ordentlichem Eifer betrieben. Man besuchte die Seeküsten, um den Bau der Organismen des Meeres in frischem Zustande zu untersuchen, und je tiefer man in die Organisation dieser niederen Thiere eindrang, desto überraschendere Ergebnisse hatte man zu berichten. Während so die Kenntniß der niedern Thiere rasch gefördert wurde, bahnte Cuvier zugleich einen neuen Weg durch Untersuchung der Knochenreste, welche die Schichten der Erde einschließen. Durch die genauesten Vergleichun- gen der einzelnen Fragmente mit den Skeletten jetzt lebender Thiere, gelang es ihm die vorweltlichen Säugethiere und Reptilien meist in ihren wahren Formen wieder herzustellen, ihre Beziehungen zu der jetzigen Schöpfung aufzuklären und hierdurch den wichtigsten Einfluß auf ein strenges und nachhaltiges Studium der Thatsachen zu üben. Umfassende und genaue Beobachtung des Baues der Thiere bis in seine größten Einzelnheiten und seine letzten Gestaltungseigenthümlich- keiten, kritische Lichtung und Vergleichung der Arbeiten der Vorgänger und unmittelbares Festhalten an den beobachteten Thatsachen, waren wesentliche Eigenthümlichkeiten der Cuvier'schen Richtung. Cuvier selbst war ein streng methodischer, aber knapper Geist, der niemals den Boden der Thatsachen verließ, durch keine Spekulation die Lücken der Beobachtung zu ersetzen suchte, wohl aber ein reiches Material mit vieler Klarheit zu ordnen und zu beherrschen wußte.
Es war natürlich, daß neben der Richtung Cuvier's, die sich durch das strenge Festhalten an den Thatsachen auszeichnete, eine mehr idealistische Schule sich entwickelte, welche die Thiere nicht nach Merk- malen, sondern nach den Prinzipien ordnen wollte, in deren Befol- gung die Natur die thierischen Organismen überhaupt hervorgebracht hätte. Begreiflicherweise trugen die Natur-Philosophen diese Prin- zipien von sich aus in die Natur hinein, anstatt sie aus den Thatsachen hervorgehen zu lassen, welche nur Nebensache, gleichsam nur Verbrämung des philosophischen Fachwerkes waren, nach welchen sie sich die Natur zuschnitten. Die beiden so gänzlich in sich verschie- denen Tendenzen stießen bald mit äußerster Heftigkeit aufeinander, und während die Schlachtfelder Europa's vom Donner der Geschütze wider- hallten, war ein nicht minder heftiger Streit zwischen den beiden wissenschaftlichen Heeren entbrannt, an deren Spitze einerseits Cuvier, Meckel, Rudolphi und Tiedemann, andererseits Geoffroy St. Hilaire, Schelling und Oken fochten. Wie jeder Kampf, so förderte auch dieser ungemein dadurch, daß die Gegner von beiden Seiten soviel Material als möglich herbeischafften, um ihre Widersacher zu vernichten, und
ordentlichem Eifer betrieben. Man beſuchte die Seeküſten, um den Bau der Organismen des Meeres in friſchem Zuſtande zu unterſuchen, und je tiefer man in die Organiſation dieſer niederen Thiere eindrang, deſto überraſchendere Ergebniſſe hatte man zu berichten. Während ſo die Kenntniß der niedern Thiere raſch gefördert wurde, bahnte Cuvier zugleich einen neuen Weg durch Unterſuchung der Knochenreſte, welche die Schichten der Erde einſchließen. Durch die genaueſten Vergleichun- gen der einzelnen Fragmente mit den Skeletten jetzt lebender Thiere, gelang es ihm die vorweltlichen Säugethiere und Reptilien meiſt in ihren wahren Formen wieder herzuſtellen, ihre Beziehungen zu der jetzigen Schöpfung aufzuklären und hierdurch den wichtigſten Einfluß auf ein ſtrenges und nachhaltiges Studium der Thatſachen zu üben. Umfaſſende und genaue Beobachtung des Baues der Thiere bis in ſeine größten Einzelnheiten und ſeine letzten Geſtaltungseigenthümlich- keiten, kritiſche Lichtung und Vergleichung der Arbeiten der Vorgänger und unmittelbares Feſthalten an den beobachteten Thatſachen, waren weſentliche Eigenthümlichkeiten der Cuvier’ſchen Richtung. Cuvier ſelbſt war ein ſtreng methodiſcher, aber knapper Geiſt, der niemals den Boden der Thatſachen verließ, durch keine Spekulation die Lücken der Beobachtung zu erſetzen ſuchte, wohl aber ein reiches Material mit vieler Klarheit zu ordnen und zu beherrſchen wußte.
