Dr. Vollmer’s Wörterbuch der Mythologie aller Völker. 3. Aufl. Stuttgart, 1874.Sterne, entstehen zu lassen." Diess sei die "gewöhnliche" Erklärung. Man sage: "die wohlthätigen und mächtigen Wirkungen der Himmelskörper (zunächst doch wohl nur der Sonne und des Monds) mussten den noch sinnlichen Menschen veranlassen, diesen Himmelskörpern eine besondere Verehrung zuzuwenden." Schelling giebt zwar "die gerühmte Leichtigkeit" dieser Erklärung zu, die wenig Mühe mache, aber behauptet seinerseits, "es sei gegen alle Natur, dass die Gestirne erst für blosse materielle Lichter oder Körper gehalten, - dann vergöttert worden". Gegen alle Natur, behauptet er, nämlich wie er selbst den Gang der Natur sich denkt und darstellt. Schliesslich wollen wir noch bemerken, was Schelling ausserdem über die Sabier sagt, weil seine Worte einen für den ganzen Begriff des Sterndienstes, wie er diesen aufgefasst hat, erläuternden näheren Zusatz enthalten. Er versichert: das Wort Zabier (wie er sie statt Sabier nennt) "bedeutet ursprünglich kein besonderes Volk, sondern die ältesten Verehrer des ausschliesslichen (und in diesem Sinne Einen) Gottes, des kosmischen, des Weltgottes, und so mittelbar auch der Sterne als derjenigen Elemente, in welchen die innerliche, noch ungebrochene Kraft dieses Gottes gegenwärtig ist." Wir müssen für unsere Leser die letztere Charakterisirung des Einen Gottes im Dunkel lassen; denn es würde zu weit führen, auf den von Schelling vorgetragenen Beweis seiner Ansichten, auf die gesammte Grundlage seiner Philosophie, naher einzugehen. Was uns sofort an der abweichenden Meinung des berühmten Denkers auffällt, ist hauptsächlich Folgendes. Abgesehen davon, dass die gewöhnliche Erklärung der Sternverehrung, wie er selbst zugesteht, eine leichte und mühelose ist, also mit Recht auch für die einfachste erachtet werden könnte, stossen wir uns an der historischen Auffassung, die er dem mythologischen Prozesse gegeben hat. Erstens soll die älteste Menschheit eine ungetrennte oder noch ungetheilte gewesen sein. Das ist nichts als eine willkürliche Annahme, die sich höchstens auf die mosaische Ueberlieferung stützen könnte. Heutzutage sehen wir diesen Standpunkt, vermöge des neueren Ergebnisses der Naturforschung, wovon Schelling freilich nichts ahnen konnte, für einen veralteten an. Zweitens soll diese älteste Menschheit ein nomadisches Leben geführt haben, wie denn "die Vorväter der Israeliten lange noch Nomaden geblieben seien, als andere Völker schon zum geschichtlichen Leben übergegangen waren." Ein Nomadenleben ist allerdings bekanntermassen eingetreten, aber nur nicht gleich in jener Urzeit, als die menschlichen Organismen sich zu entwickeln anfingen; oder sagen wir lieber: in dem nomadischen Umherziehen kann man keineswegs die erste Bewegung der frühesten Menschen erblicken, vielmehr bedeutet dasselbe eine schon beginnende Kultur und eine Epoche, wo die Wildheit der Thiere eingeschränkt war. Wenn (nebenbei gesagt) die ältesten Israeliten, von welchen man Kunde hat, noch lange fortnomadisirten, so mochte ihnen das bequem dünken, aber augenscheinlich waren sie in der Bildung gegen andere Völkerstämme zurückgeblieben und hatten sich von ihren Nachbarn ausgeschlossen, oder sie waren von diesen "im Kampfe um das Dasein" vertrieben worden. Drittens behauptet Schelling nach seinem System etwas für uns Seltsames. Diese angeblich älteste Menschheit, die ungetrennte, nomadisirende und vorgeschichtliche, soll dem Zabismus gehuldigt haben, dem "schlechthin ältesten" Religionssystem derselben, und dieser sogenannte Sternkultus soll wiederum auf der einen Seite "dem Menschen die Erde entzogen, ihn verhindert haben auf der Erde sich anzubauen, ihn einen Fremdling auf Erden sein lassen": was nicht viel anderes besagen würde, als dass diese Religion ein Hemmschuh für die Entwicklung der Menschheit gewesen sein müsste. Und gleichwohl soll andererseits die besagte Religion nichts Geringeres als die Einheit eines Gottes aufgenommen Sterne, entstehen zu lassen.