Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

Dit Unterordnung der eigentlichen Affen (Simiae) schließt
sich in der Schädelform, in dem Gebisse, in der Ausbildung der
Hände stets mehr und mehr dem Menschen an, obgleich noch immer
auch bei den menschenähnlichsten Affen große Verschiedenheiten in jeder
Beziehung stattfinden. Alle eigentlichen Affen haben, wie der Mensch,
vier Schneidezähne, die indeß nicht senkrecht, sondern schief nach vorn
geneigt stehen, so daß sie beim Schließen des Mundes eine vorspringende
Ecke bilden. Die Eckzähne stehen stets etwas über die anderen her-
vor, zuweilen selbst in ganz bedeutender Weise und haben eine ent-
sprechende Zahnlücke in dem gegenüberstehenden Kiefer; die Backzähne
sind gewöhnlich in der Fünfzahl vorhanden und in strenger Reihe an
einander geschlossen, würfelförmig mit breiter, höckeriger Kaufläche.
Das Gesicht ist meist bis auf einen Kreis um die Augen, um Nase
und Mund in derselben Weise behaart, wie der übrige Körper, so
daß weder Bart noch Haupthaar sich in der Weise, wie beim Men-
schen unterscheiden. Die Extremitäten sind lang und schmächtig und
im Vergleich mit denjenigen des Menschen die Arme unter allen Um-
ständen viel länger und die Hinterschenkel bei weitem schmächtiger, so
daß der Querdurchmesser der Oberschenkel bedeutend geringer ist, als
der Durchmesser von vorn nach hinten und der Schenkel nicht cylin-
derisch oder kegelförmig, sondern von der Seite her abgeplattet er-
scheint und in der Form dem Schlegel eines Thieres näher kommt.
Auch hier zeigt sich die Erscheinung, die schon bei der vorigen Unter-
ordnung zu beobachten war, nämlich, daß die Hände der Hinterfüße
weit allgemeiner und vollständiger entwickelt sind, als diejenigen der
vorderen Extremitäten, wo bald der Daumen weit weniger entgegen
gesetzt werden kann, ja bei einigen Gattungen sogar gänzlich fehlt
oder nur als kleiner Stummel vorhanden ist. Im Allgemeinen ist der
Schwanz bei den Affen stark entwickelt, zuweilen zu einem förmlichen
Greif- oder Wickelschwanze ausgebildet, an welchen die Thiere sich
stundenlang aufhängen können. Gewöhnlich gesellen sich noch hierzu
Gefäßschwielen, nackte, schwielige Stellen an den Hinterbacken, welche
bei der mangelnden Muskelbekleidung der Sitzknorren das Hocken auf
dem Hinteren erleichtern. Alle Affen sind wesentlich Kletterthiere, die
gewöhnlich in Gesellschaften sich in Wäldern herumtreiben und von
Früchten, Körnern und Insekten leben und durch ihre Beweglich-
keit, ihre Nachahmungssucht und ihr meist drolliges Wesen bekannt
genug sind. Alle sind in der Jugend weit gelehriger, sanfter und
unzweifelhaft ihre intellektuellen Fähigkeiten weit größer, als im Alter,
wo die Kinnladen allmälig mehr hervortreten, die Eckzähne vorspringen

Vogt. Zoologische Briefe. II. 34

Dit Unterordnung der eigentlichen Affen (Simiae) ſchließt
ſich in der Schädelform, in dem Gebiſſe, in der Ausbildung der
Hände ſtets mehr und mehr dem Menſchen an, obgleich noch immer
auch bei den menſchenähnlichſten Affen große Verſchiedenheiten in jeder
Beziehung ſtattfinden. Alle eigentlichen Affen haben, wie der Menſch,
vier Schneidezähne, die indeß nicht ſenkrecht, ſondern ſchief nach vorn
geneigt ſtehen, ſo daß ſie beim Schließen des Mundes eine vorſpringende
Ecke bilden. Die Eckzähne ſtehen ſtets etwas über die anderen her-
vor, zuweilen ſelbſt in ganz bedeutender Weiſe und haben eine ent-
ſprechende Zahnlücke in dem gegenüberſtehenden Kiefer; die Backzähne
ſind gewöhnlich in der Fünfzahl vorhanden und in ſtrenger Reihe an
einander geſchloſſen, würfelförmig mit breiter, höckeriger Kaufläche.
