Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Philosophie sah dies gegenwärtig wohl
ein und trug zur Belehrung nur ihre eigne Ge¬
schichte vor. Die letzteren Sisteme, die jüngsten
Träume vom Uebersinnlichen, mußten nothwen¬
dig, nach einem um so größern Maaßstabe ange¬
legt worden sein, als die Erkenntniß im Gebiet
des Sinnlichen sich mehr ausgebreitet hatte.
Man trug sie vor, beschied sich abzusprechen und
überließ jedem Denker -- sich zum höchsten We¬
sen anbetend zu wenden.

Guido, bereits früh mit jugendlicher Weisheit
ausgestattet, zeither, wie wir schon berichtet ha¬
ben, eifrig dem Studium der weisesten Schrif¬
ten dieser Zeit hingegeben, umfaßte nun, schnell
in sich aufnehmend, was er hier sah und hörte,
und vollendeter wurde der tiefe kräftige Denker.
Die Hochgefühle seines stammenden Thatentrie¬
bes, wurden dadurch wechselnd gemildert und
angefacht.

Wahre geistige Religion, in Bewunderung
der Natur und Allmacht, lenkte sein Gemüth
zum höheren Aufflug als je, und die Liebe, in
ihrer immer reineren Mistik, schmiegte sich an
alles Empfundene und Gedachte.

Die Philoſophie ſah dies gegenwaͤrtig wohl
ein und trug zur Belehrung nur ihre eigne Ge¬
ſchichte vor. Die letzteren Siſteme, die juͤngſten
Traͤume vom Ueberſinnlichen, mußten nothwen¬
dig, nach einem um ſo groͤßern Maaßſtabe ange¬
legt worden ſein, als die Erkenntniß im Gebiet
des Sinnlichen ſich mehr ausgebreitet hatte.
Man trug ſie vor, beſchied ſich abzuſprechen und
uͤberließ jedem Denker — ſich zum hoͤchſten We¬
ſen anbetend zu wenden.

Guido, bereits fruͤh mit jugendlicher Weisheit
ausgeſtattet, zeither, wie wir ſchon berichtet ha¬
ben, eifrig dem Studium der weiſeſten Schrif¬
ten dieſer Zeit hingegeben, umfaßte nun, ſchnell
in ſich aufnehmend, was er hier ſah und hoͤrte,
und vollendeter wurde der tiefe kraͤftige Denker.
Die Hochgefuͤhle ſeines ſtammenden Thatentrie¬
bes, wurden dadurch wechſelnd gemildert und
angefacht.

Wahre geiſtige Religion, in Bewunderung
der Natur und Allmacht, lenkte ſein Gemuͤth
zum hoͤheren Aufflug als je, und die Liebe, in
ihrer immer reineren Miſtik, ſchmiegte ſich an
alles Empfundene und Gedachte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0226" n="214"/>
          <p>Die Philo&#x017F;ophie &#x017F;ah dies gegenwa&#x0364;rtig wohl<lb/>
ein und trug zur Belehrung nur ihre eigne Ge¬<lb/>
&#x017F;chichte vor. Die letzteren Si&#x017F;teme, die ju&#x0364;ng&#x017F;ten<lb/>
Tra&#x0364;ume vom Ueber&#x017F;innlichen, mußten nothwen¬<lb/>
dig, nach einem um &#x017F;o gro&#x0364;ßern Maaß&#x017F;tabe ange¬<lb/>
legt worden &#x017F;ein, als die Erkenntniß im Gebiet<lb/>
des Sinnlichen &#x017F;ich mehr ausgebreitet hatte.<lb/>
Man trug &#x017F;ie vor, be&#x017F;chied &#x017F;ich abzu&#x017F;prechen und<lb/>
u&#x0364;berließ jedem Denker &#x2014; &#x017F;ich zum ho&#x0364;ch&#x017F;ten We¬<lb/>
&#x017F;en anbetend zu wenden.</p><lb/>
          <p>Guido, bereits fru&#x0364;h mit jugendlicher Weisheit<lb/>
ausge&#x017F;tattet, zeither, wie wir &#x017F;chon berichtet ha¬<lb/>
ben, eifrig dem Studium der wei&#x017F;e&#x017F;ten Schrif¬<lb/>
ten die&#x017F;er Zeit hingegeben, umfaßte nun, &#x017F;chnell<lb/>
in &#x017F;ich aufnehmend, was er hier &#x017F;ah und ho&#x0364;rte,<lb/>
und vollendeter wurde der tiefe kra&#x0364;ftige Denker.<lb/>
Die Hochgefu&#x0364;hle &#x017F;eines &#x017F;tammenden Thatentrie¬<lb/>
bes, wurden dadurch wech&#x017F;elnd gemildert und<lb/>
angefacht.</p><lb/>
          <p>Wahre gei&#x017F;tige Religion, in Bewunderung<lb/>
der Natur und Allmacht, lenkte &#x017F;ein Gemu&#x0364;th<lb/>
zum ho&#x0364;heren Aufflug als je, und die Liebe, in<lb/>
ihrer immer reineren Mi&#x017F;tik, &#x017F;chmiegte &#x017F;ich an<lb/>
alles Empfundene und Gedachte.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[214/0226] Die Philoſophie ſah dies gegenwaͤrtig wohl ein und trug zur Belehrung nur ihre eigne Ge¬ ſchichte vor. Die letzteren Siſteme, die juͤngſten Traͤume vom Ueberſinnlichen, mußten nothwen¬ dig, nach einem um ſo groͤßern Maaßſtabe ange¬ legt worden ſein, als die Erkenntniß im Gebiet des Sinnlichen ſich mehr ausgebreitet hatte. Man trug ſie vor, beſchied ſich abzuſprechen und uͤberließ jedem Denker — ſich zum hoͤchſten We¬ ſen anbetend zu wenden. Guido, bereits fruͤh mit jugendlicher Weisheit ausgeſtattet, zeither, wie wir ſchon berichtet ha¬ ben, eifrig dem Studium der weiſeſten Schrif¬ ten dieſer Zeit hingegeben, umfaßte nun, ſchnell in ſich aufnehmend, was er hier ſah und hoͤrte, und vollendeter wurde der tiefe kraͤftige Denker. Die Hochgefuͤhle ſeines ſtammenden Thatentrie¬ bes, wurden dadurch wechſelnd gemildert und angefacht. Wahre geiſtige Religion, in Bewunderung der Natur und Allmacht, lenkte ſein Gemuͤth zum hoͤheren Aufflug als je, und die Liebe, in ihrer immer reineren Miſtik, ſchmiegte ſich an alles Empfundene und Gedachte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/226
Zitationshilfe: Voß, Julius von: Ini. Ein Roman aus dem ein und zwanzigsten Jahrhundert. Berlin, 1810, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_ini_1810/226>, abgerufen am 24.11.2024.