« Diess sei die »gewöhnliche« Erklärung. Man sage: »die wohlthätigen und mächtigen Wirkungen der Himmelskörper (zunächst doch wohl nur der Sonne und des Monds) mussten den noch sinnlichen Menschen veranlassen, diesen Himmelskörpern eine besondere Verehrung zuzuwenden.« Schelling giebt zwar »die gerühmte Leichtigkeit« dieser Erklärung zu, die wenig Mühe mache, aber behauptet seinerseits, »es sei gegen alle Natur, dass die Gestirne erst für blosse materielle Lichter oder Körper gehalten, – dann vergöttert worden«. Gegen alle Natur, behauptet er, nämlich wie er selbst den Gang der Natur sich denkt und darstellt. Schliesslich wollen wir noch bemerken, was Schelling ausserdem über die Sabier sagt, weil seine Worte einen für den ganzen Begriff des Sterndienstes, wie er diesen aufgefasst hat, erläuternden näheren Zusatz enthalten. Er versichert: das Wort Zabier (wie er sie statt Sabier nennt) »bedeutet ursprünglich kein besonderes Volk, sondern die ältesten Verehrer des ausschliesslichen (und in diesem Sinne Einen) Gottes, des kosmischen, des Weltgottes, und so mittelbar auch der Sterne als derjenigen Elemente, in welchen die innerliche, noch ungebrochene Kraft dieses Gottes gegenwärtig ist.« Wir müssen für unsere Leser die letztere Charakterisirung des Einen Gottes im Dunkel lassen; denn es würde zu weit führen, auf den von Schelling vorgetragenen Beweis seiner Ansichten, auf die gesammte Grundlage seiner Philosophie, naher einzugehen. Was uns sofort an der abweichenden Meinung des berühmten Denkers auffällt, ist hauptsächlich Folgendes. Abgesehen davon, dass die gewöhnliche Erklärung der Sternverehrung, wie er selbst zugesteht, eine leichte und mühelose ist, also mit Recht auch für die einfachste erachtet werden könnte, stossen wir uns an der historischen Auffassung, die er dem mythologischen Prozesse gegeben hat. Erstens soll die älteste Menschheit eine ungetrennte oder noch ungetheilte gewesen sein. Das ist nichts als eine willkürliche Annahme, die sich höchstens auf die mosaische Ueberlieferung stützen könnte. Heutzutage sehen wir diesen Standpunkt, vermöge des neueren Ergebnisses der Naturforschung, wovon Schelling freilich nichts ahnen konnte, für einen veralteten an. Zweitens soll diese älteste Menschheit ein nomadisches Leben geführt haben, wie denn »die Vorväter der Israeliten lange noch Nomaden geblieben seien, als andere Völker schon zum geschichtlichen Leben übergegangen waren.« Ein Nomadenleben ist allerdings bekanntermassen eingetreten, aber nur nicht gleich in jener Urzeit, als die menschlichen Organismen sich zu entwickeln anfingen; oder sagen wir lieber: in dem nomadischen Umherziehen kann man keineswegs die erste Bewegung der frühesten Menschen erblicken, vielmehr bedeutet dasselbe eine schon beginnende Kultur und eine Epoche, wo die Wildheit der Thiere eingeschränkt war. Wenn (nebenbei gesagt) die ältesten Israeliten, von welchen man Kunde hat, noch lange fortnomadisirten, so mochte ihnen das bequem dünken, aber augenscheinlich waren sie in der Bildung gegen andere Völkerstämme zurückgeblieben und hatten sich von ihren Nachbarn ausgeschlossen, oder sie waren von diesen »im Kampfe um das Dasein« vertrieben worden. Drittens behauptet Schelling nach seinem System etwas für uns Seltsames. Diese angeblich älteste Menschheit, die ungetrennte, nomadisirende und vorgeschichtliche, soll dem Zabismus gehuldigt haben, dem »schlechthin ältesten« Religionssystem derselben, und dieser sogenannte Sternkultus soll wiederum auf der einen Seite »dem Menschen die Erde entzogen, ihn verhindert haben auf der Erde sich anzubauen, ihn einen Fremdling auf Erden sein lassen«: was nicht viel anderes besagen würde, als dass diese Religion ein Hemmschuh für die Entwicklung der Menschheit gewesen sein müsste. Und gleichwohl soll andererseits die besagte Religion nichts Geringeres als die Einheit eines Gottes aufgenommen <TEI> <text> <front> <div type="preface" n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0029" n="XXIX"/> Sterne, entstehen zu lassen.« Diess sei die »gewöhnliche« Erklärung. Man sage: »die wohlthätigen und mächtigen Wirkungen der Himmelskörper (zunächst doch wohl nur der Sonne und des Monds) mussten den noch sinnlichen Menschen veranlassen, diesen Himmelskörpern eine besondere Verehrung zuzuwenden.