Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

sagt bis zu fünfzig Ellen und mehr bei den den Menschen be-
wohnenden Arten -- erreicht. Das jüngste Glied ist stets das un-
mittelbar am Kopfende befindliche, das älteste das hinterste Glied. Je
älter die Glieder werden, desto mehr entwickeln sich in ihnen die Ge-
schlechtsorgane. In reifen Gliedern sind Eierstöcke und Eileiter strotzend
mit Eiern angefüllt, in denen sich zuweilen schon die Embryone er-
kennen lassen. In diesem Zustande lösen sich die Glieder ab, bei
den Bandwürmern einzeln, bei den Grubenköpfen in ganzen Reihen
und werden mit dem Kothe nach außen geführt. Die Abstoßung der
Glieder, welche zur regelmäßigen Zeit wiederkehrt, ist also ein wahres
Aussäen einer ungeheuren Anzahl von entwicklungsfähigen Eiern,
welche in dem Gliede eingeschlossen sind und auf irgend eine Weise
wieder in ein Thier hineinkommen müssen, in dessen Innern sie
wohnen können. Millionen dieser Eier gehen wahrscheinlich zu Grunde,
ohne an einen solchen Ort zu gelangen; da aber bei einer jeden Ab-
stoßung von Gliedern auch Millionen von Eiern ausgesäet werden, so
ist dennoch die Erhaltung der Art auf diese Weise gesichert. Bei eini-
gen Arten von Bandwürmern haben die abgestoßenen Glieder eine
große Beweglichkeit, wodurch sie gewissen Saugwürmern sehr ähnlich
werden. In der That glaubten auch einige Naturforscher diese losgestoße-
nen Bandwurmglieder als eigene Individuen ansehen und den Band-
wurm als ein zusammengesetztes Thier, ähnlich einem Polypenstocke auffassen
zu müssen. Andere betrachten das festsitzende Kopfende als eine Art Amme,
welche durch Knospung aus sich die eigentlichen Thiere, die Bandwurm-
glieder entwickelt, welche dann durch geschlechtliche Zeugung Eier und
Embryonen entstehen lassen. Auch diese Ansicht, so sehr sie eine An-
näherung an die Saugwürmer gewährt, hat den Umstand gegen sich,
daß diese abgestoßenen Glieder nie ein selbstständiges Leben führen,
sondern nur bewegte Kapseln oder durch äußere Knospung erzeugte
unvollständige Ammen der Bandwurmeier sind.

Man weiß noch nicht, auf welche Art die mit den abgestoßenen
Gliedern zerstreuten Bandwürmer wieder an die Orte gelangen, wo
sie sich entwickeln können. Die Verbreitung des menschlichen Gruben-
kopfes (Bothriocephalus latus) giebt hier freilich einen Fingerzeig.
Man findet denselben mit fast scharfer geographischer Abgrenzung in
der Schweiz, in Holland und in Polen und zwar in allen diesen Län-
dern an einzelnen Orten so häufig, daß fast jeder Mensch einen sol-
chen Schmarotzer beherbergt, während in Deutschland und Frankreich
nicht der Grubenkopf, sondern der eigentliche Bandwurm (Taenia

ſagt bis zu fünfzig Ellen und mehr bei den den Menſchen be-
wohnenden Arten — erreicht. Das jüngſte Glied iſt ſtets das un-
mittelbar am Kopfende befindliche, das älteſte das hinterſte Glied. Je
älter die Glieder werden, deſto mehr entwickeln ſich in ihnen die Ge-
ſchlechtsorgane. In reifen Gliedern ſind Eierſtöcke und Eileiter ſtrotzend
mit Eiern angefüllt, in denen ſich zuweilen ſchon die Embryone er-
kennen laſſen. In dieſem Zuſtande löſen ſich die Glieder ab, bei
den Bandwürmern einzeln, bei den Grubenköpfen in ganzen Reihen
und werden mit dem Kothe nach außen geführt. Die Abſtoßung der
Glieder, welche zur regelmäßigen Zeit wiederkehrt, iſt alſo ein wahres
Ausſäen einer ungeheuren Anzahl von entwicklungsfähigen Eiern,
welche in dem Gliede eingeſchloſſen ſind und auf irgend eine Weiſe
wieder in ein Thier hineinkommen müſſen, in deſſen Innern ſie
wohnen können. Millionen dieſer Eier gehen wahrſcheinlich zu Grunde,
ohne an einen ſolchen Ort zu gelangen; da aber bei einer jeden Ab-
ſtoßung von Gliedern auch Millionen von Eiern ausgeſäet werden, ſo
iſt dennoch die Erhaltung der Art auf dieſe Weiſe geſichert. Bei eini-
gen Arten von Bandwürmern haben die abgeſtoßenen Glieder eine
große Beweglichkeit, wodurch ſie gewiſſen Saugwürmern ſehr ähnlich
werden. In der That glaubten auch einige Naturforſcher dieſe losgeſtoße-
nen Bandwurmglieder als eigene Individuen anſehen und den Band-
wurm als ein zuſammengeſetztes Thier, ähnlich einem Polypenſtocke auffaſſen
zu müſſen. Andere betrachten das feſtſitzende Kopfende als eine Art Amme,
welche durch Knospung aus ſich die eigentlichen Thiere, die Bandwurm-
glieder entwickelt, welche dann durch geſchlechtliche Zeugung Eier und
Embryonen entſtehen laſſen. Auch dieſe Anſicht, ſo ſehr ſie eine An-
näherung an die Saugwürmer gewährt, hat den Umſtand gegen ſich,
daß dieſe abgeſtoßenen Glieder nie ein ſelbſtſtändiges Leben führen,
ſondern nur bewegte Kapſeln oder durch äußere Knospung erzeugte
unvollſtändige Ammen der Bandwurmeier ſind.

