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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

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könnte. Wir schließen hier alle jene Handlungen aus, welche sich in
typischer Regelmäßigkeit bei allen Insekten derselben Art wiederholen,
mögen sie auch noch so wunderbar sein und aus einer Reihe von
Operationen bestehen, in denen man eine Kette von Urtheilsschlüssen
und daraus abgeleiteten Handlungen erkennen sollte. Wir wollen selbst
des Umstandes nicht erwähnen, daß die höher stehenden Insekten un-
zweifelhaft eine Sprache besitzen, mag diese nun in Zeichen oder Tö-
nen bestehen, und daß sie einander gegenseitige Mittheilungen machen
können über Dinge, welche sie interessiren. Die Ballenbiene (Halictus),
welche eine Goldwespe (Chrysis) erblickt, die neben ihrem Neste lauert,
um ein Ei hineinzulegen, ruft durch ängstliches Summen so viele ihrer
Genossen herbei, bis sie sich stark genug glaubt, um auf den Feind
ihrer Nachkommenschaft einstürzen zu können. Der Todtengräber
(Necrophorus), welcher die Leiche eines Thieres findet, die ihm zu groß
ist, um sie allein einscharren zu können, der Mistkäfer (Geotrupes),
dessen Kothballen in eine Vertiefung gefallen ist, aus welcher er ihn
mit aller Anstrengung nicht weiter rollen kann, fliegen fort und keh-
ren nach einiger Zeit zurück, von Genossen gefolgt, welche ihnen die
Arbeit vollbringen helfen. Die Ameisen wissen sich ohne Zweifel Pläne
und Wege nach Futterstoffen oder den Ort mitzutheilen, an den sie
sich begeben müssen, um eine drohende Gefahr abzuwehren. Ich
theile hier noch zwei Beobachtungen mit, welche, wie mir scheint, jede
andere Erklärung, als die einer wohlberechneten Ueberlegung, von vorn
herein abweisen.

Eine Goldwespe (Hedychrum regium) legt ihre Eier in die Nester
der gewöhnlichen Mauerbiene (Osmia muraria), die oft in bedeutender
Höhe an alten Mauern angebracht sind und von der Erbauerin mit
Honig und Blumenstaub verproviantirt werden. Diese Nahrung,
welche die Mauerbiene für ihre Larve sammelt, wird von den schma-
rotzenden Larven der Goldwespen vorweg verzehrt, wenn es diesen
gelingt, ihre Eier in das Nest hineinzubringen. Eine Goldwespe
hatte das Nest einer solchen Mauerbiene ausgekundschaftet und war
eben im Begriffe, rückwärts gehend, ihren Hinterleib in die Zellenöff-
nung zu stecken, und ein Ei hineinzulegen, als die Mauerbiene mit
einer Ladung Blumenstanb ankam, sich mit eigenthümlichem Summen
auf den Feind warf und ihn mit ihren scharfen Kiefern packte. Die
Goldwespe kugelte sich nach der Weise dieser Thiere augenblicklich zu-
sammen. Die Mauerbiene versuchte vergebens, sie durch den harten
Panzer hindurch zu verwunden und als ihre Anstrengungen in dieser
Beziehung fruchtlos blieben, biß sie endlich der Goldwespe die vier

könnte. Wir ſchließen hier alle jene Handlungen aus, welche ſich in
typiſcher Regelmäßigkeit bei allen Inſekten derſelben Art wiederholen,
mögen ſie auch noch ſo wunderbar ſein und aus einer Reihe von
Operationen beſtehen, in denen man eine Kette von Urtheilsſchlüſſen
und daraus abgeleiteten Handlungen erkennen ſollte. Wir wollen ſelbſt
des Umſtandes nicht erwähnen, daß die höher ſtehenden Inſekten un-
zweifelhaft eine Sprache beſitzen, mag dieſe nun in Zeichen oder Tö-
nen beſtehen, und daß ſie einander gegenſeitige Mittheilungen machen
können über Dinge, welche ſie intereſſiren. Die Ballenbiene (Halictus),
welche eine Goldweſpe (Chrysis) erblickt, die neben ihrem Neſte lauert,
um ein Ei hineinzulegen, ruft durch ängſtliches Summen ſo viele ihrer
Genoſſen herbei, bis ſie ſich ſtark genug glaubt, um auf den Feind
ihrer Nachkommenſchaft einſtürzen zu können. Der Todtengräber
(Necrophorus), welcher die Leiche eines Thieres findet, die ihm zu groß
iſt, um ſie allein einſcharren zu können, der Miſtkäfer (Geotrupes),
deſſen Kothballen in eine Vertiefung gefallen iſt, aus welcher er ihn
mit aller Anſtrengung nicht weiter rollen kann, fliegen fort und keh-
ren nach einiger Zeit zurück, von Genoſſen gefolgt, welche ihnen die
Arbeit vollbringen helfen. Die Ameiſen wiſſen ſich ohne Zweifel Pläne
und Wege nach Futterſtoffen oder den Ort mitzutheilen, an den ſie
ſich begeben müſſen, um eine drohende Gefahr abzuwehren. Ich
theile hier noch zwei Beobachtungen mit, welche, wie mir ſcheint, jede
andere Erklärung, als die einer wohlberechneten Ueberlegung, von vorn
herein abweiſen.

