Vogt, Carl: Untersuchungen über Thierstaaten. Frankfurt (Main), 1851.Raubzug wir so thöricht waren, entgegen zu fliegen? Ohne jenes edelmüthige Rhinoceros wäre ich zu Grunde gegangen!" ""Mach' mir keine Vorwürfe über meine Unvorsichtigkeit,"" antwortete der Freund. ""Ich hatte mich geirrt und hätte fast mit dir meinen Leichtsinn schwer büßen müssen. Das Rhinoceros hat uns gerettet, ich werde es, trotz seiner Plumpheit, zu meinem Fetisch machen, und als gütigen Schutzgott verehren. Doch ich bin dir Aufklärung schuldig. So höre: Früher lebte die Thierwelt hier zufrieden und emsig neben einander. Alles ging seinen Geschäften nach, und fand reichliche Mittel der Existenz. Zwar der kleine Krieg der Concurrenz, der auch jetzt noch nicht aufgehört hat, dauerte fort - man griff sich wechselseitig an, wehrte sich, oder wurde gefressen, wie es in der Natur und ihren Gesetzen begründet ist. Aber dieß war ein geringes Uebel, dem man durch Kühnheit oder Klugheit entgehen konnte. Wir waren doch wenigstens frei - unseren Willen beschränkte nur das in uns selbst liegende Gesetz des Instinktes, dieses mit unserer innersten Kultur verwachsene Naturgesetz. Die anarchisch umherschweifenden Kerf-Gattungen lebten ebenso frei, wie die Gesellschaften der Ameisen und Termiten, der Bienen und Meliponen - ein regsames Streben nach Erringung höherer Kultur that sich unter der Insektenwelt kund. Wir fühlten uns glücklich in dieser gemäßigten Anarchie, die Jedem eine freie Entwicklung seiner Fähigkeiten gestattete, und hofften, daß bald die vollständige Anarchie der Kultur eintreten werde, wo der Instinkt eines jeden Insekts sich so sehr durch verständige Betrachtung der Außenwelt und der Beziehungen zu seinen Nächsten läutern sollte, daß gar keine staatlichen Einrichtungen mehr nöthig sein Raubzug wir so thöricht waren, entgegen zu fliegen? Ohne jenes edelmüthige Rhinoceros wäre ich zu Grunde gegangen!“ „„Mach’ mir keine Vorwürfe über meine Unvorsichtigkeit,““ antwortete der Freund. „„Ich hatte mich geirrt und hätte fast mit dir meinen Leichtsinn schwer büßen müssen. Das Rhinoceros hat uns gerettet, ich werde es, trotz seiner Plumpheit, zu meinem Fetisch machen, und als gütigen Schutzgott verehren. Doch ich bin dir Aufklärung schuldig. So höre: Früher lebte die Thierwelt hier zufrieden und emsig neben einander. Alles ging seinen Geschäften nach, und fand reichliche Mittel der Existenz. Zwar der kleine Krieg der Concurrenz, der auch jetzt noch nicht aufgehört hat, dauerte fort – man griff sich wechselseitig an, wehrte sich, oder wurde gefressen, wie es in der Natur und ihren Gesetzen begründet ist. Aber dieß war ein geringes Uebel, dem man durch Kühnheit oder Klugheit entgehen konnte. Wir waren doch wenigstens frei – unseren Willen beschränkte nur das in uns selbst liegende Gesetz des Instinktes, dieses mit unserer innersten Kultur verwachsene Naturgesetz. Die anarchisch umherschweifenden Kerf-Gattungen lebten ebenso frei, wie die Gesellschaften der Ameisen und Termiten, der Bienen und Meliponen – ein regsames Streben nach Erringung höherer Kultur that sich unter der Insektenwelt kund. Wir fühlten uns glücklich in dieser gemäßigten Anarchie, die Jedem eine freie Entwicklung seiner Fähigkeiten gestattete, und hofften, daß bald die vollständige Anarchie der Kultur eintreten werde, wo der Instinkt eines jeden Insekts sich so sehr durch verständige Betrachtung der Außenwelt und der Beziehungen zu seinen Nächsten läutern sollte, daß gar keine staatlichen Einrichtungen mehr nöthig sein <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0181" n="153"/> Raubzug wir so thöricht waren, entgegen zu fliegen? 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Wir waren doch wenigstens frei – unseren Willen beschränkte nur das in uns selbst liegende Gesetz des Instinktes, dieses mit unserer innersten Kultur verwachsene Naturgesetz. Die anarchisch umherschweifenden Kerf-Gattungen lebten ebenso frei, wie die Gesellschaften der Ameisen und Termiten, der Bienen und Meliponen – ein regsames Streben nach Erringung höherer Kultur that sich unter der Insektenwelt kund. Wir fühlten uns glücklich in dieser gemäßigten Anarchie, die Jedem eine freie Entwicklung seiner Fähigkeiten gestattete, und hofften, daß bald die vollständige Anarchie der Kultur eintreten werde, wo der Instinkt eines jeden Insekts sich so sehr durch verständige Betrachtung der Außenwelt und der Beziehungen zu seinen Nächsten läutern sollte, daß gar keine staatlichen Einrichtungen mehr nöthig sein </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [153/0181]
Raubzug wir so thöricht waren, entgegen zu fliegen? Ohne jenes edelmüthige Rhinoceros wäre ich zu Grunde gegangen!“
„„Mach’ mir keine Vorwürfe über meine Unvorsichtigkeit,““ antwortete der Freund. „„Ich hatte mich geirrt und hätte fast mit dir meinen Leichtsinn schwer büßen müssen. Das Rhinoceros hat uns gerettet, ich werde es, trotz seiner Plumpheit, zu meinem Fetisch machen, und als gütigen Schutzgott verehren. Doch ich bin dir Aufklärung schuldig. So höre:
Früher lebte die Thierwelt hier zufrieden und emsig neben einander. Alles ging seinen Geschäften nach, und fand reichliche Mittel der Existenz. Zwar der kleine Krieg der Concurrenz, der auch jetzt noch nicht aufgehört hat, dauerte fort – man griff sich wechselseitig an, wehrte sich, oder wurde gefressen, wie es in der Natur und ihren Gesetzen begründet ist. Aber dieß war ein geringes Uebel, dem man durch Kühnheit oder Klugheit entgehen konnte. Wir waren doch wenigstens frei – unseren Willen beschränkte nur das in uns selbst liegende Gesetz des Instinktes, dieses mit unserer innersten Kultur verwachsene Naturgesetz. Die anarchisch umherschweifenden Kerf-Gattungen lebten ebenso frei, wie die Gesellschaften der Ameisen und Termiten, der Bienen und Meliponen – ein regsames Streben nach Erringung höherer Kultur that sich unter der Insektenwelt kund. Wir fühlten uns glücklich in dieser gemäßigten Anarchie, die Jedem eine freie Entwicklung seiner Fähigkeiten gestattete, und hofften, daß bald die vollständige Anarchie der Kultur eintreten werde, wo der Instinkt eines jeden Insekts sich so sehr durch verständige Betrachtung der Außenwelt und der Beziehungen zu seinen Nächsten läutern sollte, daß gar keine staatlichen Einrichtungen mehr nöthig sein
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Zitationshilfe: | Vogt, Carl: Untersuchungen über Thierstaaten. Frankfurt (Main), 1851, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_thierstaaten_1851/181>, abgerufen am 27.07.2024. |