Mund in zwei rosenhaft prangenden, sanft ge¬ spannten Lippen, darstellten, begannen seinen Puls zu erhöhen. Alles mahnte ihn an Ini, nur eine etwas längere Gestalt sah er hier. Er konnte nicht umhin, der freundlichen Erscheinung im Gedränge zu folgen, den trunkenen Blick ihr nachzusenden, endlich bebend die Maske zum Tanz einzuladen. Sein Verlangen ward erfüllt, selig flog er mit der Schönheit durch die Rei¬ hen. Ihre Berührung traf ihn wie elektrische Funken. Gefühle wie aus anderen Welten durchströmten ihn. Die Musik, nur Melodien der Liebe und Wollust athmend, nahm das noch Uebrige seiner Besonnenheit hin.
Wien, schon im Alterthum seiner Tonkünstler wegen gerühmt, hatte auch zeither hierin den Vorrang behauptet. Die Revoluzion der Musik, Ehedem kaum geahnt, war von Wien ausge¬ gangen. Wo sonst die Töne wild und dunkel schwärmten, fand jetzt alles klare Bedeutung. Die Musik hatte, was ihr immer fehlte, ihre Grammatik empfangen, auf diese gründete sich die Uebereinkunft wegen ihrer Sprache. So konnten die bestimmten Zusammenklänge, Figu¬ ren, Zeitmaaße, Worte vertreten; Poesien, Re¬
Mund in zwei roſenhaft prangenden, ſanft ge¬ ſpannten Lippen, darſtellten, begannen ſeinen Puls zu erhoͤhen. Alles mahnte ihn an Ini, nur eine etwas laͤngere Geſtalt ſah er hier. Er konnte nicht umhin, der freundlichen Erſcheinung im Gedraͤnge zu folgen, den trunkenen Blick ihr nachzuſenden, endlich bebend die Maske zum Tanz einzuladen. Sein Verlangen ward erfuͤllt, ſelig flog er mit der Schoͤnheit durch die Rei¬ hen. Ihre Beruͤhrung traf ihn wie elektriſche Funken. Gefuͤhle wie aus anderen Welten durchſtroͤmten ihn. Die Muſik, nur Melodien der Liebe und Wolluſt athmend, nahm das noch Uebrige ſeiner Beſonnenheit hin.
Wien, ſchon im Alterthum ſeiner Tonkuͤnſtler wegen geruͤhmt, hatte auch zeither hierin den Vorrang behauptet. Die Revoluzion der Muſik, Ehedem kaum geahnt, war von Wien ausge¬ gangen. Wo ſonſt die Toͤne wild und dunkel ſchwaͤrmten, fand jetzt alles klare Bedeutung. Die Muſik hatte, was ihr immer fehlte, ihre Grammatik empfangen, auf dieſe gruͤndete ſich die Uebereinkunft wegen ihrer Sprache. So konnten die beſtimmten Zuſammenklaͤnge, Figu¬ ren, Zeitmaaße, Worte vertreten; Poeſien, Re¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0234"n="222"/>
Mund in zwei roſenhaft prangenden, ſanft ge¬<lb/>ſpannten Lippen, darſtellten, begannen ſeinen Puls<lb/>
zu erhoͤhen. Alles mahnte ihn an Ini, nur eine<lb/>
etwas laͤngere Geſtalt ſah er hier. Er konnte<lb/>
nicht umhin, der freundlichen Erſcheinung im<lb/>
Gedraͤnge zu folgen, den trunkenen Blick ihr<lb/>
nachzuſenden, endlich bebend die Maske zum<lb/>
Tanz einzuladen. Sein Verlangen ward erfuͤllt,<lb/>ſelig flog er mit der Schoͤnheit durch die Rei¬<lb/>
hen. Ihre Beruͤhrung traf ihn wie elektriſche<lb/>
Funken. Gefuͤhle wie aus anderen Welten<lb/>
durchſtroͤmten ihn. Die Muſik, nur Melodien<lb/>
der Liebe und Wolluſt athmend, nahm das noch<lb/>
Uebrige ſeiner Beſonnenheit hin.</p><lb/><p>Wien, ſchon im Alterthum ſeiner Tonkuͤnſtler<lb/>
wegen geruͤhmt, hatte auch zeither hierin den<lb/>
Vorrang behauptet. Die Revoluzion der Muſik,<lb/>
Ehedem kaum geahnt, war von Wien ausge¬<lb/>
gangen. Wo ſonſt die Toͤne wild und dunkel<lb/>ſchwaͤrmten, fand jetzt alles klare Bedeutung.<lb/>
Die Muſik hatte, was ihr immer fehlte, ihre<lb/>
Grammatik empfangen, auf dieſe gruͤndete ſich<lb/>
die Uebereinkunft wegen ihrer Sprache. So<lb/>
konnten die beſtimmten Zuſammenklaͤnge, Figu¬<lb/>
ren, Zeitmaaße, Worte vertreten; Poeſien, Re¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[222/0234]
Mund in zwei roſenhaft prangenden, ſanft ge¬
ſpannten Lippen, darſtellten, begannen ſeinen Puls
zu erhoͤhen. Alles mahnte ihn an Ini, nur eine
etwas laͤngere Geſtalt ſah er hier. Er konnte
nicht umhin, der freundlichen Erſcheinung im
Gedraͤnge zu folgen, den trunkenen Blick ihr
nachzuſenden, endlich bebend die Maske zum
Tanz einzuladen. Sein Verlangen ward erfuͤllt,
ſelig flog er mit der Schoͤnheit durch die Rei¬
hen. Ihre Beruͤhrung traf ihn wie elektriſche
Funken. Gefuͤhle wie aus anderen Welten
durchſtroͤmten ihn. Die Muſik, nur Melodien
der Liebe und Wolluſt athmend, nahm das noch
Uebrige ſeiner Beſonnenheit hin.
Wien, ſchon im Alterthum ſeiner Tonkuͤnſtler
wegen geruͤhmt, hatte auch zeither hierin den
Vorrang behauptet. Die Revoluzion der Muſik,
Ehedem kaum geahnt, war von Wien ausge¬
gangen. Wo ſonſt die Toͤne wild und dunkel
ſchwaͤrmten, fand jetzt alles klare Bedeutung.
Die Muſik hatte, was ihr immer fehlte, ihre
Grammatik empfangen, auf dieſe gruͤndete ſich
die Uebereinkunft wegen ihrer Sprache. So
konnten die beſtimmten Zuſammenklaͤnge, Figu¬
ren, Zeitmaaße, Worte vertreten; Poeſien, Re¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/234>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.