pvi_1201.001 kann an sich ganz wohl ein ruhender sein und die Mittheilungsform der pvi_1201.002 Rede ist dadurch, daß sie successiv schildert, an sich nicht unfähig, den Geist pvi_1201.003 in der Weise zu bestimmen, daß er sich das Bild eines solchen räumlich fest pvi_1201.004 ausgebreiteten Ganzen erzeuge. Lessing bemerkt richtig, daß bei Beschreibungen pvi_1201.005 für prosaische Zwecke das allmälige Aufreihen von Zügen kein Hinderniß für pvi_1201.006 den Leser ist, sich aus ihnen ein Bild zusammenzufügen (a. a. O. Cap. 17). pvi_1201.007 Natürlich ermangelt ein also zusammengesetztes Bild der Wärme, der Jdealität. pvi_1201.008 Und hier sitzt denn das Wesentliche: im Gebiete der Kunst will auch die pvi_1201.009 empfangende Phantasie zeugend, nachschaffend sich verhalten; sie ist in diese pvi_1201.010 Stimmung, diese Selbstthätigkeit von Anfang an durch den Dichter versetzt. pvi_1201.011 Einmal selbstthätig erzeugt sie sich nun auf Eine richtige Berührung des pvi_1201.012 poetischen Zauberstabs in Einem Augenblick das von dem Dichter beabsichtigte pvi_1201.013 Bild mit seiner Vielheit von Zügen, richtiger: nur das seiner Absicht irgendwie pvi_1201.014 entsprechende, denn hier tritt ein wesentlicher weiterer Unterscheidungszug pvi_1201.015 der Dichtkunst auf: der bildende Künstler schreibt dem Zuschauer das Bild pvi_1201.016 genau vor, indem er es ihm sichtbar ausgeführt vor das äußere Auge stellt; pvi_1201.017 der Zuschauer ist hierin unfrei; worin er frei ist, das ist die innere Erzeugung pvi_1201.018 eines Bildes der Reihe von Bewegungen, die dem dargestellten pvi_1201.019 Momente vorangehen und folgen; der Dichter dagegen schreibt dem Zuhörer pvi_1201.020 das Successive, das Wesentliche der Bewegung, den Gang des Ganzen pvi_1201.021 vor, da ist der Erstere hierin unfrei; dagegen gibt er ihm zur Erzeugung pvi_1201.022 des innern Bildes in seiner qualitativen Gestaltung nur den Anstoß: darin pvi_1201.023 ist der Zuhörer also hier ungleich freier, als in der bildenden Kunst. Es pvi_1201.024 verschlägt auch nichts, wenn dieser sich die Gestalt etwas anders, als jener, pvi_1201.025 vorstellt, wenn nur die Grundzüge im Bewegungscharakter der Absicht des pvi_1201.026 Dichters entsprechen. Wenn die Amme in Romeo und Julie in eitlem Putz pvi_1201.027 angestiegen kommt, den Auftrag Juliens an Romeo zu bestellen, und anfängt: pvi_1201.028 "Peter, meinen Fächer!" so mag sie sich der Eine größer, der Andere pvi_1201.029 kleiner, jener in diese, dieser in jene Farbe gekleidet vorstellen: nur ein ganz pvi_1201.030 stumpfer Leser wird nicht augenblicklich ein in den wesentlichen Zügen richtiges pvi_1201.031 Bild der närrischen, treuen und gemeinen, geschwätzigen und verschwiegenen, pvi_1201.032 kupplerischen, in Runzeln noch eiteln, aufgeputzten Alten vor sich haben, pvi_1201.033 wie sie mit koketten Schwenkungen der Hüfte und steilem Kopfe die vornehme pvi_1201.034 Dame affectirt. Die Phantasie will also in der Dichtkunst schlechterdings pvi_1201.035 nicht aufgehalten und gezwungen sein. Verkennt dieß der Dichter, pvi_1201.036 so kommt nicht eigentlich "das Coexistirende des Körperlichen mit dem pvi_1201.037 Consecutiven der Rede in Collision," sondern die windschnelle, eine Vielheit pvi_1201.038 von Zügen auf Einen Schlag vor sich ausbreitende Bewegung und die pvi_1201.039 Freiheit der Phantasie mit der Langsamkeit, womit die Rede fortrückt, und pvi_1201.040 mit dem Zwange, den ihr Ausmalen auflegt. Der Dichter verfährt dann, pvi_1201.041 als stünde sein Zuhörer vor einem aufgehängten Bilde, faßte nach dem