Es war natürlich, daß neben der Richtung Cuvier’s, die ſich durch das ſtrenge Feſthalten an den Thatſachen auszeichnete, eine mehr idealiſtiſche Schule ſich entwickelte, welche die Thiere nicht nach Merk- malen, ſondern nach den Prinzipien ordnen wollte, in deren Befol- gung die Natur die thieriſchen Organismen überhaupt hervorgebracht hätte. Begreiflicherweiſe trugen die Natur-Philoſophen dieſe Prin- zipien von ſich aus in die Natur hinein, anſtatt ſie aus den Thatſachen hervorgehen zu laſſen, welche nur Nebenſache, gleichſam nur Verbrämung des philoſophiſchen Fachwerkes waren, nach welchen ſie ſich die Natur zuſchnitten. Die beiden ſo gänzlich in ſich verſchie- denen Tendenzen ſtießen bald mit äußerſter Heftigkeit aufeinander, und während die Schlachtfelder Europa’s vom Donner der Geſchütze wider- hallten, war ein nicht minder heftiger Streit zwiſchen den beiden wiſſenſchaftlichen Heeren entbrannt, an deren Spitze einerſeits Cuvier, Meckel, Rudolphi und Tiedemann, andererſeits Geoffroy St. Hilaire, Schelling und Oken fochten. Wie jeder Kampf, ſo förderte auch dieſer ungemein dadurch, daß die Gegner von beiden Seiten ſoviel Material als möglich herbeiſchafften, um ihre Widerſacher zu vernichten, und
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[14/0020]
ordentlichem Eifer betrieben. Man beſuchte die Seeküſten, um den
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und je tiefer man in die Organiſation dieſer niederen Thiere eindrang,
deſto überraſchendere Ergebniſſe hatte man zu berichten. Während ſo
die Kenntniß der niedern Thiere raſch gefördert wurde, bahnte Cuvier
zugleich einen neuen Weg durch Unterſuchung der Knochenreſte, welche
die Schichten der Erde einſchließen. Durch die genaueſten Vergleichun-
gen der einzelnen Fragmente mit den Skeletten jetzt lebender Thiere,
gelang es ihm die vorweltlichen Säugethiere und Reptilien meiſt in
ihren wahren Formen wieder herzuſtellen, ihre Beziehungen zu der
jetzigen Schöpfung aufzuklären und hierdurch den wichtigſten Einfluß
auf ein ſtrenges und nachhaltiges Studium der Thatſachen zu üben.
Umfaſſende und genaue Beobachtung des Baues der Thiere bis in
ſeine größten Einzelnheiten und ſeine letzten Geſtaltungseigenthümlich-
keiten, kritiſche Lichtung und Vergleichung der Arbeiten der Vorgänger
und unmittelbares Feſthalten an den beobachteten Thatſachen, waren
weſentliche Eigenthümlichkeiten der Cuvier’ſchen Richtung. Cuvier ſelbſt
war ein ſtreng methodiſcher, aber knapper Geiſt, der niemals den
Boden der Thatſachen verließ, durch keine Spekulation die Lücken der
Beobachtung zu erſetzen ſuchte, wohl aber ein reiches Material mit
vieler Klarheit zu ordnen und zu beherrſchen wußte.
Es war natürlich, daß neben der Richtung Cuvier’s, die ſich
durch das ſtrenge Feſthalten an den Thatſachen auszeichnete, eine mehr
idealiſtiſche Schule ſich entwickelte, welche die Thiere nicht nach Merk-
malen, ſondern nach den Prinzipien ordnen wollte, in deren Befol-
gung die Natur die thieriſchen Organismen überhaupt hervorgebracht
hätte. Begreiflicherweiſe trugen die Natur-Philoſophen dieſe Prin-
zipien von ſich aus in die Natur hinein, anſtatt ſie aus den
Thatſachen hervorgehen zu laſſen, welche nur Nebenſache, gleichſam
nur Verbrämung des philoſophiſchen Fachwerkes waren, nach welchen
ſie ſich die Natur zuſchnitten. Die beiden ſo gänzlich in ſich verſchie-
denen Tendenzen ſtießen bald mit äußerſter Heftigkeit aufeinander, und
während die Schlachtfelder Europa’s vom Donner der Geſchütze wider-
hallten, war ein nicht minder heftiger Streit zwiſchen den beiden
wiſſenſchaftlichen Heeren entbrannt, an deren Spitze einerſeits Cuvier,
Meckel, Rudolphi und Tiedemann, andererſeits Geoffroy St. Hilaire,
Schelling und Oken fochten. Wie jeder Kampf, ſo förderte auch dieſer
ungemein dadurch, daß die Gegner von beiden Seiten ſoviel Material
als möglich herbeiſchafften, um ihre Widerſacher zu vernichten, und
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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/20>, abgerufen am 04.12.2024.
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