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Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857.

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unserer Cultur allzufern liegende Collisionen statt tiefwurzelnder behandelt pvi_1428.002
werden. - Die Tragödie des engeren Privatlebens endlich kann sich doch auch pvi_1428.003
zur Hervorstellung des Prinzipiellen hinneigen, wenn z. B. in Collisionen wie pvi_1428.004
zwischen Liebe und Ehre, Liebe und Kindespflicht das Gewicht von der besondern pvi_1428.005
Färbung der Charaktere mehr auf das allgemein Sittliche verlegt ist.

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§. 913.

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Die classisch ideale Stylrichtung steht in natürlichem Anziehungsverhältniß pvi_1428.008
zu den sagenhaft heroischen und historisch politischen Stoffen, die naturalistische pvi_1428.009
und individualisirende zu denen des bürgerlichen und Privat-Lebens. pvi_1428.010
Allein auch dieß Verhältniß ist kein ausschließliches; insbesondere ist im letzteren pvi_1428.011
Styl eine dem idealen Schwunge des ersteren bei allem Gegensatze tief verwandte pvi_1428.012
oder durch Aneignung desselben erhöhte Form von einer im engeren pvi_1428.013
Sinne naturalistischen zu unterscheiden, die sich zu den Stoffgebieten so verhalten, pvi_1428.014
daß jene auch den großen Gegenständen der zwei ersten, diese nur den pvi_1428.015
weniger erhabenen der andern Sphären angemessen ist.

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Die Stylfrage, deren geschichtliche Beleuchtung wir vorangeschickt haben, pvi_1428.017
tritt also jetzt als ein Moment in der Eintheilung der Formen ein. Der pvi_1428.018
erste Satz des §. bedarf keiner Erörterung und wir wenden uns sogleich pvi_1428.019
zu dem tiefen Unterschiede innerhalb des charakteristischen Styls, den der pvi_1428.020
Schlußsatz zugleich mit seiner Beziehung zu den Stoffgebieten hervorhebt. pvi_1428.021
Es ist klar, daß unter der Gestalt dieses Styls, die als eine bei allem Gegensatze pvi_1428.022
doch dem classisch idealen tief verwandte bezeichnet wird, der Shakespeare'sche pvi_1428.023
verstanden ist. Er steht auf schroff gegenüberliegendem Gipfel pvi_1428.024
und trägt doch einen Kothurn, der ihn den Griechen ganz ebenbürtig macht. pvi_1428.025
Er kann und soll sich aber, wie wir gesehen haben, mit dem Formgefühle pvi_1428.026
des classischen verbinden, noch inniger, als bei Schiller und Göthe. Dieser pvi_1428.027
geläuterte germanisch charakteristische Styl gehört nun ganz den historischpolitischen pvi_1428.028
Stoffen; er kann sich aber auch den Stoffen des bürgerlichen pvi_1428.029
und Privatlebens zuwenden, wie wir an dem reinen Sittenbilde, Göthe's pvi_1428.030
Tasso, sehen, worin der Umstand, daß der Schauplatz ein Hof ist, an dem pvi_1428.031
Begriffe der Sphäre nichts verändert, denn mit der politischen Seite des pvi_1428.032
fürstlichen Standes hat dieß Drama nichts zu schaffen, nur mit der menschlich pvi_1428.033
sozialen. Jm Großen und Ganzen aber, namentlich wenn es nicht pvi_1428.034
durch solchen Hintergrund der edelsten Blüthe der Humanität auf den Höhen pvi_1428.035
der Gesellschaft gehoben ist, führt dieß Gebiet allerdings so viel Nöthigung pvi_1428.036
mit sich, in die realen, harten, selbst prosaischen Lebensbedingungen tief einzugehen, pvi_1428.037
daß hiedurch der charakteristische Styl im engeren Sinne der Naturwahrheit pvi_1428.038
bedingt ist und hiemit auch die prosaische Sprache.

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unserer Cultur allzufern liegende Collisionen statt tiefwurzelnder behandelt pvi_1428.002
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Die classisch ideale Stylrichtung steht in natürlichem Anziehungsverhältniß pvi_1428.008
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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857, S. 1428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_poetik_1857/290>, abgerufen am 25.11.2024.