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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

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bund des glockenförmigen Individuums auf dem Munde des Polypen
aufliegt und der freie Rand nach oben steht. Ehe sich noch diese Knospe
abgelöst hat, bildet sich zwischen ihr und dem Polypen und zwar von
diesem letzteren ausgehend, eine neue Knospe und so fort, bis endlich, da
die glockenförmigen Individuen sehr flach sind, der Polyp das Ansehen
eines Aufsatzes von Untertassen hat, welche auf einem kurzen, durch-
sichtigen Stiele ruhen; die oberste flache Glocke ist der älteste Keim,
die unterste der jüngste. Die sämmtlichen Knospen sind miteinander
durch Ströme verbunden, welche aus der Leibeshöhle des Polypen
nach oben aufsteigen. Diese aufsteigenden Ströme, welche auch
hier zur Bildung der centralen Verdauungshöhle und ihrer Sei-
tenkanäle beitragen, versiechen allmählig, indem sich die Knospen
ablösen und als freie Quallen davonschwimmen. Im Augenblicke ihrer
Befreiung haben diese Quallen die Breite eines viertel Zolles; sie
wachsen bis zu einem Durchmesser von mehr als einem halben Fuße
und sind in der Nord- und Ostsee eine der häufigsten Arten, die in
Schwärmen von Millionen zu gewissen Zeiten erscheinen. Es ist die
sogenannte Ohrenqualle (Aurelia aurita). Nach früheren Be-
obachtungen glaubte man, die schüsselförmigen Individuen, welche auf
dem Polypen aufsitzen, seien das Resultat einer Quertheilung des
Polypenkörpers, dessen Tentakelkrone darübersitze. Neuere Untersuchungen
haben gezeigt, daß dies ein Irrthum sei, und daß der Fühlerkranz
die in seiner Mitte entstandenen vielfachen Knospen trägt.

Wir kennen durch die genauesten Beobachtungen den ganzen
Kreis der Entwickelung, welche die Ohrenqualle durchläuft. Die

[Abbildung] Fig. 110. 111. 112. 113. 114.

Eier der Ohrenqualle.
Fig. 110 das reife Ei; Fig. 111 dasselbe in
der Dottertheilung; Fig. 112 nach der Dotter-
Theilung; Fig. 113 erste Bildung des Embryo;
Fig. 114 der frei bewegte Embryo. a Saugnapf
am hinteren Ende zum Anheften.

Quallen sind getrennten Ge-
schlechtes, ihre Eier entwickeln
sich in besonderen Bruttaschen.
Nachdem sie den Furchungs-
prozeß durchlaufen haben, bil-
den sie sich zu einem ovalen
infusorienartigen Wesen um,
das an dem vordern dickern
Ende eine seichte Grube besitzt
und einen Ueberzug von Flim-
merhaaren hat. In diesem
Zustande verlassen die Jungen
die Bruttaschen und schwimmen frei in dem Wasser umher, setzen sich
aber nach einiger Zeit mit der bemerkten Grube fest und gehen nun
weitere Veränderungen ein. Sie werden cylindrisch, das freie Ende

bund des glockenförmigen Individuums auf dem Munde des Polypen
aufliegt und der freie Rand nach oben ſteht. Ehe ſich noch dieſe Knospe
abgelöst hat, bildet ſich zwiſchen ihr und dem Polypen und zwar von
dieſem letzteren ausgehend, eine neue Knospe und ſo fort, bis endlich, da
die glockenförmigen Individuen ſehr flach ſind, der Polyp das Anſehen
eines Aufſatzes von Untertaſſen hat, welche auf einem kurzen, durch-
ſichtigen Stiele ruhen; die oberſte flache Glocke iſt der älteſte Keim,
die unterſte der jüngſte. Die ſämmtlichen Knospen ſind miteinander
durch Ströme verbunden, welche aus der Leibeshöhle des Polypen
nach oben aufſteigen. Dieſe aufſteigenden Ströme, welche auch
hier zur Bildung der centralen Verdauungshöhle und ihrer Sei-
tenkanäle beitragen, verſiechen allmählig, indem ſich die Knospen
ablöſen und als freie Quallen davonſchwimmen. Im Augenblicke ihrer
Befreiung haben dieſe Quallen die Breite eines viertel Zolles; ſie
wachſen bis zu einem Durchmeſſer von mehr als einem halben Fuße
und ſind in der Nord- und Oſtſee eine der häufigſten Arten, die in
Schwärmen von Millionen zu gewiſſen Zeiten erſcheinen. Es iſt die
ſogenannte Ohrenqualle (Aurelia aurita). Nach früheren Be-
obachtungen glaubte man, die ſchüſſelförmigen Individuen, welche auf
dem Polypen aufſitzen, ſeien das Reſultat einer Quertheilung des
Polypenkörpers, deſſen Tentakelkrone darüberſitze. Neuere Unterſuchungen
haben gezeigt, daß dies ein Irrthum ſei, und daß der Fühlerkranz
die in ſeiner Mitte entſtandenen vielfachen Knospen trägt.

