Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

wie der Knorpelstab der niedern Fische unserer jetzigen Schöpfung und
der Knorpelstab der Wirbelthierembryonen überhaupt in der ersten
Zeit ihrer Bildung.

Die Erkenntniß dieser dreifachen Richtung in der Ausbildung der
Thierorganismen, nämlich der historischen Entfaltung durch die ver-
schiedenen Geschichtsperioden der Erde hindurch, der Flächenausbildung
durch die mannigfaltigen Formen ausgebildeter Thiere, welche jetzt den Erd-
ball bevölkern, und der genetischen Entwickelung in der Ausbildung
der Embryonen, die Verfolgung dieser dreifachen Richtung bis in ihre
letzte Einzelheit ist es, welche der heutigen Wissenschaft die zu lösenden
Aufgaben stellt. Nach allen Seiten hin bestrebt man sich die Lücken
der Beobachtungen zu füllen und mit den vortrefflichsten Hülfsmitteln
ausgerüstet in die Einzelnheiten der Organisation einzudringen. Die
Einen verfolgen die einzelnen Thiere von dem ersten Augenblicke ihrer
Entstehung an, während Andere die versteinerten Reste mit den Pro-
dukten der jetzigen Schöpfung vergleichen und aus dieser Vergleichung
ihre Beziehungen ergründen. Noch ist zwar das Widerstreben nicht
ganz überwunden, welches gegen die Verschmelzung der Thiere der
jetzt lebenden Schöpfung mit der früheren Erdperiode herrschte, in-
dessen lichten sich doch die Reihen der Gegner von Tage zu Tage und
jede neue Arbeit bringt den Beweis, daß nur durch Beobachtung der
angeführten Richtungen die Wissenschaft überhaupt gefördert wer-
den kann.



Zweiter Brief.
Das System.


Sobald man einmal begonnen hatte, die bekannten Thierwesen zu
ordnen und größere oder kleinere Abtheilungen festzustellen, welche eine
Uebersicht gewährten, so wurde nothwendiger Weise das System der
Ausdruck der jedesmaligen Kenntnisse über das gesammte Thierreich.
Wir haben schon oben gesehen, wie Linne zuerst durch seine doppel-
namigen Bezeichnungen zwei feste Begriffe in die Wissenschaft einzu-
führen suchte, denjenigen der Art (Species) und den weiteren der
Gattung (Genus). Hierbei beschränkten sich indeß weder Linne noch

2*

wie der Knorpelſtab der niedern Fiſche unſerer jetzigen Schöpfung und
der Knorpelſtab der Wirbelthierembryonen überhaupt in der erſten
Zeit ihrer Bildung.

Die Erkenntniß dieſer dreifachen Richtung in der Ausbildung der
Thierorganismen, nämlich der hiſtoriſchen Entfaltung durch die ver-
ſchiedenen Geſchichtsperioden der Erde hindurch, der Flächenausbildung
durch die mannigfaltigen Formen ausgebildeter Thiere, welche jetzt den Erd-
ball bevölkern, und der genetiſchen Entwickelung in der Ausbildung
der Embryonen, die Verfolgung dieſer dreifachen Richtung bis in ihre
letzte Einzelheit iſt es, welche der heutigen Wiſſenſchaft die zu löſenden
Aufgaben ſtellt. Nach allen Seiten hin beſtrebt man ſich die Lücken
der Beobachtungen zu füllen und mit den vortrefflichſten Hülfsmitteln
ausgerüſtet in die Einzelnheiten der Organiſation einzudringen. Die
Einen verfolgen die einzelnen Thiere von dem erſten Augenblicke ihrer
Entſtehung an, während Andere die verſteinerten Reſte mit den Pro-
dukten der jetzigen Schöpfung vergleichen und aus dieſer Vergleichung
ihre Beziehungen ergründen. Noch iſt zwar das Widerſtreben nicht
ganz überwunden, welches gegen die Verſchmelzung der Thiere der
jetzt lebenden Schöpfung mit der früheren Erdperiode herrſchte, in-
deſſen lichten ſich doch die Reihen der Gegner von Tage zu Tage und
jede neue Arbeit bringt den Beweis, daß nur durch Beobachtung der
angeführten Richtungen die Wiſſenſchaft überhaupt gefördert wer-
den kann.



Zweiter Brief.
Das System.


Sobald man einmal begonnen hatte, die bekannten Thierweſen zu
ordnen und größere oder kleinere Abtheilungen feſtzuſtellen, welche eine
Ueberſicht gewährten, ſo wurde nothwendiger Weiſe das Syſtem der
Ausdruck der jedesmaligen Kenntniſſe über das geſammte Thierreich.
Wir haben ſchon oben geſehen, wie Linné zuerſt durch ſeine doppel-
namigen Bezeichnungen zwei feſte Begriffe in die Wiſſenſchaft einzu-
führen ſuchte, denjenigen der Art (Species) und den weiteren der
Gattung (Genus). Hierbei beſchränkten ſich indeß weder Linné noch