« Schelling giebt zwar »die gerühmte Leichtigkeit« dieser Erklärung zu, die wenig Mühe mache, aber behauptet seinerseits, »es sei gegen alle Natur, dass die Gestirne erst für blosse materielle Lichter oder Körper gehalten, – dann vergöttert worden«. Gegen alle Natur, behauptet er, nämlich wie er selbst den Gang der Natur sich denkt und darstellt. Schliesslich wollen wir noch bemerken, was Schelling ausserdem über die Sabier sagt, weil seine Worte einen für den ganzen Begriff des Sterndienstes, wie er diesen aufgefasst hat, erläuternden näheren Zusatz enthalten. Er versichert: das Wort Zabier (wie er sie statt Sabier nennt) »bedeutet ursprünglich kein besonderes Volk, sondern <hi rendition="#g">die ältesten Verehrer des ausschliesslichen</hi> (und in diesem Sinne <hi rendition="#g">Einen) Gottes</hi>, des kosmischen, des Weltgottes, und so mittelbar auch der Sterne als derjenigen Elemente, in welchen die innerliche, noch ungebrochene Kraft dieses Gottes gegenwärtig ist.« Wir müssen für unsere Leser die letztere Charakterisirung des Einen Gottes im Dunkel lassen; denn es würde zu weit führen, auf den von Schelling vorgetragenen Beweis seiner Ansichten, auf die gesammte Grundlage seiner Philosophie, naher einzugehen.</p><lb/> <p>Was uns sofort an der abweichenden Meinung des berühmten Denkers auffällt, ist hauptsächlich Folgendes. Abgesehen davon, dass die gewöhnliche Erklärung der Sternverehrung, wie er selbst zugesteht, eine leichte und mühelose ist, also mit Recht auch für die einfachste erachtet werden könnte, stossen wir uns an der historischen Auffassung, die er dem mythologischen Prozesse gegeben hat. Erstens soll die <hi rendition="#g">älteste</hi> Menschheit eine <hi rendition="#g">ungetrennte</hi> oder <hi rendition="#g">noch ungetheilte</hi> gewesen sein. Das ist nichts als eine willkürliche Annahme, die sich höchstens auf die mosaische Ueberlieferung stützen könnte. Heutzutage sehen wir diesen Standpunkt, vermöge des neueren Ergebnisses der Naturforschung, wovon Schelling freilich nichts ahnen konnte, für einen veralteten an. Zweitens soll diese <hi rendition="#g">älteste</hi> Menschheit ein <hi rendition="#g">nomadisches</hi> Leben geführt haben, wie denn »die Vorväter der Israeliten lange noch Nomaden geblieben seien, als andere Völker schon zum geschichtlichen Leben übergegangen waren.« Ein Nomadenleben ist allerdings bekanntermassen eingetreten, aber nur nicht gleich in jener Urzeit, als die menschlichen Organismen sich zu entwickeln anfingen; oder sagen wir lieber: in dem nomadischen Umherziehen kann man keineswegs die erste Bewegung der frühesten Menschen erblicken, vielmehr bedeutet dasselbe eine schon beginnende Kultur und eine Epoche, wo die Wildheit der Thiere eingeschränkt war. Wenn (nebenbei gesagt) die ältesten Israeliten, von welchen man Kunde hat, noch lange fortnomadisirten, so mochte ihnen das bequem dünken, aber augenscheinlich waren sie in der Bildung gegen andere Völkerstämme zurückgeblieben und hatten sich von ihren Nachbarn ausgeschlossen, oder sie waren von diesen »im Kampfe um das Dasein« vertrieben worden. Drittens behauptet Schelling nach seinem System etwas für uns Seltsames. Diese angeblich älteste Menschheit, die ungetrennte, nomadisirende und vorgeschichtliche, soll dem Zabismus gehuldigt haben, dem »schlechthin ältesten« Religionssystem derselben, und dieser sogenannte Sternkultus soll wiederum auf der einen Seite »dem Menschen die Erde entzogen, ihn verhindert haben auf der Erde sich anzubauen, ihn einen Fremdling auf Erden sein lassen«: was nicht viel anderes besagen würde, als dass diese Religion ein Hemmschuh für die Entwicklung der Menschheit gewesen sein müsste. Und gleichwohl soll andererseits die besagte Religion nichts Geringeres als die Einheit eines Gottes aufgenommen </p> </div> </div> </front> </text> </TEI> [XXIX/0029]
