Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

Bild:
<< vorherige Seite

einen biegsamen Stiel besitzen, durch welchen sie an den Boden fest-
geheftet sind und daß sie in diesem Zustande vollkommen einer See-
lilie mit zehn Armen gleichen. Die frühern Entwicklungszustände der
Haarsterne sind nicht bekannt. Wahrscheinlich schwimmen die Larven,
wie diejenigen der übrigen Stachelhäuter, während einiger Zeit im
Meere umher, um sich dann später festzusetzen und die Seelilienform an-
zunehmen. Die jungen Haarsterne haben Anfangs einen stabförmigen
Körper, der knopfförmig endet und hier mit einigen kurzen Fortsätzen
(Fühler) versehen ist. Nun beginnt in dem Stiele die Kalkablagerung
der einzelnen Glieder, während zugleich der Becher sich deutlicher aus-
bildet und die Arme hervorsprossen. Bald sieht man auf der Ober-
fläche des Bechers den mit fünf dreieckigen, klappenartigen Vorsprün-
gen besetzten centralen Mund und am Rande den warzenartig vor-
springenden After. Das ausgebildete Junge hat fünf doppelt getheilte
Arme, mit seitlichen Ranken besetzt und am Stiele ebenfalls einen
Kranz von Ranken, der auch im späteren Leben bleibt. Der Stiel
schwindet nun an der Anheftungsstelle; die Thierchen reißen sich end-
lich von ihren Stielen los und kriechen dann frei umher. Es zeigt
sich durch diese Entwicklung eine merkwürdige Uebereinstimmung in der
geologischen Ausbildung der Ordnung und der Entwicklung der am
höchsten stehenden Familie, indem die in den älteren Schichten vor-
kommenden Seelilien alle gestielt sind und die ungestielten Haarsterne
erst in den jurassischen Gebilden auftreten und sich in stets zunehmen-
der Zahl bis in unsere Jetztzeit entwickeln.

Die Ordnung der Seesterne (Stellerida) begreift nur platt-
gedrückte Thiere mit scheibenförmigem, fünfeckigem Körper und mehr
oder minder ausgezackten Armen, welche von der Körperscheibe
nur unvollständig getrennt sind. Der Mund befindet sich auf der
Unterfläche der Scheibe im Mittelpunkte, der After, (wenn ein solcher
vorhanden ist, denn bei vielen Gattungen fehlt er) stets gegenüber
auf der Rückenfläche. Die Körperhaut ist lederartig; das Kalkskelett
aus einzelnen, losen Panzerringen zusammengesetzt, die eine große Be-
weglichkeit und Biegsamkeit des ganzen Körpers gestatten; die Strah-
len dieser Panzerringe beginnen an dem Munde und laufen fünfeckig
nach den Seiten aus. Auf der Unterfläche der Scheibe und, je nach
den Familien, auch der Arme sind in den Strahlen entsprechende Rin-
nen angebracht, welche die Saugfüßchen beherbergen, die fast ganz in
die Rinne zurückgezogen werden können. Außerdem bemerkt man bei
allen an irgend einer Stelle der Körperscheibe eine eigenthümliche
schwammige Kalkplatte, die sogenannte Madreporenplatte, welche wie wir
später sehen werden, nebst den ihr zugehörigen Gebilden ein Ueber-

einen biegſamen Stiel beſitzen, durch welchen ſie an den Boden feſt-
geheftet ſind und daß ſie in dieſem Zuſtande vollkommen einer See-
lilie mit zehn Armen gleichen. Die frühern Entwicklungszuſtände der
Haarſterne ſind nicht bekannt. Wahrſcheinlich ſchwimmen die Larven,
wie diejenigen der übrigen Stachelhäuter, während einiger Zeit im
Meere umher, um ſich dann ſpäter feſtzuſetzen und die Seelilienform an-
zunehmen. Die jungen Haarſterne haben Anfangs einen ſtabförmigen
Körper, der knopfförmig endet und hier mit einigen kurzen Fortſätzen
(Fühler) verſehen iſt. Nun beginnt in dem Stiele die Kalkablagerung
der einzelnen Glieder, während zugleich der Becher ſich deutlicher aus-
bildet und die Arme hervorſproſſen. Bald ſieht man auf der Ober-
fläche des Bechers den mit fünf dreieckigen, klappenartigen Vorſprün-
gen beſetzten centralen Mund und am Rande den warzenartig vor-
ſpringenden After. Das ausgebildete Junge hat fünf doppelt getheilte
Arme, mit ſeitlichen Ranken beſetzt und am Stiele ebenfalls einen
Kranz von Ranken, der auch im ſpäteren Leben bleibt. Der Stiel
ſchwindet nun an der Anheftungsſtelle; die Thierchen reißen ſich end-
lich von ihren Stielen los und kriechen dann frei umher. Es zeigt
ſich durch dieſe Entwicklung eine merkwürdige Uebereinſtimmung in der
geologiſchen Ausbildung der Ordnung und der Entwicklung der am
höchſten ſtehenden Familie, indem die in den älteren Schichten vor-
kommenden Seelilien alle geſtielt ſind und die ungeſtielten Haarſterne
erſt in den juraſſiſchen Gebilden auftreten und ſich in ſtets zunehmen-
der Zahl bis in unſere Jetztzeit entwickeln.