2*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0025" n="19"/>
wie der Knorpel&#x017F;tab der niedern Fi&#x017F;che un&#x017F;erer jetzigen Schöpfung und<lb/>
der Knorpel&#x017F;tab der Wirbelthierembryonen überhaupt in der er&#x017F;ten<lb/>
Zeit ihrer Bildung.</p><lb/>
        <p>Die Erkenntniß die&#x017F;er dreifachen Richtung in der Ausbildung der<lb/>
Thierorganismen, nämlich der <hi rendition="#g">hi&#x017F;tori&#x017F;chen Entfaltung</hi> durch die ver-<lb/>
&#x017F;chiedenen Ge&#x017F;chichtsperioden der Erde hindurch, der <hi rendition="#g">Flächenausbildung</hi><lb/>
durch die mannigfaltigen Formen ausgebildeter Thiere, welche jetzt den Erd-<lb/>
ball bevölkern, und der <hi rendition="#g">geneti&#x017F;chen Entwickelung</hi> in der Ausbildung<lb/>
der Embryonen, die Verfolgung die&#x017F;er dreifachen Richtung bis in ihre<lb/>
letzte Einzelheit i&#x017F;t es, welche der heutigen Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft die zu lö&#x017F;enden<lb/>
Aufgaben &#x017F;tellt. Nach allen Seiten hin be&#x017F;trebt man &#x017F;ich die Lücken<lb/>
der Beobachtungen zu füllen und mit den vortrefflich&#x017F;ten Hülfsmitteln<lb/>
ausgerü&#x017F;tet in die Einzelnheiten der Organi&#x017F;ation einzudringen. Die<lb/>
Einen verfolgen die einzelnen Thiere von dem er&#x017F;ten Augenblicke ihrer<lb/>
Ent&#x017F;tehung an, während Andere die ver&#x017F;teinerten Re&#x017F;te mit den Pro-<lb/>
dukten der jetzigen Schöpfung vergleichen und aus die&#x017F;er Vergleichung<lb/>
ihre Beziehungen ergründen. Noch i&#x017F;t zwar das Wider&#x017F;treben nicht<lb/>
ganz überwunden, welches gegen die Ver&#x017F;chmelzung der Thiere der<lb/>
jetzt lebenden Schöpfung mit der früheren Erdperiode herr&#x017F;chte, in-<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en lichten &#x017F;ich doch die Reihen der Gegner von Tage zu Tage und<lb/>
jede neue Arbeit bringt den Beweis, daß nur durch Beobachtung der<lb/>
angeführten Richtungen die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft überhaupt gefördert wer-<lb/>
den kann.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      <div n="1">
        <head><hi rendition="#b">Zweiter Brief.</hi><lb/><hi rendition="#g">Das System</hi>.</head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p><hi rendition="#in">S</hi>obald man einmal begonnen hatte, die bekannten Thierwe&#x017F;en zu<lb/>
ordnen und größere oder kleinere Abtheilungen fe&#x017F;tzu&#x017F;tellen, welche eine<lb/>
Ueber&#x017F;icht gewährten, &#x017F;o wurde nothwendiger Wei&#x017F;e das Sy&#x017F;tem der<lb/>
Ausdruck der jedesmaligen Kenntni&#x017F;&#x017F;e über das ge&#x017F;ammte Thierreich.<lb/>
Wir haben &#x017F;chon oben ge&#x017F;ehen, wie Linn<hi rendition="#aq">é</hi> zuer&#x017F;t durch &#x017F;eine doppel-<lb/>
namigen Bezeichnungen zwei fe&#x017F;te Begriffe in die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft einzu-<lb/>
führen &#x017F;uchte, denjenigen der Art <hi rendition="#aq">(Species)</hi> und den weiteren der<lb/>
Gattung <hi rendition="#aq">(Genus)</hi>. Hierbei be&#x017F;chränkten &#x017F;ich indeß weder Linn<hi rendition="#aq">é</hi> noch<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">2*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[19/0025] wie der Knorpelſtab der niedern Fiſche unſerer jetzigen Schöpfung und der Knorpelſtab der Wirbelthierembryonen überhaupt in der erſten Zeit ihrer Bildung. Die Erkenntniß dieſer dreifachen Richtung in der Ausbildung der Thierorganismen, nämlich der hiſtoriſchen Entfaltung durch die ver- ſchiedenen Geſchichtsperioden der Erde hindurch, der Flächenausbildung durch die mannigfaltigen Formen ausgebildeter Thiere, welche jetzt den Erd- ball bevölkern, und der genetiſchen Entwickelung in der Ausbildung der Embryonen, die Verfolgung dieſer dreifachen Richtung bis in ihre letzte Einzelheit iſt es, welche der heutigen Wiſſenſchaft die zu löſenden Aufgaben ſtellt. Nach allen Seiten hin beſtrebt man ſich die Lücken der Beobachtungen zu füllen und mit den vortrefflichſten Hülfsmitteln ausgerüſtet in die Einzelnheiten der Organiſation einzudringen. Die Einen verfolgen die einzelnen Thiere von dem erſten Augenblicke ihrer Entſtehung an, während Andere die verſteinerten Reſte mit den Pro- dukten der jetzigen Schöpfung vergleichen und aus dieſer Vergleichung ihre Beziehungen ergründen. Noch iſt zwar das Widerſtreben nicht ganz überwunden, welches gegen die Verſchmelzung der Thiere der jetzt lebenden Schöpfung mit der früheren Erdperiode herrſchte, in- deſſen lichten ſich doch die Reihen der Gegner von Tage zu Tage und jede neue Arbeit bringt den Beweis, daß nur durch Beobachtung der angeführten Richtungen die Wiſſenſchaft überhaupt gefördert wer- den kann. Zweiter Brief. Das System. Sobald man einmal begonnen hatte, die bekannten Thierweſen zu ordnen und größere oder kleinere Abtheilungen feſtzuſtellen, welche eine Ueberſicht gewährten, ſo wurde nothwendiger Weiſe das Syſtem der Ausdruck der jedesmaligen Kenntniſſe über das geſammte Thierreich. Wir haben ſchon oben geſehen, wie Linné zuerſt durch ſeine doppel- namigen Bezeichnungen zwei feſte Begriffe in die Wiſſenſchaft einzu- führen ſuchte, denjenigen der Art (Species) und den weiteren der Gattung (Genus). Hierbei beſchränkten ſich indeß weder Linné noch 2*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/25
Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/25>, abgerufen am 04.12.2024.