Eine Goldweſpe (Hedychrum regium) legt ihre Eier in die Neſter
der gewöhnlichen Mauerbiene (Osmia muraria), die oft in bedeutender
Höhe an alten Mauern angebracht ſind und von der Erbauerin mit
Honig und Blumenſtaub verproviantirt werden. Dieſe Nahrung,
welche die Mauerbiene für ihre Larve ſammelt, wird von den ſchma-
rotzenden Larven der Goldwespen vorweg verzehrt, wenn es dieſen
gelingt, ihre Eier in das Neſt hineinzubringen. Eine Goldwespe
hatte das Neſt einer ſolchen Mauerbiene ausgekundſchaftet und war
eben im Begriffe, rückwärts gehend, ihren Hinterleib in die Zellenöff-
nung zu ſtecken, und ein Ei hineinzulegen, als die Mauerbiene mit
einer Ladung Blumenſtanb ankam, ſich mit eigenthümlichem Summen
auf den Feind warf und ihn mit ihren ſcharfen Kiefern packte. Die
Goldweſpe kugelte ſich nach der Weiſe dieſer Thiere augenblicklich zu-
ſammen. Die Mauerbiene verſuchte vergebens, ſie durch den harten
Panzer hindurch zu verwunden und als ihre Anſtrengungen in dieſer
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[554/0560] könnte. Wir ſchließen hier alle jene Handlungen aus, welche ſich in typiſcher Regelmäßigkeit bei allen Inſekten derſelben Art wiederholen, mögen ſie auch noch ſo wunderbar ſein und aus einer Reihe von Operationen beſtehen, in denen man eine Kette von Urtheilsſchlüſſen und daraus abgeleiteten Handlungen erkennen ſollte. Wir wollen ſelbſt des Umſtandes nicht erwähnen, daß die höher ſtehenden Inſekten un- zweifelhaft eine Sprache beſitzen, mag dieſe nun in Zeichen oder Tö- nen beſtehen, und daß ſie einander gegenſeitige Mittheilungen machen können über Dinge, welche ſie intereſſiren. Die Ballenbiene (Halictus), welche eine Goldweſpe (Chrysis) erblickt, die neben ihrem Neſte lauert, um ein Ei hineinzulegen, ruft durch ängſtliches Summen ſo viele ihrer Genoſſen herbei, bis ſie ſich ſtark genug glaubt, um auf den Feind ihrer Nachkommenſchaft einſtürzen zu können. Der Todtengräber (Necrophorus), welcher die Leiche eines Thieres findet, die ihm zu groß iſt, um ſie allein einſcharren zu können, der Miſtkäfer (Geotrupes), deſſen Kothballen in eine Vertiefung gefallen iſt, aus welcher er ihn mit aller Anſtrengung nicht weiter rollen kann, fliegen fort und keh- ren nach einiger Zeit zurück, von Genoſſen gefolgt, welche ihnen die Arbeit vollbringen helfen. Die Ameiſen wiſſen ſich ohne Zweifel Pläne und Wege nach Futterſtoffen oder den Ort mitzutheilen, an den ſie ſich begeben müſſen, um eine drohende Gefahr abzuwehren. Ich theile hier noch zwei Beobachtungen mit, welche, wie mir ſcheint, jede andere Erklärung, als die einer wohlberechneten Ueberlegung, von vorn herein abweiſen. Eine Goldweſpe (Hedychrum regium) legt ihre Eier in die Neſter der gewöhnlichen Mauerbiene (Osmia muraria), die oft in bedeutender Höhe an alten Mauern angebracht ſind und von der Erbauerin mit Honig und Blumenſtaub verproviantirt werden. Dieſe Nahrung, welche die Mauerbiene für ihre Larve ſammelt, wird von den ſchma- rotzenden Larven der Goldwespen vorweg verzehrt, wenn es dieſen gelingt, ihre Eier in das Neſt hineinzubringen. Eine Goldwespe hatte das Neſt einer ſolchen Mauerbiene ausgekundſchaftet und war eben im Begriffe, rückwärts gehend, ihren Hinterleib in die Zellenöff- nung zu ſtecken, und ein Ei hineinzulegen, als die Mauerbiene mit einer Ladung Blumenſtanb ankam, ſich mit eigenthümlichem Summen auf den Feind warf und ihn mit ihren ſcharfen Kiefern packte. Die Goldweſpe kugelte ſich nach der Weiſe dieſer Thiere augenblicklich zu- ſammen. Die Mauerbiene verſuchte vergebens, ſie durch den harten Panzer hindurch zu verwunden und als ihre Anſtrengungen in dieſer Beziehung fruchtlos blieben, biß ſie endlich der Goldweſpe die vier

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 554. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/560>, abgerufen am 23.07.2024.