pvi_1201.001 kann an sich ganz wohl ein ruhender sein und die Mittheilungsform der pvi_1201.002 Rede ist dadurch, daß sie successiv schildert, an sich nicht unfähig, den Geist pvi_1201.003 in der Weise zu bestimmen, daß er sich das Bild eines solchen räumlich fest pvi_1201.004 ausgebreiteten Ganzen erzeuge. Lessing bemerkt richtig, daß bei Beschreibungen pvi_1201.005 für prosaische Zwecke das allmälige Aufreihen von Zügen kein Hinderniß für pvi_1201.006 den Leser ist, sich aus ihnen ein Bild zusammenzufügen (a. a. O. Cap. 17). pvi_1201.007 Natürlich ermangelt ein also zusammengesetztes Bild der Wärme, der Jdealität. pvi_1201.008 Und hier sitzt denn das Wesentliche: im Gebiete der Kunst will auch die pvi_1201.009 empfangende Phantasie zeugend, nachschaffend sich verhalten; sie ist in diese pvi_1201.010 Stimmung, diese Selbstthätigkeit von Anfang an durch den Dichter versetzt. pvi_1201.011 Einmal selbstthätig erzeugt sie sich nun auf Eine richtige Berührung des pvi_1201.012 poetischen Zauberstabs in Einem Augenblick das von dem Dichter beabsichtigte pvi_1201.013 Bild mit seiner Vielheit von Zügen, richtiger: nur das seiner Absicht irgendwie pvi_1201.014 entsprechende, denn hier tritt ein wesentlicher weiterer Unterscheidungszug pvi_1201.015 der Dichtkunst auf: der bildende Künstler schreibt dem Zuschauer das Bild pvi_1201.016 genau vor, indem er es ihm sichtbar ausgeführt vor das äußere Auge stellt; pvi_1201.017 der Zuschauer ist hierin unfrei; worin er frei ist, das ist die innere Erzeugung pvi_1201.018 eines Bildes der Reihe von Bewegungen, die dem dargestellten pvi_1201.019 Momente vorangehen und folgen; der Dichter dagegen schreibt dem Zuhörer pvi_1201.020 das Successive, das Wesentliche der Bewegung, den Gang des Ganzen pvi_1201.021 vor, da ist der Erstere hierin unfrei; dagegen gibt er ihm zur Erzeugung pvi_1201.022 des innern Bildes in seiner qualitativen Gestaltung nur den Anstoß: darin pvi_1201.023 ist der Zuhörer also hier ungleich freier, als in der bildenden Kunst. Es pvi_1201.024 verschlägt auch nichts, wenn dieser sich die Gestalt etwas anders, als jener, pvi_1201.025 vorstellt, wenn nur die Grundzüge im Bewegungscharakter der Absicht des pvi_1201.026 Dichters entsprechen. Wenn die Amme in Romeo und Julie in eitlem Putz pvi_1201.027 angestiegen kommt, den Auftrag Juliens an Romeo zu bestellen, und anfängt: pvi_1201.028 „Peter, meinen Fächer!“ so mag sie sich der Eine größer, der Andere pvi_1201.029 kleiner, jener in diese, dieser in jene Farbe gekleidet vorstellen: nur ein ganz pvi_1201.030 stumpfer Leser wird nicht augenblicklich ein in den wesentlichen Zügen richtiges pvi_1201.031 Bild der närrischen, treuen und gemeinen, geschwätzigen und verschwiegenen, pvi_1201.032 kupplerischen, in Runzeln noch eiteln, aufgeputzten Alten vor sich haben, pvi_1201.033 wie sie mit koketten Schwenkungen der Hüfte und steilem Kopfe die vornehme pvi_1201.034 Dame affectirt. Die Phantasie will also in der Dichtkunst schlechterdings pvi_1201.035 nicht aufgehalten und gezwungen sein. Verkennt dieß der Dichter, pvi_1201.036 so kommt nicht eigentlich „das Coexistirende des Körperlichen mit dem pvi_1201.037 Consecutiven der Rede in Collision,“ sondern die windschnelle, eine Vielheit pvi_1201.038 von Zügen auf Einen Schlag vor sich ausbreitende Bewegung und die pvi_1201.039 Freiheit der Phantasie mit der Langsamkeit, womit die Rede fortrückt, und pvi_1201.040 mit dem Zwange, den ihr Ausmalen auflegt. Der Dichter verfährt dann, pvi_1201.041 als stünde sein Zuhörer vor einem aufgehängten Bilde, faßte nach dem
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kann an sich ganz wohl ein ruhender sein und die Mittheilungsform der pvi_1201.002
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Natürlich ermangelt ein also zusammengesetztes Bild der Wärme, der Jdealität. pvi_1201.008
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Einmal selbstthätig erzeugt sie sich nun auf Eine richtige Berührung des pvi_1201.012
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Bild mit seiner Vielheit von Zügen, richtiger: nur das seiner Absicht irgendwie pvi_1201.014
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der Dichtkunst auf: der bildende Künstler schreibt dem Zuschauer das Bild pvi_1201.016
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Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857, S. 1201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_poetik_1857/63>, abgerufen am 16.07.2024.
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