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Vogt, Carl: Untersuchungen über Thierstaaten. Frankfurt (Main), 1851.

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Ausschlüpfens, vier und zwanzig Tage; diejenige einer Arbeiterin zwanzig, die einer Königin nur sechszehn Tage. Eine merkwürdige Thatsache! Also auch hier in dem Thierreiche, haben die Glieder der königlichen Familie das Privilegium, früher als ihre Thiergenossen großjährig und regierungsfähig zu werden. Zur Erziehung eines armen Proletariers, der freilich lernen muß Honig und Blüthenstaub zu sammeln, Waben zu bauen, Junge zu pflegen, zur Heranbildung eines solchen gehorchenden, unterthänigen, armen Schluckers bedarf es einer längeren Erziehung, als für das Haupt des Staates, dem die schweren Regierungssorgen obliegen. Haben die Menschen es den Bienen abgelernt? Die Bauern und Tagelöhner, die Handwerker und Künstler werden erst mit vier und zwanzig Jahren großjährig und selbstständig - aber den Sprossen der hohen Herrscherfamilien, den Blutjungen und Thronfolgern, denen bringt schon das achtzehnte Jahr die Fähigkeit, nicht nur für sich selbst, sondern auch für Millionen Unterthanen zu sorgen. Die Behauptung, daß diese Befähigung mit der größeren geistigen Entwicklung den bevorzugten Familien verbunden sei, dürfte um so weniger Stich halten, als die tägliche Erfahrung im Bienenstaate und selbst in der menschlichen Gesellschaft entschieden dagegen spricht. Bei den Bienen wenigstens ist die Herrscherin, wie wir sehen werden, allergeringstens eben so dumm und bornirt, als die Drohnen, und bei Weitem weniger geistig entwickelt, als die Arbeiter - nichtsdestoweniger ist sie früher zum Herrschen tüchtig, als der Arbeiter zum Arbeiten. Sollte ein gewisses Maaß von Dummheit zum Regieren der Bienen nöthig sein? - Für die menschliche Gesellschaft das Gleiche nachzuweisen, dürfte in den gegenwärtigen Zeiten, wo wieder Kollektivbeleidigungen

Ausschlüpfens, vier und zwanzig Tage; diejenige einer Arbeiterin zwanzig, die einer Königin nur sechszehn Tage. Eine merkwürdige Thatsache! Also auch hier in dem Thierreiche, haben die Glieder der königlichen Familie das Privilegium, früher als ihre Thiergenossen großjährig und regierungsfähig zu werden. Zur Erziehung eines armen Proletariers, der freilich lernen muß Honig und Blüthenstaub zu sammeln, Waben zu bauen, Junge zu pflegen, zur Heranbildung eines solchen gehorchenden, unterthänigen, armen Schluckers bedarf es einer längeren Erziehung, als für das Haupt des Staates, dem die schweren Regierungssorgen obliegen. Haben die Menschen es den Bienen abgelernt? Die Bauern und Tagelöhner, die Handwerker und Künstler werden erst mit vier und zwanzig Jahren großjährig und selbstständig – aber den Sprossen der hohen Herrscherfamilien, den Blutjungen und Thronfolgern, denen bringt schon das achtzehnte Jahr die Fähigkeit, nicht nur für sich selbst, sondern auch für Millionen Unterthanen zu sorgen. Die Behauptung, daß diese Befähigung mit der größeren geistigen Entwicklung den bevorzugten Familien verbunden sei, dürfte um so weniger Stich halten, als die tägliche Erfahrung im Bienenstaate und selbst in der menschlichen Gesellschaft entschieden dagegen spricht. Bei den Bienen wenigstens ist die Herrscherin, wie wir sehen werden, allergeringstens eben so dumm und bornirt, als die Drohnen, und bei Weitem weniger geistig entwickelt, als die Arbeiter – nichtsdestoweniger ist sie früher zum Herrschen tüchtig, als der Arbeiter zum Arbeiten. Sollte ein gewisses Maaß von Dummheit zum Regieren der Bienen nöthig sein? – Für die menschliche Gesellschaft das Gleiche nachzuweisen, dürfte in den gegenwärtigen Zeiten, wo wieder Kollektivbeleidigungen

