So bedachtsam und schlau ist alles, was du geredet! Nun mir zeuge die Erde, der weite Himmel dort oben, Und die stügischen Waßer der Tiefe; welches der größte 185 Furchtbarste Eidschwur ist für alle unsterblichen Götter: Daß ich bei mir nichts anders zu deinem Verderben beschließe! Sondern ich denke so und rede, wie ich mir selber Suchen würde zu rathen, wär' ich in gleicher Bedrängniß! Denn ich denke gewiß nicht ganz unbillig, und trage 190 Nicht im Busen ein Herz von Eisen, sondern voll Mitleid!
Also sprach sie, und ging, die hehre Göttin Kalüpso, Eilend voran, und er folgte den Schritten der wandelnden Göttin. Und sie kamen zur Grotte, die Göttin und ihr Geliebter. Alda sezte der Held auf den Thron sich nieder, auf welchem 195 Hermäs hatte geseßen. Ihm reichte die heilige Nümfe Allerlei Speis' und Trank, was sterbliche Männer genießen; Sezte sich dann entgegen dem göttergleichen Odüßeus, Und Ambrosia reichten ihr Dienerinnen und Nektar. Und sie erhoben die Hände zum leckerbereiteten Mahle. 200 Als sie jezo ihr Herz mit Trank und Speise gesättigt; Da begann das Gespräch die hehre Göttin Kalüpso:
Edler Laertiad', erfindungsreicher Odüßeus, Also willst du mich nun so bald verlaßen, und wieder In dein geliebtes Vaterland gehn? Nun Glück auf die Reise! 205 Aber wüßte dein Herz, wie viele Leiden das Schicksal Dir zu dulden bestimmt, bevor du zur Heimat gelangest; Gerne würdest du bleiben, mit mir die Grotte bewohnen, Und ein Unsterblicher sein: wie sehr du auch wünschest, die Gattin Wiederzusehn, nach welcher du stets so herzlich dich sehnest! 210
Oduͤßee.
So bedachtſam und ſchlau iſt alles, was du geredet! Nun mir zeuge die Erde, der weite Himmel dort oben, Und die ſtuͤgiſchen Waßer der Tiefe; welches der groͤßte 185 Furchtbarſte Eidſchwur iſt fuͤr alle unſterblichen Goͤtter: Daß ich bei mir nichts anders zu deinem Verderben beſchließe! Sondern ich denke ſo und rede, wie ich mir ſelber Suchen wuͤrde zu rathen, waͤr' ich in gleicher Bedraͤngniß! Denn ich denke gewiß nicht ganz unbillig, und trage 190 Nicht im Buſen ein Herz von Eiſen, ſondern voll Mitleid!
Alſo ſprach ſie, und ging, die hehre Goͤttin Kaluͤpſo, Eilend voran, und er folgte den Schritten der wandelnden Goͤttin. Und ſie kamen zur Grotte, die Goͤttin und ihr Geliebter. Alda ſezte der Held auf den Thron ſich nieder, auf welchem 195 Hermaͤs hatte geſeßen. Ihm reichte die heilige Nuͤmfe Allerlei Speiſ' und Trank, was ſterbliche Maͤnner genießen; Sezte ſich dann entgegen dem goͤttergleichen Oduͤßeus, Und Ambroſia reichten ihr Dienerinnen und Nektar. Und ſie erhoben die Haͤnde zum leckerbereiteten Mahle. 200 Als ſie jezo ihr Herz mit Trank und Speiſe geſaͤttigt; Da begann das Geſpraͤch die hehre Goͤttin Kaluͤpſo:
Edler Laertiad', erfindungsreicher Oduͤßeus, Alſo willſt du mich nun ſo bald verlaßen, und wieder In dein geliebtes Vaterland gehn? Nun Gluͤck auf die Reiſe! 205 Aber wuͤßte dein Herz, wie viele Leiden das Schickſal Dir zu dulden beſtimmt, bevor du zur Heimat gelangeſt; Gerne wuͤrdeſt du bleiben, mit mir die Grotte bewohnen, Und ein Unſterblicher ſein: wie ſehr du auch wuͤnſcheſt, die Gattin Wiederzuſehn, nach welcher du ſtets ſo herzlich dich ſehneſt! 210
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Oduͤßee.
So bedachtſam und ſchlau iſt alles, was du geredet!
Nun mir zeuge die Erde, der weite Himmel dort oben,
Und die ſtuͤgiſchen Waßer der Tiefe; welches der groͤßte
Furchtbarſte Eidſchwur iſt fuͤr alle unſterblichen Goͤtter:
Daß ich bei mir nichts anders zu deinem Verderben beſchließe!
Sondern ich denke ſo und rede, wie ich mir ſelber
Suchen wuͤrde zu rathen, waͤr' ich in gleicher Bedraͤngniß!
Denn ich denke gewiß nicht ganz unbillig, und trage
Nicht im Buſen ein Herz von Eiſen, ſondern voll Mitleid!
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Alſo ſprach ſie, und ging, die hehre Goͤttin Kaluͤpſo,
Eilend voran, und er folgte den Schritten der wandelnden Goͤttin.
Und ſie kamen zur Grotte, die Goͤttin und ihr Geliebter.
Alda ſezte der Held auf den Thron ſich nieder, auf welchem
Hermaͤs hatte geſeßen. Ihm reichte die heilige Nuͤmfe
Allerlei Speiſ' und Trank, was ſterbliche Maͤnner genießen;
Sezte ſich dann entgegen dem goͤttergleichen Oduͤßeus,
Und Ambroſia reichten ihr Dienerinnen und Nektar.
Und ſie erhoben die Haͤnde zum leckerbereiteten Mahle.
Als ſie jezo ihr Herz mit Trank und Speiſe geſaͤttigt;
Da begann das Geſpraͤch die hehre Goͤttin Kaluͤpſo:
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Edler Laertiad', erfindungsreicher Oduͤßeus,
Alſo willſt du mich nun ſo bald verlaßen, und wieder
In dein geliebtes Vaterland gehn? Nun Gluͤck auf die Reiſe!
Aber wuͤßte dein Herz, wie viele Leiden das Schickſal
Dir zu dulden beſtimmt, bevor du zur Heimat gelangeſt;
Gerne wuͤrdeſt du bleiben, mit mir die Grotte bewohnen,
Und ein Unſterblicher ſein: wie ſehr du auch wuͤnſcheſt, die Gattin
Wiederzuſehn, nach welcher du ſtets ſo herzlich dich ſehneſt!
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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/108>, abgerufen am 22.07.2024.
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