Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vogt, Carl: Untersuchungen über Thierstaaten. Frankfurt (Main), 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

Man wird gewiß dereinst in Verfolgung dieser Studien dazu kommen, für besondere Gedankenreihen auch besondere Nahrungsreihen zu finden, welche einander wechselseitig bedingen. Ich glaube, man würde nur durch zweckmäßige Anordnung der Nahrung (sobald die Prämissen einmal genau feststehen) Staatsmänner, Bureaukraten, Theologen, Revolutionärs, Aristokraten, Socialisten, ja sogar Referendarien je nach Belieben bilden können, und der unendliche Scharfsinn, der jetzt auf Constitutionen, Gesetze, Verordnungen und dergleichen Staatsgrundlagen verwendet wird, würde sich dann auf Erfindung gewisser Brühen, Breie und Fleischarten richten, die jedenfalls dem menschlichen Geschlechte besser munden und doch dieselben Resultate haben würden.

mit jener sorgsamen Angst des Vaters, der sein geliebtes Kind am Rande eines Abgrundes gehen sieht, in den es jeden Augenblick hinabstürzen und sich zerschmettern kann, um nimmer wieder sich zu erheben, mit diesen gemischten Gefühlen von Sorge, Kummer und freudiger Hoffnung folgte der Verfasser den Schritten des Herrn Rießer aus der Ferne. Herr Rießer war gewissermaßen die geheimnißvolle Phiole, in welche des Verfassers Hirndestillat, das er seine Theorie genannt hat, gebannt war - gebannt zu gemeinsamem Fortschreiten durch die Wandelgänge deutscher Politik, erfurtischer Unionswirrgänge und holsteinisch-kurhessischer Ordnungsherstellungen. In Herrn Rießer hatte die Theorie einen ihrer Enormität entsprechenden Körper gefunden. Mit fieberhafter Hast riß der Verfasser die Zeitungen an sich - er las sogar die selig entschlafene Deutsche mit Interesse - Herrn Rießer suchte sein Blick in jenen hohlen Spalten, in jenen Erbgrüften der Edelsten, aus denen die trüben Jammerrufe der lebendig Begrabenen hervorunkten. - Und herrlich trug das Gefäß seinen kostbaren Inhalt durch jene Feuerproben hindurch. Zerwalkt, zerknetet, innerlich haltungslos, schnödem Gallerich oder Oken'schem Urschleime gleich, war Herr Rießer zuletzt ein bedeutungsloser Teig in den Händen des duftenden Zuckerbäckers Biedermann geworden. - Schrecklicher Einfluß der Frankfurter Küche! Aber Herr Rießer entfernte sich nach Hamburg. Kaum waren Rindfleisch, Kaviar und

Man wird gewiß dereinst in Verfolgung dieser Studien dazu kommen, für besondere Gedankenreihen auch besondere Nahrungsreihen zu finden, welche einander wechselseitig bedingen. Ich glaube, man würde nur durch zweckmäßige Anordnung der Nahrung (sobald die Prämissen einmal genau feststehen) Staatsmänner, Bureaukraten, Theologen, Revolutionärs, Aristokraten, Socialisten, ja sogar Referendarien je nach Belieben bilden können, und der unendliche Scharfsinn, der jetzt auf Constitutionen, Gesetze, Verordnungen und dergleichen Staatsgrundlagen verwendet wird, würde sich dann auf Erfindung gewisser Brühen, Breie und Fleischarten richten, die jedenfalls dem menschlichen Geschlechte besser munden und doch dieselben Resultate haben würden.