Die Ordnung der Seeſterne (Stellerida) begreift nur platt-
gedrückte Thiere mit ſcheibenförmigem, fünfeckigem Körper und mehr
oder minder ausgezackten Armen, welche von der Körperſcheibe
nur unvollſtändig getrennt ſind. Der Mund befindet ſich auf der
Unterfläche der Scheibe im Mittelpunkte, der After, (wenn ein ſolcher
vorhanden iſt, denn bei vielen Gattungen fehlt er) ſtets gegenüber
auf der Rückenfläche. Die Körperhaut iſt lederartig; das Kalkſkelett
aus einzelnen, loſen Panzerringen zuſammengeſetzt, die eine große Be-
weglichkeit und Biegſamkeit des ganzen Körpers geſtatten; die Strah-
len dieſer Panzerringe beginnen an dem Munde und laufen fünfeckig
nach den Seiten aus. Auf der Unterfläche der Scheibe und, je nach
den Familien, auch der Arme ſind in den Strahlen entſprechende Rin-
nen angebracht, welche die Saugfüßchen beherbergen, die faſt ganz in
die Rinne zurückgezogen werden können. Außerdem bemerkt man bei
allen an irgend einer Stelle der Körperſcheibe eine eigenthümliche
ſchwammige Kalkplatte, die ſogenannte Madreporenplatte, welche wie wir
ſpäter ſehen werden, nebſt den ihr zugehörigen Gebilden ein Ueber-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0164" n="158"/>
einen bieg&#x017F;amen Stiel be&#x017F;itzen, durch welchen &#x017F;ie an den Boden fe&#x017F;t-<lb/>
geheftet &#x017F;ind und daß &#x017F;ie in die&#x017F;em Zu&#x017F;tande vollkommen einer See-<lb/>
lilie mit zehn Armen gleichen. Die frühern Entwicklungszu&#x017F;tände der<lb/>
Haar&#x017F;terne &#x017F;ind nicht bekannt. Wahr&#x017F;cheinlich &#x017F;chwimmen die Larven,<lb/>
wie diejenigen der übrigen Stachelhäuter, während einiger Zeit im<lb/>
Meere umher, um &#x017F;ich dann &#x017F;päter fe&#x017F;tzu&#x017F;etzen und die Seelilienform an-<lb/>
zunehmen. Die jungen Haar&#x017F;terne haben Anfangs einen &#x017F;tabförmigen<lb/>
Körper, der knopfförmig endet und hier mit einigen kurzen Fort&#x017F;ätzen<lb/>
(Fühler) ver&#x017F;ehen i&#x017F;t. Nun beginnt in dem Stiele die Kalkablagerung<lb/>
der einzelnen Glieder, während zugleich der Becher &#x017F;ich deutlicher aus-<lb/>
bildet und die Arme hervor&#x017F;pro&#x017F;&#x017F;en. Bald &#x017F;ieht man auf der Ober-<lb/>
fläche des Bechers den mit fünf dreieckigen, klappenartigen Vor&#x017F;prün-<lb/>
gen be&#x017F;etzten centralen Mund und am Rande den warzenartig vor-<lb/>
&#x017F;pringenden After. Das ausgebildete Junge hat fünf doppelt getheilte<lb/>
Arme, mit &#x017F;eitlichen Ranken be&#x017F;etzt und am Stiele ebenfalls einen<lb/>
Kranz von Ranken, der auch im &#x017F;päteren Leben bleibt. Der Stiel<lb/>
&#x017F;chwindet nun an der Anheftungs&#x017F;telle; die Thierchen reißen &#x017F;ich end-<lb/>
lich von ihren Stielen los und kriechen dann frei umher. Es zeigt<lb/>
&#x017F;ich durch die&#x017F;e Entwicklung eine merkwürdige Ueberein&#x017F;timmung in der<lb/>
geologi&#x017F;chen Ausbildung der Ordnung und der Entwicklung der am<lb/>
höch&#x017F;ten &#x017F;tehenden Familie, indem die in den älteren Schichten vor-<lb/>
kommenden Seelilien alle ge&#x017F;tielt &#x017F;ind und die unge&#x017F;tielten Haar&#x017F;terne<lb/>
er&#x017F;t in den jura&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Gebilden auftreten und &#x017F;ich in &#x017F;tets zunehmen-<lb/>
der Zahl bis in un&#x017F;ere Jetztzeit entwickeln.</p><lb/>
          <p>Die Ordnung der <hi rendition="#b">See&#x017F;terne (<hi rendition="#aq">Stellerida</hi>)</hi> begreift nur platt-<lb/>
gedrückte Thiere mit &#x017F;cheibenförmigem, fünfeckigem Körper und mehr<lb/>
oder minder ausgezackten Armen, welche von der Körper&#x017F;cheibe<lb/>
nur unvoll&#x017F;tändig getrennt &#x017F;ind. Der Mund befindet &#x017F;ich auf der<lb/>
Unterfläche der Scheibe im Mittelpunkte, der After, (wenn ein &#x017F;olcher<lb/>
vorhanden i&#x017F;t, denn bei vielen Gattungen fehlt er) &#x017F;tets gegenüber<lb/>