Man weiß noch nicht, auf welche Art die mit den abgeſtoßenen
Gliedern zerſtreuten Bandwürmer wieder an die Orte gelangen, wo
ſie ſich entwickeln können. Die Verbreitung des menſchlichen Gruben-
kopfes (Bothriocephalus latus) giebt hier freilich einen Fingerzeig.
Man findet denſelben mit faſt ſcharfer geographiſcher Abgrenzung in
der Schweiz, in Holland und in Polen und zwar in allen dieſen Län-
dern an einzelnen Orten ſo häufig, daß faſt jeder Menſch einen ſol-
chen Schmarotzer beherbergt, während in Deutſchland und Frankreich
nicht der Grubenkopf, ſondern der eigentliche Bandwurm (Taenia

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0198" n="192"/>
&#x017F;agt bis zu fünfzig Ellen und mehr bei den den Men&#x017F;chen be-<lb/>
wohnenden Arten &#x2014; erreicht. Das jüng&#x017F;te Glied i&#x017F;t &#x017F;tets das un-<lb/>
mittelbar am Kopfende befindliche, das älte&#x017F;te das hinter&#x017F;te Glied. Je<lb/>
älter die Glieder werden, de&#x017F;to mehr entwickeln &#x017F;ich in ihnen die Ge-<lb/>
&#x017F;chlechtsorgane. In reifen Gliedern &#x017F;ind Eier&#x017F;töcke und Eileiter &#x017F;trotzend<lb/>
mit Eiern angefüllt, in denen &#x017F;ich zuweilen &#x017F;chon die Embryone er-<lb/>
kennen la&#x017F;&#x017F;en. In die&#x017F;em Zu&#x017F;tande lö&#x017F;en &#x017F;ich die Glieder ab, bei<lb/>
den Bandwürmern einzeln, bei den Grubenköpfen in ganzen Reihen<lb/>
und werden mit dem Kothe nach außen geführt. Die Ab&#x017F;toßung der<lb/>
Glieder, welche zur regelmäßigen Zeit wiederkehrt, i&#x017F;t al&#x017F;o ein wahres<lb/>
Aus&#x017F;äen einer ungeheuren Anzahl von entwicklungsfähigen Eiern,<lb/>
welche in dem Gliede einge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ind und auf irgend <choice><sic>eiue</sic><corr>eine</corr></choice> Wei&#x017F;e<lb/>
wieder in ein Thier hineinkommen mü&#x017F;&#x017F;en, in de&#x017F;&#x017F;en Innern &#x017F;ie<lb/>
wohnen können. Millionen die&#x017F;er Eier gehen wahr&#x017F;cheinlich zu Grunde,<lb/>
ohne an einen &#x017F;olchen Ort zu gelangen; da aber bei einer jeden Ab-<lb/>
&#x017F;toßung von Gliedern auch Millionen von Eiern ausge&#x017F;äet werden, &#x017F;o<lb/>
i&#x017F;t dennoch die Erhaltung der Art auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e ge&#x017F;ichert. Bei eini-<lb/>
gen Arten von Bandwürmern haben die abge&#x017F;toßenen Glieder eine<lb/>
große Beweglichkeit, wodurch &#x017F;ie gewi&#x017F;&#x017F;en Saugwürmern &#x017F;ehr ähnlich<lb/>
werden. In der That glaubten auch einige Naturfor&#x017F;cher die&#x017F;e losge&#x017F;toße-<lb/>
nen Bandwurmglieder als eigene Individuen an&#x017F;ehen und den Band-<lb/>
wurm als ein zu&#x017F;ammenge&#x017F;etztes Thier, ähnlich einem Polypen&#x017F;tocke auffa&#x017F;&#x017F;en<lb/>
zu mü&#x017F;&#x017F;en. Andere betrachten das fe&#x017F;t&#x017F;itzende Kopfende als eine Art Amme,<lb/>
welche durch Knospung aus &#x017F;ich die eigentlichen Thiere, die Bandwurm-<lb/>
glieder entwickelt, welche dann durch ge&#x017F;chlechtliche Zeugung Eier und<lb/>
Embryonen ent&#x017F;tehen la&#x017F;&#x017F;en. Auch die&#x017F;e An&#x017F;icht, &#x017F;o &#x017F;ehr &#x017F;ie eine An-<lb/>
näherung an die Saugwürmer gewährt, hat den Um&#x017F;tand gegen &#x017F;ich,<lb/>
daß die&#x017F;e abge&#x017F;toßenen Glieder nie ein &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;tändiges Leben führen,<lb/>
&#x017F;ondern nur bewegte Kap&#x017F;eln oder durch äußere Knospung erzeugte<lb/>
unvoll&#x017F;tändige Ammen der Bandwurmeier &#x017F;ind.</p><lb/>
          <p>Man weiß noch nicht, auf welche Art die mit den abge&#x017F;toßenen<lb/>
