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Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851.

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Die letzte große Familie, die Borstenthierchen (Setifera), haben

[Abbildung] Fig. 74.

Ploesconia
von der Seite gesehen, wie sie auf den Bauch-
borsten wie auf Füßen läuft.

eine mehr oder minder abge-
glattete Gestalt und auf der
untern Fläche des Körpers,
außer den Wimpern, welche
in der Mundrinne entwickelt
sind, Borsten oder Haken zum
Kriechen und Springen auf
festen Gegenständen im Wasser.
Mund und After befinden sich
stets auf der Bauchfläche des
Körpers, zuweilen nahe bei einander in einer spaltförmigen Rinne.
Man kann unter ihnen die eigentlichen Hechelthierchen (Oxytrichina)
(Kerona; Urostyla Stylonychia)
mit weichem biegsamen Körper, die
oft sogar nur mit Hinterlassung ihrer Borsten zerfließen und die
Nachenthierchen (Euplota) unterscheiden, bei welchen letzteren der Rücken
durch ein flaches horniges Schild von ziemlicher Consistenz gedeckt ist.
Chlamidodon; Euplotes.

Die Verbreitung der Infusionsthierchen auf der gesammten Erde
ist nur noch sehr unvollständig gekannt. Wie es scheint, wirken die
klimatischen Verhältnisse weniger auf diese kleinen Wesen ein, da derselbe
Beobachter viele Formen von Berlin bis nach Süddeutschland, ja von
Arabien bis nach Sibirien hin in den süßen Gewässern vorfand. Viele For-
men entstehen überall in faulenden Aufgüssen von thierischen und pflanz-
lichen Stoffen, nach der irrigen Behauptung Einiger durch Urzeugung, nach
der Ansicht Anderer durch Entwicklung von Keimen und eingetrockneten
Körpern, die im Wasser wieder aufleben. Die Vermehrung vieler
Arten durch Selbsttheilung ist ungeheuer, da sie in geometrischer Pro-
portion zunimmt und jedes durch Theilung entstandene Individuum
fast unmittelbar darauf sich wieder theilen kann. So kann es denn
nicht verwundern, wenn in Aufgüssen thierischer und pflanzlicher Stoffe
unter günstigen Umständen oft nach kurzer Zeit Schwärme von Mil-
lionen gewisser Infusionsthierchen erscheinen, die dort ein ephemeres
Dasein führen.

Ein wesentlicher Schlüssel zur Aufklärung der Erscheinungen,
welche solche Aufgüsse namentlich hinsichtlich der Aufeinanderfolge ver-
schiedener Arten geben, dürfte in der Verfolgung der Beobachtungen
über die Entwickelung derselben liegen, indem hierdurch sicherlich in
ähnlicher Weise, wie bei den Glockenthierchen, noch eine Menge für

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Die letzte große Familie, die Borſtenthierchen (Setifera), haben

[Abbildung] Fig. 74.

Ploesconia
von der Seite geſehen, wie ſie auf den Bauch-
borſten wie auf Füßen läuft.

eine mehr oder minder abge-
glattete Geſtalt und auf der
untern Fläche des Körpers,
außer den Wimpern, welche
in der Mundrinne entwickelt
ſind, Borſten oder Haken zum
Kriechen und Springen auf
feſten Gegenſtänden im Waſſer.
Mund und After befinden ſich
ſtets auf der Bauchfläche des
Körpers, zuweilen nahe bei einander in einer ſpaltförmigen Rinne.
Man kann unter ihnen die eigentlichen Hechelthierchen (Oxytrichina)
(Kerona; Urostyla Stylonychia)
mit weichem biegſamen Körper, die
oft ſogar nur mit Hinterlaſſung ihrer Borſten zerfließen und die
Nachenthierchen (Euplota) unterſcheiden, bei welchen letzteren der Rücken
durch ein flaches horniges Schild von ziemlicher Conſiſtenz gedeckt iſt.
Chlamidodon; Euplotes.