auf der Rückenfläche. Die Körperhaut i&#x017F;t lederartig; das Kalk&#x017F;kelett<lb/>
aus einzelnen, lo&#x017F;en Panzerringen zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzt, die eine große Be-<lb/>
weglichkeit und Bieg&#x017F;amkeit des ganzen Körpers ge&#x017F;tatten; die Strah-<lb/>
len die&#x017F;er Panzerringe beginnen an dem Munde und laufen fünfeckig<lb/>
nach den Seiten aus. Auf der Unterfläche der Scheibe und, je nach<lb/>
den Familien, auch der Arme &#x017F;ind in den Strahlen ent&#x017F;prechende Rin-<lb/>
nen angebracht, welche die Saugfüßchen beherbergen, die fa&#x017F;t ganz in<lb/>
die Rinne zurückgezogen werden können. Außerdem bemerkt man bei<lb/>
allen an irgend einer Stelle der Körper&#x017F;cheibe eine eigenthümliche<lb/>
&#x017F;chwammige Kalkplatte, die &#x017F;ogenannte Madreporenplatte, welche wie wir<lb/>
&#x017F;päter &#x017F;ehen werden, neb&#x017F;t den ihr zugehörigen Gebilden ein Ueber-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[158/0164] einen biegſamen Stiel beſitzen, durch welchen ſie an den Boden feſt- geheftet ſind und daß ſie in dieſem Zuſtande vollkommen einer See- lilie mit zehn Armen gleichen. Die frühern Entwicklungszuſtände der Haarſterne ſind nicht bekannt. Wahrſcheinlich ſchwimmen die Larven, wie diejenigen der übrigen Stachelhäuter, während einiger Zeit im Meere umher, um ſich dann ſpäter feſtzuſetzen und die Seelilienform an- zunehmen. Die jungen Haarſterne haben Anfangs einen ſtabförmigen Körper, der knopfförmig endet und hier mit einigen kurzen Fortſätzen (Fühler) verſehen iſt. Nun beginnt in dem Stiele die Kalkablagerung der einzelnen Glieder, während zugleich der Becher ſich deutlicher aus- bildet und die Arme hervorſproſſen. Bald ſieht man auf der Ober- fläche des Bechers den mit fünf dreieckigen, klappenartigen Vorſprün- gen beſetzten centralen Mund und am Rande den warzenartig vor- ſpringenden After. Das ausgebildete Junge hat fünf doppelt getheilte Arme, mit ſeitlichen Ranken beſetzt und am Stiele ebenfalls einen Kranz von Ranken, der auch im ſpäteren Leben bleibt. Der Stiel ſchwindet nun an der Anheftungsſtelle; die Thierchen reißen ſich end- lich von ihren Stielen los und kriechen dann frei umher. Es zeigt ſich durch dieſe Entwicklung eine merkwürdige Uebereinſtimmung in der geologiſchen Ausbildung der Ordnung und der Entwicklung der am höchſten ſtehenden Familie, indem die in den älteren Schichten vor- kommenden Seelilien alle geſtielt ſind und die ungeſtielten Haarſterne erſt in den juraſſiſchen Gebilden auftreten und ſich in ſtets zunehmen- der Zahl bis in unſere Jetztzeit entwickeln. Die Ordnung der Seeſterne (Stellerida) begreift nur platt- gedrückte Thiere mit ſcheibenförmigem, fünfeckigem Körper und mehr oder minder ausgezackten Armen, welche von der Körperſcheibe nur unvollſtändig getrennt ſind. Der Mund befindet ſich auf der Unterfläche der Scheibe im Mittelpunkte, der After, (wenn ein ſolcher vorhanden iſt, denn bei vielen Gattungen fehlt er) ſtets gegenüber auf der Rückenfläche. Die Körperhaut iſt lederartig; das Kalkſkelett aus einzelnen, loſen Panzerringen zuſammengeſetzt, die eine große Be- weglichkeit und Biegſamkeit des ganzen Körpers geſtatten; die Strah- len dieſer Panzerringe beginnen an dem Munde und laufen fünfeckig nach den Seiten aus. Auf der Unterfläche der Scheibe und, je nach den Familien, auch der Arme ſind in den Strahlen entſprechende Rin- nen angebracht, welche die Saugfüßchen beherbergen, die faſt ganz in die Rinne zurückgezogen werden können. Außerdem bemerkt man bei allen an irgend einer Stelle der Körperſcheibe eine eigenthümliche ſchwammige Kalkplatte, die ſogenannte Madreporenplatte, welche wie wir ſpäter ſehen werden, nebſt den ihr zugehörigen Gebilden ein Ueber-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/164
Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/164>, abgerufen am 05.12.2024.