Das Geſicht iſt meiſt bis auf einen Kreis um die Augen, um Naſe
und Mund in derſelben Weiſe behaart, wie der übrige Körper, ſo
daß weder Bart noch Haupthaar ſich in der Weiſe, wie beim Men-
ſchen unterſcheiden. Die Extremitäten ſind lang und ſchmächtig und
im Vergleich mit denjenigen des Menſchen die Arme unter allen Um-
ſtänden viel länger und die Hinterſchenkel bei weitem ſchmächtiger, ſo
daß der Querdurchmeſſer der Oberſchenkel bedeutend geringer iſt, als
der Durchmeſſer von vorn nach hinten und der Schenkel nicht cylin-
deriſch oder kegelförmig, ſondern von der Seite her abgeplattet er-
ſcheint und in der Form dem Schlegel eines Thieres näher kommt.
Auch hier zeigt ſich die Erſcheinung, die ſchon bei der vorigen Unter-
ordnung zu beobachten war, nämlich, daß die Hände der Hinterfüße
weit allgemeiner und vollſtändiger entwickelt ſind, als diejenigen der
vorderen Extremitäten, wo bald der Daumen weit weniger entgegen
geſetzt werden kann, ja bei einigen Gattungen ſogar gänzlich fehlt
oder nur als kleiner Stummel vorhanden iſt. Im Allgemeinen iſt der
Schwanz bei den Affen ſtark entwickelt, zuweilen zu einem förmlichen
Greif- oder Wickelſchwanze ausgebildet, an welchen die Thiere ſich
ſtundenlang aufhängen können. Gewöhnlich geſellen ſich noch hierzu
Gefäßſchwielen, nackte, ſchwielige Stellen an den Hinterbacken, welche
bei der mangelnden Muskelbekleidung der Sitzknorren das Hocken auf
dem Hinteren erleichtern. Alle Affen ſind weſentlich Kletterthiere, die
gewöhnlich in Geſellſchaften ſich in Wäldern herumtreiben und von
Früchten, Körnern und Inſekten leben und durch ihre Beweglich-
keit, ihre Nachahmungsſucht und ihr meiſt drolliges Weſen bekannt
genug ſind. Alle ſind in der Jugend weit gelehriger, ſanfter und
unzweifelhaft ihre intellektuellen Fähigkeiten weit größer, als im Alter,
wo die Kinnladen allmälig mehr hervortreten, die Eckzähne vorſpringen

Vogt. Zoologiſche Briefe. II. 34
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <pb facs="#f0535" n="529"/>
                  <p>Dit Unterordnung der <hi rendition="#b">eigentlichen Affen <hi rendition="#aq">(Simiae)</hi></hi> &#x017F;chließt<lb/>
&#x017F;ich in der Schädelform, in dem Gebi&#x017F;&#x017F;e, in der Ausbildung der<lb/>
Hände &#x017F;tets mehr und mehr dem Men&#x017F;chen an, obgleich noch immer<lb/>
auch bei den men&#x017F;chenähnlich&#x017F;ten Affen große Ver&#x017F;chiedenheiten in jeder<lb/>
Beziehung &#x017F;tattfinden. Alle eigentlichen Affen haben, wie der Men&#x017F;ch,<lb/>
vier Schneidezähne, die indeß nicht &#x017F;enkrecht, &#x017F;ondern &#x017F;chief nach vorn<lb/>
geneigt &#x017F;tehen, &#x017F;o daß &#x017F;ie beim Schließen des Mundes eine vor&#x017F;pringende<lb/>
Ecke bilden. Die Eckzähne &#x017F;tehen &#x017F;tets etwas über die anderen her-<lb/>
vor, zuweilen &#x017F;elb&#x017F;t in ganz bedeutender Wei&#x017F;e und haben eine ent-<lb/>
&#x017F;prechende Zahnlücke in dem gegenüber&#x017F;tehenden Kiefer; die Backzähne<lb/>