mit jener sorgsamen Angst des Vaters, der sein geliebtes Kind am Rande eines Abgrundes gehen sieht, in den es jeden Augenblick hinabstürzen und sich zerschmettern kann, um nimmer wieder sich zu erheben, mit diesen gemischten Gefühlen von Sorge, Kummer und freudiger Hoffnung folgte der Verfasser den Schritten des Herrn Rießer aus der Ferne. Herr Rießer war gewissermaßen die geheimnißvolle Phiole, in welche des Verfassers Hirndestillat, das er seine Theorie genannt hat, gebannt war – gebannt zu gemeinsamem Fortschreiten durch die Wandelgänge deutscher Politik, erfurtischer Unionswirrgänge und holsteinisch-kurhessischer Ordnungsherstellungen. In Herrn Rießer hatte die Theorie einen ihrer Enormität entsprechenden Körper gefunden. Mit fieberhafter Hast riß der Verfasser die Zeitungen an sich – er las sogar die selig entschlafene Deutsche mit Interesse – Herrn Rießer suchte sein Blick in jenen hohlen Spalten, in jenen Erbgrüften der Edelsten, aus denen die trüben Jammerrufe der lebendig Begrabenen hervorunkten. – Und herrlich trug das Gefäß seinen kostbaren Inhalt durch jene Feuerproben hindurch. Zerwalkt, zerknetet, innerlich haltungslos, schnödem Gallerich oder Oken’schem Urschleime gleich, war Herr Rießer zuletzt ein bedeutungsloser Teig in den Händen des duftenden Zuckerbäckers Biedermann geworden. – Schrecklicher Einfluß der Frankfurter Küche! Aber Herr Rießer entfernte sich nach Hamburg. Kaum waren Rindfleisch, Kaviar und
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0051" n="25"/>
        <p>Man wird gewiß dereinst in Verfolgung dieser Studien dazu kommen, für besondere Gedankenreihen auch besondere Nahrungsreihen zu finden, welche einander wechselseitig bedingen. Ich glaube, man würde nur durch zweckmäßige Anordnung der Nahrung (sobald die Prämissen einmal genau feststehen) Staatsmänner, Bureaukraten, Theologen, Revolutionärs, Aristokraten, Socialisten, ja sogar Referendarien je nach Belieben bilden können, und der unendliche Scharfsinn, der jetzt auf Constitutionen, Gesetze, Verordnungen und dergleichen Staatsgrundlagen verwendet wird, würde sich dann auf Erfindung gewisser Brühen, Breie und Fleischarten richten, die jedenfalls dem menschlichen Geschlechte besser munden und doch dieselben Resultate haben würden.<note place="foot">mit jener sorgsamen Angst des Vaters, der sein geliebtes Kind am Rande eines Abgrundes gehen sieht, in den es jeden Augenblick hinabstürzen und sich zerschmettern kann, um nimmer wieder sich zu erheben, mit diesen gemischten Gefühlen von Sorge, Kummer und freudiger Hoffnung folgte der Verfasser den Schritten des Herrn Rießer aus der Ferne. Herr Rießer war gewissermaßen die geheimnißvolle Phiole, in welche des Verfassers Hirndestillat, das er seine Theorie genannt hat, gebannt war &#x2013; gebannt zu gemeinsamem Fortschreiten durch die Wandelgänge deutscher Politik, erfurtischer Unionswirrgänge und holsteinisch-kurhessischer Ordnungsherstellungen. In Herrn Rießer hatte die Theorie einen ihrer Enormität entsprechenden Körper gefunden. Mit fieberhafter Hast riß der Verfasser die Zeitungen an sich &#x2013; er las sogar die selig entschlafene Deutsche mit Interesse &#x2013; Herrn Rießer suchte sein Blick in jenen hohlen Spalten, in jenen Erbgrüften der Edelsten, aus denen die trüben Jammerrufe der lebendig Begrabenen hervorunkten. &#x2013; Und herrlich trug das Gefäß seinen kostbaren Inhalt durch jene Feuerproben hindurch. Zerwalkt, zerknetet, innerlich haltungslos, schnödem Gallerich oder Oken&#x2019;schem Urschleime gleich, war Herr Rießer zuletzt ein bedeutungsloser Teig in den Händen des duftenden Zuckerbäckers Biedermann geworden. &#x2013; Schrecklicher Einfluß der Frankfurter Küche! Aber Herr Rießer entfernte sich nach Hamburg. Kaum waren Rindfleisch, Kaviar und</note>
</p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[25/0051] Man wird gewiß dereinst in Verfolgung dieser Studien dazu kommen, für besondere Gedankenreihen auch besondere Nahrungsreihen zu finden, welche einander wechselseitig bedingen. Ich glaube, man würde nur durch zweckmäßige Anordnung der Nahrung (sobald die Prämissen einmal genau feststehen) Staatsmänner, Bureaukraten, Theologen, Revolutionärs, Aristokraten, Socialisten, ja sogar Referendarien je nach Belieben bilden können, und der unendliche Scharfsinn, der jetzt auf Constitutionen, Gesetze, Verordnungen und dergleichen Staatsgrundlagen verwendet wird, würde sich dann auf Erfindung gewisser Brühen, Breie und Fleischarten richten, die jedenfalls dem menschlichen Geschlechte besser munden und doch dieselben Resultate haben würden. mit jener sorgsamen Angst des Vaters, der sein geliebtes Kind am Rande eines Abgrundes gehen sieht, in den es jeden Augenblick hinabstürzen und sich zerschmettern kann, um nimmer wieder sich zu erheben, mit diesen gemischten Gefühlen von Sorge, Kummer und freudiger Hoffnung folgte der Verfasser den Schritten des Herrn Rießer aus der Ferne. Herr Rießer war gewissermaßen die geheimnißvolle Phiole, in welche des Verfassers Hirndestillat, das er seine Theorie genannt hat, gebannt war – gebannt zu gemeinsamem Fortschreiten durch die Wandelgänge deutscher Politik, erfurtischer Unionswirrgänge und holsteinisch-kurhessischer Ordnungsherstellungen. In Herrn Rießer hatte die Theorie einen ihrer Enormität entsprechenden Körper gefunden. Mit fieberhafter Hast riß der Verfasser die Zeitungen an sich – er las sogar die selig entschlafene Deutsche mit Interesse – Herrn Rießer suchte sein Blick in jenen hohlen Spalten, in jenen Erbgrüften der Edelsten, aus denen die trüben Jammerrufe der lebendig Begrabenen hervorunkten. – Und herrlich trug das Gefäß seinen kostbaren Inhalt durch jene Feuerproben hindurch. Zerwalkt, zerknetet, innerlich haltungslos, schnödem Gallerich oder Oken’schem Urschleime gleich, war Herr Rießer zuletzt ein bedeutungsloser Teig in den Händen des duftenden Zuckerbäckers Biedermann geworden. – Schrecklicher Einfluß der Frankfurter Küche! Aber Herr Rießer entfernte sich nach Hamburg. Kaum waren Rindfleisch, Kaviar und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-29T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universität Michigan: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-29T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche „—“ werden als normale Gedankenstriche „–“ wiedergegeben.
  • Die Transkription folgt im Übrigen dem Original.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_thierstaaten_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_thierstaaten_1851/51
Zitationshilfe: Vogt, Carl: Untersuchungen über Thierstaaten. Frankfurt (Main), 1851, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_thierstaaten_1851/51>, abgerufen am 24.11.2024.