#x0364;llen, und jede waren be&#x017F;onders<note place="right">220</note><lb/>
Einge&#x017F;perrt: die Fru&#x0364;hling' allein, allein auch die Mittlern,<lb/>
Und die zarten Spa&#x0364;tling' allein. Es &#x017F;chwammen in Molken<lb/>
Alle Gefa&#x0364;ße, die Wannen und Eimer, worinnen er melkte.<lb/>
Anfangs baten mich zwar die Freunde mit dringenden Worten,<lb/>
Nur von den Ka&#x0364;&#x017F;en zu nehmen, und wegzu&#x017F;chleichen; dann wieder,<note place="right">225</note><lb/>
Hurtig zu un&#x017F;erm Schiff' aus den Sta&#x0364;llen die La&#x0364;mmer und Zicklein<lb/>
Wegzutreiben, und u&#x0364;ber die &#x017F;alzigen Fluten zu &#x017F;teuern.<lb/>
Aber ich ho&#x0364;rete nicht; (ach beßer, ha&#x0364;tt' ich geho&#x0364;ret!)<lb/>
Um ihn &#x017F;elber zu &#x017F;ehn, und &#x017F;einer Bewirtung zu harren:<lb/>
Ach fu&#x0364;r meine Gefa&#x0364;hrten ein unerfreulicher Anblick!<note place="right">230</note></p><lb/>
        <p>Und wir zu&#x0364;ndeten Feuer, und opferten; nahmen dann &#x017F;elber<lb/>
Von den Ka&#x0364;&#x017F;en und aßen, und &#x017F;ezten uns voller Erwartung,<lb/>
Bis er kam mit der Heerd'. Er trug eine ma&#x0364;chtige Ladung<lb/>
Trockenes Scheiterholz, das er zum Mahle ge&#x017F;paltet.<lb/>
Und in der Ho&#x0364;hle &#x017F;tu&#x0364;rzt' er es hin: da krachte der Fel&#x017F;en;<note place="right">235</note><lb/>
Und wir er&#x017F;chraken, und flohn in den inner&#x017F;ten Winkel der Ho&#x0364;hle.<lb/>
Aber er trieb in die Kluft die fetten Ziegen und Schafe<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[170/0176] Oduͤßee. Und den ſchaͤumenden Kelch umhauchten balſamiſche Duͤfte, Goͤttlicher Kraft: da war es gewiß nicht Freude zu durſten! Hiermit fuͤllt' ich den großen Schlauch, den Ranzen mit Speiſe; Denn mir ahndete ſchon im Heldengeiſte, wir wuͤrden Einen Mann beſuchen, mit großer Staͤrke geruͤſtet, Grauſam und ungerecht, und durch keine Geſeze gebaͤndigt. 210 215 Eilig wanderten wir zur Hoͤhl', und fanden den Rieſen Nicht daheim; er weidete ſchon auf der Weide die Heerden. Und wir gingen hinein, und beſahen wundernd die Hoͤhle. Alle Koͤrbe ſtrozten von Kaͤſe; Laͤmmer und Zicklein Draͤngeten ſich in den Staͤllen, und jede waren beſonders Eingeſperrt: die Fruͤhling' allein, allein auch die Mittlern, Und die zarten Spaͤtling' allein. Es ſchwammen in Molken Alle Gefaͤße, die Wannen und Eimer, worinnen er melkte. Anfangs baten mich zwar die Freunde mit dringenden Worten, Nur von den Kaͤſen zu nehmen, und wegzuſchleichen; dann wieder, Hurtig zu unſerm Schiff' aus den Staͤllen die Laͤmmer und Zicklein Wegzutreiben, und uͤber die ſalzigen Fluten zu ſteuern. Aber ich hoͤrete nicht; (ach beßer, haͤtt' ich gehoͤret!) Um ihn ſelber zu ſehn, und ſeiner Bewirtung zu harren: Ach fuͤr meine Gefaͤhrten ein unerfreulicher Anblick! 220 225 230 Und wir zuͤndeten Feuer, und opferten; nahmen dann ſelber Von den Kaͤſen und aßen, und ſezten uns voller Erwartung, Bis er kam mit der Heerd'. Er trug eine maͤchtige Ladung Trockenes Scheiterholz, das er zum Mahle geſpaltet. Und in der Hoͤhle ſtuͤrzt' er es hin: da krachte der Felſen; Und wir erſchraken, und flohn in den innerſten Winkel der Hoͤhle. Aber er trieb in die Kluft die fetten Ziegen und Schafe 235

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/176
Zitationshilfe: Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/176>, abgerufen am 22.11.2024.