&#x017F;ind gewöhnlich in der Fünfzahl vorhanden und in &#x017F;trenger Reihe an<lb/>
einander ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, würfelförmig mit breiter, höckeriger Kaufläche.<lb/>
Das Ge&#x017F;icht i&#x017F;t mei&#x017F;t bis auf einen Kreis um die Augen, um Na&#x017F;e<lb/>
und Mund in der&#x017F;elben Wei&#x017F;e behaart, wie der übrige Körper, &#x017F;o<lb/>
daß weder Bart noch Haupthaar &#x017F;ich in der Wei&#x017F;e, wie beim Men-<lb/>
&#x017F;chen unter&#x017F;cheiden. Die Extremitäten &#x017F;ind lang und &#x017F;chmächtig und<lb/>
im Vergleich mit denjenigen des Men&#x017F;chen die Arme unter allen Um-<lb/>
&#x017F;tänden viel länger und die Hinter&#x017F;chenkel bei weitem &#x017F;chmächtiger, &#x017F;o<lb/>
daß der Querdurchme&#x017F;&#x017F;er der Ober&#x017F;chenkel bedeutend geringer i&#x017F;t, als<lb/>
der Durchme&#x017F;&#x017F;er von vorn nach hinten und der Schenkel nicht cylin-<lb/>
deri&#x017F;ch oder kegelförmig, &#x017F;ondern von der Seite her abgeplattet er-<lb/>
&#x017F;cheint und in der Form dem Schlegel eines Thieres näher kommt.<lb/>
Auch hier zeigt &#x017F;ich die Er&#x017F;cheinung, die &#x017F;chon bei der vorigen Unter-<lb/>
ordnung zu beobachten war, nämlich, daß die Hände der Hinterfüße<lb/>
weit allgemeiner und voll&#x017F;tändiger entwickelt &#x017F;ind, als diejenigen der<lb/>
vorderen Extremitäten, wo bald der Daumen weit weniger entgegen<lb/>
ge&#x017F;etzt werden kann, ja bei einigen Gattungen &#x017F;ogar gänzlich fehlt<lb/>
oder nur als kleiner Stummel vorhanden i&#x017F;t. Im Allgemeinen i&#x017F;t der<lb/>
Schwanz bei den Affen &#x017F;tark entwickelt, zuweilen zu einem förmlichen<lb/>
Greif- oder Wickel&#x017F;chwanze ausgebildet, an welchen die Thiere &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;tundenlang aufhängen können. Gewöhnlich ge&#x017F;ellen &#x017F;ich noch hierzu<lb/>
Gefäß&#x017F;chwielen, nackte, &#x017F;chwielige Stellen an den Hinterbacken, welche<lb/>
bei der mangelnden Muskelbekleidung der Sitzknorren das Hocken auf<lb/>
dem Hinteren erleichtern. Alle Affen &#x017F;ind we&#x017F;entlich Kletterthiere, die<lb/>
gewöhnlich in Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften &#x017F;ich in Wäldern herumtreiben und von<lb/>
Früchten, Körnern und In&#x017F;ekten leben und durch ihre Beweglich-<lb/>
keit, ihre Nachahmungs&#x017F;ucht und ihr mei&#x017F;t drolliges We&#x017F;en bekannt<lb/>
genug &#x017F;ind. Alle &#x017F;ind in der Jugend weit gelehriger, &#x017F;anfter und<lb/>
unzweifelhaft ihre intellektuellen Fähigkeiten weit größer, als im Alter,<lb/>
