ligen Griechenlands hatten damals die Otto¬ mannen inne, ein kräftig Volk, voll Religion und warmer Phantasie, doch weit zurückgeblieben in den Wissenschaften. Sie mußten bald aus Europa weichen, wo ihr Sultan, durch mehrere Jahrhunderte, auf Constantins Thron gesessen hatte. Allein ihr reizend Gebiet in Europa ward der Zankapfel zwischen den beiden Gro߬ monarchien. Neu-Griechen und Neu-Römer machten ihre Ansprüche darauf mit dem Schwerdte gültig. Eine verheerende Fehde folgte der an¬ dern, die Menschheit blutete. Man sah in den lachenden Gegenden nur Ruinen, entvölkerte Wohnplätze, verwüstete Auen. Umsonst mahnte Philosophie der blutenden Menschheit zu schonen. Zu gewaltig fühlten sich die Streitkräfte, zu ent¬ flammt waren die ehrgeizigen Gemüther, stolzer gemacht durch bedeutende Erfolge und immer weiter strebend in ungemessenen Entwürfen.
Zuletzt veranstalteten beide Kaiser eine Unter¬ redung zu Constantinopel. Mein muß Europa gehören, sagte der Occidentale, die Natur seiner Gränzen weist mich darauf an, ich ende den Kampf darum nicht und sollte das lebende Ge¬ schlecht darin untergehn. Doch nimm dir vom
ligen Griechenlands hatten damals die Otto¬ mannen inne, ein kraͤftig Volk, voll Religion und warmer Phantaſie, doch weit zuruͤckgeblieben in den Wiſſenſchaften. Sie mußten bald aus Europa weichen, wo ihr Sultan, durch mehrere Jahrhunderte, auf Conſtantins Thron geſeſſen hatte. Allein ihr reizend Gebiet in Europa ward der Zankapfel zwiſchen den beiden Gro߬ monarchien. Neu-Griechen und Neu-Roͤmer machten ihre Anſpruͤche darauf mit dem Schwerdte guͤltig. Eine verheerende Fehde folgte der an¬ dern, die Menſchheit blutete. Man ſah in den lachenden Gegenden nur Ruinen, entvoͤlkerte Wohnplaͤtze, verwuͤſtete Auen. Umſonſt mahnte Philoſophie der blutenden Menſchheit zu ſchonen. Zu gewaltig fuͤhlten ſich die Streitkraͤfte, zu ent¬ flammt waren die ehrgeizigen Gemuͤther, ſtolzer gemacht durch bedeutende Erfolge und immer weiter ſtrebend in ungemeſſenen Entwuͤrfen.
Zuletzt veranſtalteten beide Kaiſer eine Unter¬ redung zu Conſtantinopel. Mein muß Europa gehoͤren, ſagte der Occidentale, die Natur ſeiner Graͤnzen weiſt mich darauf an, ich ende den Kampf darum nicht und ſollte das lebende Ge¬ ſchlecht darin untergehn. Doch nimm dir vom
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ligen Griechenlands hatten damals die Otto¬
mannen inne, ein kraͤftig Volk, voll Religion
und warmer Phantaſie, doch weit zuruͤckgeblieben
in den Wiſſenſchaften. Sie mußten bald aus
Europa weichen, wo ihr Sultan, durch mehrere
Jahrhunderte, auf Conſtantins Thron geſeſſen
hatte. Allein ihr reizend Gebiet in Europa
ward der Zankapfel zwiſchen den beiden Gro߬
monarchien. Neu-Griechen und Neu-Roͤmer
machten ihre Anſpruͤche darauf mit dem Schwerdte
guͤltig. Eine verheerende Fehde folgte der an¬
dern, die Menſchheit blutete. Man ſah in den
lachenden Gegenden nur Ruinen, entvoͤlkerte
Wohnplaͤtze, verwuͤſtete Auen. Umſonſt mahnte
Philoſophie der blutenden Menſchheit zu ſchonen.
Zu gewaltig fuͤhlten ſich die Streitkraͤfte, zu ent¬
flammt waren die ehrgeizigen Gemuͤther, ſtolzer
gemacht durch bedeutende Erfolge und immer
weiter ſtrebend in ungemeſſenen Entwuͤrfen.
Zuletzt veranſtalteten beide Kaiſer eine Unter¬
redung zu Conſtantinopel. Mein muß Europa
gehoͤren, ſagte der Occidentale, die Natur ſeiner
Graͤnzen weiſt mich darauf an, ich ende den
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Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/55>, abgerufen am 22.11.2024.
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