Die Verbreitung der Infuſionsthierchen auf der geſammten Erde
iſt nur noch ſehr unvollſtändig gekannt. Wie es ſcheint, wirken die
klimatiſchen Verhältniſſe weniger auf dieſe kleinen Weſen ein, da derſelbe
Beobachter viele Formen von Berlin bis nach Süddeutſchland, ja von
Arabien bis nach Sibirien hin in den ſüßen Gewäſſern vorfand. Viele For-
men entſtehen überall in faulenden Aufgüſſen von thieriſchen und pflanz-
lichen Stoffen, nach der irrigen Behauptung Einiger durch Urzeugung, nach
der Anſicht Anderer durch Entwicklung von Keimen und eingetrockneten
Körpern, die im Waſſer wieder aufleben. Die Vermehrung vieler
Arten durch Selbſttheilung iſt ungeheuer, da ſie in geometriſcher Pro-
portion zunimmt und jedes durch Theilung entſtandene Individuum
faſt unmittelbar darauf ſich wieder theilen kann. So kann es denn
nicht verwundern, wenn in Aufgüſſen thieriſcher und pflanzlicher Stoffe
unter günſtigen Umſtänden oft nach kurzer Zeit Schwärme von Mil-
lionen gewiſſer Infuſionsthierchen erſcheinen, die dort ein ephemeres
Daſein führen.

Ein weſentlicher Schlüſſel zur Aufklärung der Erſcheinungen,
welche ſolche Aufgüſſe namentlich hinſichtlich der Aufeinanderfolge ver-
ſchiedener Arten geben, dürfte in der Verfolgung der Beobachtungen
über die Entwickelung derſelben liegen, indem hierdurch ſicherlich in
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[99/0105] Die letzte große Familie, die Borſtenthierchen (Setifera), haben [Abbildung Fig. 74. Ploesconia von der Seite geſehen, wie ſie auf den Bauch- borſten wie auf Füßen läuft.] eine mehr oder minder abge- glattete Geſtalt und auf der untern Fläche des Körpers, außer den Wimpern, welche in der Mundrinne entwickelt ſind, Borſten oder Haken zum Kriechen und Springen auf feſten Gegenſtänden im Waſſer. Mund und After befinden ſich ſtets auf der Bauchfläche des Körpers, zuweilen nahe bei einander in einer ſpaltförmigen Rinne. Man kann unter ihnen die eigentlichen Hechelthierchen (Oxytrichina) (Kerona; Urostyla Stylonychia) mit weichem biegſamen Körper, die oft ſogar nur mit Hinterlaſſung ihrer Borſten zerfließen und die Nachenthierchen (Euplota) unterſcheiden, bei welchen letzteren der Rücken durch ein flaches horniges Schild von ziemlicher Conſiſtenz gedeckt iſt. Chlamidodon; Euplotes. Die Verbreitung der Infuſionsthierchen auf der geſammten Erde iſt nur noch ſehr unvollſtändig gekannt. Wie es ſcheint, wirken die klimatiſchen Verhältniſſe weniger auf dieſe kleinen Weſen ein, da derſelbe Beobachter viele Formen von Berlin bis nach Süddeutſchland, ja von Arabien bis nach Sibirien hin in den ſüßen Gewäſſern vorfand. Viele For- men entſtehen überall in faulenden Aufgüſſen von thieriſchen und pflanz- lichen Stoffen, nach der irrigen Behauptung Einiger durch Urzeugung, nach der Anſicht Anderer durch Entwicklung von Keimen und eingetrockneten Körpern, die im Waſſer wieder aufleben. Die Vermehrung vieler Arten durch Selbſttheilung iſt ungeheuer, da ſie in geometriſcher Pro- portion zunimmt und jedes durch Theilung entſtandene Individuum faſt unmittelbar darauf ſich wieder theilen kann. So kann es denn nicht verwundern, wenn in Aufgüſſen thieriſcher und pflanzlicher Stoffe unter günſtigen Umſtänden oft nach kurzer Zeit Schwärme von Mil- lionen gewiſſer Infuſionsthierchen erſcheinen, die dort ein ephemeres Daſein führen. Ein weſentlicher Schlüſſel zur Aufklärung der Erſcheinungen, welche ſolche Aufgüſſe namentlich hinſichtlich der Aufeinanderfolge ver- ſchiedener Arten geben, dürfte in der Verfolgung der Beobachtungen über die Entwickelung derſelben liegen, indem hierdurch ſicherlich in ähnlicher Weiſe, wie bei den Glockenthierchen, noch eine Menge für 7*

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Zitationshilfe: Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1851, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vogt_briefe01_1851/105>, abgerufen am 23.12.2024.