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Ausschlüpfens, vier und zwanzig Tage; diejenige einer Arbeiterin zwanzig, die einer Königin nur sechszehn Tage. Eine merkwürdige Thatsache! Also auch hier in dem Thierreiche, haben die Glieder der königlichen Familie das Privilegium, früher als ihre Thiergenossen großjährig und regierungsfähig zu werden. Zur Erziehung eines armen Proletariers, der freilich lernen muß Honig und Blüthenstaub zu sammeln, Waben zu bauen, Junge zu pflegen, zur Heranbildung eines solchen gehorchenden, unterthänigen, armen Schluckers bedarf es einer längeren Erziehung, als für das Haupt des Staates, dem die schweren Regierungssorgen obliegen. Haben die Menschen es den Bienen abgelernt? Die Bauern und Tagelöhner, die Handwerker und Künstler werden erst mit vier und zwanzig Jahren großjährig und selbstständig &#x2013; aber den Sprossen der hohen Herrscherfamilien, den Blutjungen und Thronfolgern, denen bringt schon das achtzehnte Jahr die Fähigkeit, nicht nur für sich selbst, sondern auch für Millionen Unterthanen zu sorgen. Die Behauptung, daß diese Befähigung mit der größeren geistigen Entwicklung den bevorzugten Familien verbunden sei, dürfte um so weniger Stich halten, als die tägliche Erfahrung im Bienenstaate und selbst in der menschlichen Gesellschaft entschieden dagegen spricht. Bei den Bienen wenigstens ist die Herrscherin, wie wir sehen werden, allergeringstens eben so dumm und bornirt, als die Drohnen, und bei Weitem weniger geistig entwickelt, als die Arbeiter &#x2013; nichtsdestoweniger ist sie früher zum Herrschen tüchtig, als der Arbeiter zum Arbeiten. Sollte ein gewisses Maaß von Dummheit zum Regieren der Bienen nöthig sein? &#x2013; Für die menschliche Gesellschaft das Gleiche nachzuweisen, dürfte in den gegenwärtigen Zeiten, wo wieder Kollektivbeleidigungen
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[72/0098] Ausschlüpfens, vier und zwanzig Tage; diejenige einer Arbeiterin zwanzig, die einer Königin nur sechszehn Tage. Eine merkwürdige Thatsache! Also auch hier in dem Thierreiche, haben die Glieder der königlichen Familie das Privilegium, früher als ihre Thiergenossen großjährig und regierungsfähig zu werden. Zur Erziehung eines armen Proletariers, der freilich lernen muß Honig und Blüthenstaub zu sammeln, Waben zu bauen, Junge zu pflegen, zur Heranbildung eines solchen gehorchenden, unterthänigen, armen Schluckers bedarf es einer längeren Erziehung, als für das Haupt des Staates, dem die schweren Regierungssorgen obliegen. Haben die Menschen es den Bienen abgelernt? Die Bauern und Tagelöhner, die Handwerker und Künstler werden erst mit vier und zwanzig Jahren großjährig und selbstständig – aber den Sprossen der hohen Herrscherfamilien, den Blutjungen und Thronfolgern, denen bringt schon das achtzehnte Jahr die Fähigkeit, nicht nur für sich selbst, sondern auch für Millionen Unterthanen zu sorgen. Die Behauptung, daß diese Befähigung mit der größeren geistigen Entwicklung den bevorzugten Familien verbunden sei, dürfte um so weniger Stich halten, als die tägliche Erfahrung im Bienenstaate und selbst in der menschlichen Gesellschaft entschieden dagegen spricht. Bei den Bienen wenigstens ist die Herrscherin, wie wir sehen werden, allergeringstens eben so dumm und bornirt, als die Drohnen, und bei Weitem weniger geistig entwickelt, als die Arbeiter – nichtsdestoweniger ist sie früher zum Herrschen tüchtig, als der Arbeiter zum Arbeiten. Sollte ein gewisses Maaß von Dummheit zum Regieren der Bienen nöthig sein? – Für die menschliche Gesellschaft das Gleiche nachzuweisen, dürfte in den gegenwärtigen Zeiten, wo wieder Kollektivbeleidigungen

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Untersuchungen über Thierstaaten. Frankfurt (Main), 1851, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_thierstaaten_1851/98>, abgerufen am 23.11.2024.