wo die Kinnladen allmälig mehr hervortreten, die Eckzähne vor&#x017F;pringen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Vogt. Zoologi&#x017F;che Briefe. <hi rendition="#aq">II.</hi> 34</fw><lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[529/0535] Dit Unterordnung der eigentlichen Affen (Simiae) ſchließt ſich in der Schädelform, in dem Gebiſſe, in der Ausbildung der Hände ſtets mehr und mehr dem Menſchen an, obgleich noch immer auch bei den menſchenähnlichſten Affen große Verſchiedenheiten in jeder Beziehung ſtattfinden. Alle eigentlichen Affen haben, wie der Menſch, vier Schneidezähne, die indeß nicht ſenkrecht, ſondern ſchief nach vorn geneigt ſtehen, ſo daß ſie beim Schließen des Mundes eine vorſpringende Ecke bilden. Die Eckzähne ſtehen ſtets etwas über die anderen her- vor, zuweilen ſelbſt in ganz bedeutender Weiſe und haben eine ent- ſprechende Zahnlücke in dem gegenüberſtehenden Kiefer; die Backzähne ſind gewöhnlich in der Fünfzahl vorhanden und in ſtrenger Reihe an einander geſchloſſen, würfelförmig mit breiter, höckeriger Kaufläche. Das Geſicht iſt meiſt bis auf einen Kreis um die Augen, um Naſe und Mund in derſelben Weiſe behaart, wie der übrige Körper, ſo daß weder Bart noch Haupthaar ſich in der Weiſe, wie beim Men- ſchen unterſcheiden. Die Extremitäten ſind lang und ſchmächtig und im Vergleich mit denjenigen des Menſchen die Arme unter allen Um- ſtänden viel länger und die Hinterſchenkel bei weitem ſchmächtiger, ſo daß der Querdurchmeſſer der Oberſchenkel bedeutend geringer iſt, als der Durchmeſſer von vorn nach hinten und der Schenkel nicht cylin- deriſch oder kegelförmig, ſondern von der Seite her abgeplattet er- ſcheint und in der Form dem Schlegel eines Thieres näher kommt. Auch hier zeigt ſich die Erſcheinung, die ſchon bei der vorigen Unter- ordnung zu beobachten war, nämlich, daß die Hände der Hinterfüße weit allgemeiner und vollſtändiger entwickelt ſind, als diejenigen der vorderen Extremitäten, wo bald der Daumen weit weniger entgegen geſetzt werden kann, ja bei einigen Gattungen ſogar gänzlich fehlt oder nur als kleiner Stummel vorhanden iſt. Im Allgemeinen iſt der Schwanz bei den Affen ſtark entwickelt, zuweilen zu einem förmlichen Greif- oder Wickelſchwanze ausgebildet, an welchen die Thiere ſich ſtundenlang aufhängen können. Gewöhnlich geſellen ſich noch hierzu Gefäßſchwielen, nackte, ſchwielige Stellen an den Hinterbacken, welche bei der mangelnden Muskelbekleidung der Sitzknorren das Hocken auf dem Hinteren erleichtern. Alle Affen ſind weſentlich Kletterthiere, die gewöhnlich in Geſellſchaften ſich in Wäldern herumtreiben und von Früchten, Körnern und Inſekten leben und durch ihre Beweglich- keit, ihre Nachahmungsſucht und ihr meiſt drolliges Weſen bekannt genug ſind. Alle ſind in der Jugend weit gelehriger, ſanfter und unzweifelhaft ihre intellektuellen Fähigkeiten weit größer, als im Alter, wo die Kinnladen allmälig mehr hervortreten, die Eckzähne vorſpringen Vogt. Zoologiſche Briefe. II. 34

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe02_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe02_1851/535
Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1851, S. 529. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe02_1851/535>, abgerufen am 27.11.2024.