Sterne, entstehen zu lassen.« Diess sei die »gewöhnliche« Erklärung. Man sage: »die wohlthätigen und mächtigen Wirkungen der Himmelskörper (zunächst doch wohl nur der Sonne und des Monds) mussten den noch sinnlichen Menschen veranlassen, diesen Himmelskörpern eine besondere Verehrung zuzuwenden.« Schelling giebt zwar »die gerühmte Leichtigkeit« dieser Erklärung zu, die wenig Mühe mache, aber behauptet seinerseits, »es sei gegen alle Natur, dass die Gestirne erst für blosse materielle Lichter oder Körper gehalten, – dann vergöttert worden«. Gegen alle Natur, behauptet er, nämlich wie er selbst den Gang der Natur sich denkt und darstellt. Schliesslich wollen wir noch bemerken, was Schelling ausserdem über die Sabier sagt, weil seine Worte einen für den ganzen Begriff des Sterndienstes, wie er diesen aufgefasst hat, erläuternden näheren Zusatz enthalten. Er versichert: das Wort Zabier (wie er sie statt Sabier nennt) »bedeutet ursprünglich kein besonderes Volk, sondern die ältesten Verehrer des ausschliesslichen (und in diesem Sinne Einen) Gottes, des kosmischen, des Weltgottes, und so mittelbar auch der Sterne als derjenigen Elemente, in welchen die innerliche, noch ungebrochene Kraft dieses Gottes gegenwärtig ist.« Wir müssen für unsere Leser die letztere Charakterisirung des Einen Gottes im Dunkel lassen; denn es würde zu weit führen, auf den von Schelling vorgetragenen Beweis seiner Ansichten, auf die gesammte Grundlage seiner Philosophie, naher einzugehen.
Was uns sofort an der abweichenden Meinung des berühmten Denkers auffällt, ist hauptsächlich Folgendes. Abgesehen davon, dass die gewöhnliche Erklärung der Sternverehrung, wie er selbst zugesteht, eine leichte und mühelose ist, also mit Recht auch für die einfachste erachtet werden könnte, stossen wir uns an der historischen Auffassung, die er dem mythologischen Prozesse gegeben hat. Erstens soll die älteste Menschheit eine ungetrennte oder noch ungetheilte gewesen sein. Das ist nichts als eine willkürliche Annahme, die sich höchstens auf die mosaische Ueberlieferung stützen könnte. Heutzutage sehen wir diesen Standpunkt, vermöge des neueren Ergebnisses der Naturforschung, wovon Schelling freilich nichts ahnen konnte, für einen veralteten an. Zweitens soll diese älteste Menschheit ein nomadisches Leben geführt haben, wie denn »die Vorväter der Israeliten lange noch Nomaden geblieben seien, als andere Völker schon zum geschichtlichen Leben übergegangen waren.« Ein Nomadenleben ist allerdings bekanntermassen eingetreten, aber nur nicht gleich in jener Urzeit, als die menschlichen Organismen sich zu entwickeln anfingen; oder sagen wir lieber: in dem nomadischen Umherziehen kann man keineswegs die erste Bewegung der frühesten Menschen erblicken, vielmehr bedeutet dasselbe eine schon beginnende Kultur und eine Epoche, wo die Wildheit der Thiere eingeschränkt war. Wenn (nebenbei gesagt) die ältesten Israeliten, von welchen man Kunde hat, noch lange fortnomadisirten, so mochte ihnen das bequem dünken, aber augenscheinlich waren sie in der Bildung gegen andere Völkerstämme zurückgeblieben und hatten sich von ihren Nachbarn ausgeschlossen, oder sie waren von diesen »im Kampfe um das Dasein« vertrieben worden. Drittens behauptet Schelling nach seinem System etwas für uns Seltsames. Diese angeblich älteste Menschheit, die ungetrennte, nomadisirende und vorgeschichtliche, soll dem Zabismus gehuldigt haben, dem »schlechthin ältesten« Religionssystem derselben, und dieser sogenannte Sternkultus soll wiederum auf der einen Seite »dem Menschen die Erde entzogen, ihn verhindert haben auf der Erde sich anzubauen, ihn einen Fremdling auf Erden sein lassen«: was nicht viel anderes besagen würde, als dass diese Religion ein Hemmschuh für die Entwicklung der Menschheit gewesen sein müsste. Und gleichwohl soll andererseits die besagte Religion nichts Geringeres als die Einheit eines Gottes aufgenommen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/vollmer_mythologie_1874 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/vollmer_mythologie_1874/29 |
Zitationshilfe: | Dr. Vollmer’s Wörterbuch der Mythologie aller Völker. 3. Aufl. Stuttgart, 1874, S. XXIX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vollmer_mythologie_1874/29>, abgerufen am 16.07.2024. |