Wir kennen durch die genaueſten Beobachtungen den ganzen
Kreis der Entwickelung, welche die Ohrenqualle durchläuft. Die

[Abbildung] Fig. 110. 111. 112. 113. 114.

Eier der Ohrenqualle.
Fig. 110 das reife Ei; Fig. 111 daſſelbe in
der Dottertheilung; Fig. 112 nach der Dotter-
Theilung; Fig. 113 erſte Bildung des Embryo;
Fig. 114 der frei bewegte Embryo. a Saugnapf
am hinteren Ende zum Anheften.

Quallen ſind getrennten Ge-
ſchlechtes, ihre Eier entwickeln
ſich in beſonderen Bruttaſchen.
Nachdem ſie den Furchungs-
prozeß durchlaufen haben, bil-
den ſie ſich zu einem ovalen
infuſorienartigen Weſen um,
das an dem vordern dickern
Ende eine ſeichte Grube beſitzt
und einen Ueberzug von Flim-
merhaaren hat. In dieſem
Zuſtande verlaſſen die Jungen
die Bruttaſchen und ſchwimmen frei in dem Waſſer umher, ſetzen ſich
aber nach einiger Zeit mit der bemerkten Grube feſt und gehen nun
weitere Veränderungen ein. Sie werden cylindriſch, das freie Ende

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[132/0138] bund des glockenförmigen Individuums auf dem Munde des Polypen aufliegt und der freie Rand nach oben ſteht. Ehe ſich noch dieſe Knospe abgelöst hat, bildet ſich zwiſchen ihr und dem Polypen und zwar von dieſem letzteren ausgehend, eine neue Knospe und ſo fort, bis endlich, da die glockenförmigen Individuen ſehr flach ſind, der Polyp das Anſehen eines Aufſatzes von Untertaſſen hat, welche auf einem kurzen, durch- ſichtigen Stiele ruhen; die oberſte flache Glocke iſt der älteſte Keim, die unterſte der jüngſte. Die ſämmtlichen Knospen ſind miteinander durch Ströme verbunden, welche aus der Leibeshöhle des Polypen nach oben aufſteigen. Dieſe aufſteigenden Ströme, welche auch hier zur Bildung der centralen Verdauungshöhle und ihrer Sei- tenkanäle beitragen, verſiechen allmählig, indem ſich die Knospen ablöſen und als freie Quallen davonſchwimmen. Im Augenblicke ihrer Befreiung haben dieſe Quallen die Breite eines viertel Zolles; ſie wachſen bis zu einem Durchmeſſer von mehr als einem halben Fuße und ſind in der Nord- und Oſtſee eine der häufigſten Arten, die in Schwärmen von Millionen zu gewiſſen Zeiten erſcheinen. Es iſt die ſogenannte Ohrenqualle (Aurelia aurita). Nach früheren Be- obachtungen glaubte man, die ſchüſſelförmigen Individuen, welche auf dem Polypen aufſitzen, ſeien das Reſultat einer Quertheilung des Polypenkörpers, deſſen Tentakelkrone darüberſitze. Neuere Unterſuchungen haben gezeigt, daß dies ein Irrthum ſei, und daß der Fühlerkranz die in ſeiner Mitte entſtandenen vielfachen Knospen trägt. Wir kennen durch die genaueſten Beobachtungen den ganzen Kreis der Entwickelung, welche die Ohrenqualle durchläuft. Die [Abbildung Fig. 110. 111. 112. 113. 114. Eier der Ohrenqualle. Fig. 110 das reife Ei; Fig. 111 daſſelbe in der Dottertheilung; Fig. 112 nach der Dotter- Theilung; Fig. 113 erſte Bildung des Embryo; Fig. 114 der frei bewegte Embryo. a Saugnapf am hinteren Ende zum Anheften.] Quallen ſind getrennten Ge- ſchlechtes, ihre Eier entwickeln ſich in beſonderen Bruttaſchen. Nachdem ſie den Furchungs- prozeß durchlaufen haben, bil- den ſie ſich zu einem ovalen infuſorienartigen Weſen um, das an dem vordern dickern Ende eine ſeichte Grube beſitzt und einen Ueberzug von Flim- merhaaren hat. In dieſem Zuſtande verlaſſen die Jungen die Bruttaſchen und ſchwimmen frei in dem Waſſer umher, ſetzen ſich aber nach einiger Zeit mit der bemerkten Grube feſt und gehen nun weitere Veränderungen ein. Sie werden cylindriſch, das freie Ende

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/138>, abgerufen am 24.11.2024.