Gliedern zer&#x017F;treuten Bandwürmer wieder an die Orte gelangen, wo<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich entwickeln können. Die Verbreitung des men&#x017F;chlichen Gruben-<lb/>
kopfes (<hi rendition="#aq">Bothriocephalus latus</hi>) giebt hier freilich einen Fingerzeig.<lb/>
Man findet den&#x017F;elben mit fa&#x017F;t &#x017F;charfer geographi&#x017F;cher Abgrenzung in<lb/>
der Schweiz, in Holland und in Polen und zwar in allen die&#x017F;en Län-<lb/>
dern an einzelnen Orten &#x017F;o häufig, daß fa&#x017F;t jeder Men&#x017F;ch einen &#x017F;ol-<lb/>
chen Schmarotzer beherbergt, während in Deut&#x017F;chland und Frankreich<lb/>
nicht der Grubenkopf, &#x017F;ondern der eigentliche Bandwurm (<hi rendition="#aq">Taenia<lb/></hi></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[192/0198] ſagt bis zu fünfzig Ellen und mehr bei den den Menſchen be- wohnenden Arten — erreicht. Das jüngſte Glied iſt ſtets das un- mittelbar am Kopfende befindliche, das älteſte das hinterſte Glied. Je älter die Glieder werden, deſto mehr entwickeln ſich in ihnen die Ge- ſchlechtsorgane. In reifen Gliedern ſind Eierſtöcke und Eileiter ſtrotzend mit Eiern angefüllt, in denen ſich zuweilen ſchon die Embryone er- kennen laſſen. In dieſem Zuſtande löſen ſich die Glieder ab, bei den Bandwürmern einzeln, bei den Grubenköpfen in ganzen Reihen und werden mit dem Kothe nach außen geführt. Die Abſtoßung der Glieder, welche zur regelmäßigen Zeit wiederkehrt, iſt alſo ein wahres Ausſäen einer ungeheuren Anzahl von entwicklungsfähigen Eiern, welche in dem Gliede eingeſchloſſen ſind und auf irgend eine Weiſe wieder in ein Thier hineinkommen müſſen, in deſſen Innern ſie wohnen können. Millionen dieſer Eier gehen wahrſcheinlich zu Grunde, ohne an einen ſolchen Ort zu gelangen; da aber bei einer jeden Ab- ſtoßung von Gliedern auch Millionen von Eiern ausgeſäet werden, ſo iſt dennoch die Erhaltung der Art auf dieſe Weiſe geſichert. Bei eini- gen Arten von Bandwürmern haben die abgeſtoßenen Glieder eine große Beweglichkeit, wodurch ſie gewiſſen Saugwürmern ſehr ähnlich werden. In der That glaubten auch einige Naturforſcher dieſe losgeſtoße- nen Bandwurmglieder als eigene Individuen anſehen und den Band- wurm als ein zuſammengeſetztes Thier, ähnlich einem Polypenſtocke auffaſſen zu müſſen. Andere betrachten das feſtſitzende Kopfende als eine Art Amme, welche durch Knospung aus ſich die eigentlichen Thiere, die Bandwurm- glieder entwickelt, welche dann durch geſchlechtliche Zeugung Eier und Embryonen entſtehen laſſen. Auch dieſe Anſicht, ſo ſehr ſie eine An- näherung an die Saugwürmer gewährt, hat den Umſtand gegen ſich, daß dieſe abgeſtoßenen Glieder nie ein ſelbſtſtändiges Leben führen, ſondern nur bewegte Kapſeln oder durch äußere Knospung erzeugte unvollſtändige Ammen der Bandwurmeier ſind. Man weiß noch nicht, auf welche Art die mit den abgeſtoßenen Gliedern zerſtreuten Bandwürmer wieder an die Orte gelangen, wo ſie ſich entwickeln können. Die Verbreitung des menſchlichen Gruben- kopfes (Bothriocephalus latus) giebt hier freilich einen Fingerzeig. Man findet denſelben mit faſt ſcharfer geographiſcher Abgrenzung in der Schweiz, in Holland und in Polen und zwar in allen dieſen Län- dern an einzelnen Orten ſo häufig, daß faſt jeder Menſch einen ſol- chen Schmarotzer beherbergt, während in Deutſchland und Frankreich nicht der Grubenkopf, ſondern der eigentliche Bandwurm (Taenia

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/198
Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/198>, abgerufen am 05.12.2024.