pvi_1334.001 rasch, abgebrochen fortzuschreiten. Die Composition verknüpft die Vorstellungen pvi_1334.002 nicht nach ihrer objectiven Ordnung, sondern liebt Absprünge, die pvi_1334.003 ihren Zusammenhang in der subjectiven Einheit des Gefühls haben und nur pvi_1334.004 entfernt der relativen Selbständigkeit der Episode sich nähern können. Die pvi_1334.005 wirkliche Einheit liegt darin, daß sie ein organisches Bild des Verlaufs einer pvi_1334.006 Stimmung gibt, worin eine Bewegung durch drei Hauptmomente (vergl. §. 500, 2.) pvi_1334.007 sich vernehmlich durchziehen wird. Diesem Gange sagt die unterbrechende und pvi_1334.008 abschließende Rückkehr zum Grundtone durch den Refrain zu. Die Natur pvi_1334.009 des Gefühls fordert Kürze des Ganzen.
pvi_1334.010
Es wird sich zeigen, daß der Unterschied der Style in der lyrischen pvi_1334.011 Poesie nicht in der durchgreifenden Bedeutung auftreten kann, wie in der pvi_1334.012 epischen; wir erwähnen ihn vorläufig schon hier, um zuzugeben, daß die pvi_1334.013 direct ideale, plastische Richtung allerdings den stammelnden, sprungweisen, pvi_1334.014 andeutenden Charakter nicht in dem Maaße tragen wird, wie die naturalistische pvi_1334.015 und individualisirende; allein es wird dieß nur ein fehr relativer pvi_1334.016 Maaß-Unterschied sein, denn die spezifische Natur des Gefühls ist sich überall pvi_1334.017 gleich: sie kann sich eigentlich nicht in Worten ausdrücken und wenn sie pvi_1334.018 es doch versucht, muß sie es so thun, daß man den Worten ansieht, es sei pvi_1334.019 immer noch mehr zurück, als ausgesprochen ist. Je mehr ich mein Gefühl pvi_1334.020 zur klaren Gestalt beredt und in flüssigem Zusammenhang herausbilden pvi_1334.021 kann, desto mehr hört es schon auf, Gefühl zu sein. Wir haben gesehen, pvi_1334.022 daß epische Anschauungs-Elemente, Gedanken und Willensbewegungen herbeigezogen pvi_1334.023 werden, um einen Anhalt zu geben, an dem das Unergründliche pvi_1334.024 zur Aeußerung gelange; es muß aber eben zugleich die Unzulänglichkeit pvi_1334.025 dieses Anhalts zu Tage treten, es sind Lichter, die das Dunkel nicht ganz pvi_1334.026 erleuchten, sondern wieder zerrinnen und so ein Helldunkel erzeugen. Namentlich pvi_1334.027 muß sich dieß an dem indirect bildlichen Elemente, den Tropen, pvi_1334.028 bewähren: die lyrische Poesie wird die kühn verwechselnde Metapher dem pvi_1334.029 begründenden, entwickelnden Gleichnisse vorziehen, das gerne dem Bilde die pvi_1334.030 Ausführlichkeit einer über den Vergleichungszweck hinausgehenden selbständigen pvi_1334.031 Schönheit zuwendet. [Annotation]
Textebene Poetikentext, Explikationsebene theoretisch; Abgrenzung Vergleichung als Parallelkategorie; qualitative Unterscheidung prosaischer und poetischer Metaphern
Es bleibt also dabei, daß das ahnungsvoll pvi_1334.032 nach innen Deutende, Springende, Unentwickelte recht im vollen Gegensatze pvi_1334.033 gegen das Epische den allgemeinen lyrischen Stylcharakter bildet. Man pvi_1334.034 sehe darauf jenes Lied und lied=artige Gebet Gretchen's in Göthe's Faust pvi_1334.035 an und beobachte, wie hier das ächt lyrische Gefühl von jedem Versuche pvi_1334.036 der Entfaltung, der Ausbreitung wieder in seine unerschöpfliche Tiefe zurücksinkt. pvi_1334.037 Dieß Stylgesetz wird sich am meisten da bewähren, wo es am pvi_1334.038 meisten in Gefahr sein wird, nämlich in den Formen, die innerhalb der pvi_1334.039 lyrischen Poesie episch zu nennen sind, also die Aufgabe haben, im Zusammenhang pvi_1334.040 erzählend darzustellen; hier wird der lyrische Charakter der scheinbar
pvi_1334.001 rasch, abgebrochen fortzuschreiten. Die Composition verknüpft die Vorstellungen pvi_1334.002 nicht nach ihrer objectiven Ordnung, sondern liebt Absprünge, die pvi_1334.003 ihren Zusammenhang in der subjectiven Einheit des Gefühls haben und nur pvi_1334.004 entfernt der relativen Selbständigkeit der Episode sich nähern können. Die pvi_1334.005 wirkliche Einheit liegt darin, daß sie ein organisches Bild des Verlaufs einer pvi_1334.006 Stimmung gibt, worin eine Bewegung durch drei Hauptmomente (vergl. §. 500, 2.) pvi_1334.007 sich vernehmlich durchziehen wird. Diesem Gange sagt die unterbrechende und pvi_1334.008 abschließende Rückkehr zum Grundtone durch den Refrain zu. Die Natur pvi_1334.009 des Gefühls fordert Kürze des Ganzen.
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Es wird sich zeigen, daß der Unterschied der Style in der lyrischen pvi_1334.011 Poesie nicht in der durchgreifenden Bedeutung auftreten kann, wie in der pvi_1334.012 epischen; wir erwähnen ihn vorläufig schon hier, um zuzugeben, daß die pvi_1334.013 direct ideale, plastische Richtung allerdings den stammelnden, sprungweisen, pvi_1334.014 andeutenden Charakter nicht in dem Maaße tragen wird, wie die naturalistische pvi_1334.015 und individualisirende; allein es wird dieß nur ein fehr relativer pvi_1334.016 Maaß-Unterschied sein, denn die spezifische Natur des Gefühls ist sich überall pvi_1334.017 gleich: sie kann sich eigentlich nicht in Worten ausdrücken und wenn sie pvi_1334.018 es doch versucht, muß sie es so thun, daß man den Worten ansieht, es sei pvi_1334.019 immer noch mehr zurück, als ausgesprochen ist. Je mehr ich mein Gefühl pvi_1334.020 zur klaren Gestalt beredt und in flüssigem Zusammenhang herausbilden pvi_1334.021 kann, desto mehr hört es schon auf, Gefühl zu sein. Wir haben gesehen, pvi_1334.022 daß epische Anschauungs-Elemente, Gedanken und Willensbewegungen herbeigezogen pvi_1334.023 werden, um einen Anhalt zu geben, an dem das Unergründliche pvi_1334.024 zur Aeußerung gelange; es muß aber eben zugleich die Unzulänglichkeit pvi_1334.025 dieses Anhalts zu Tage treten, es sind Lichter, die das Dunkel nicht ganz pvi_1334.026 erleuchten, sondern wieder zerrinnen und so ein Helldunkel erzeugen. Namentlich pvi_1334.027 muß sich dieß an dem indirect bildlichen Elemente, den Tropen, pvi_1334.028 bewähren: die lyrische Poesie wird die kühn verwechselnde Metapher dem pvi_1334.029 begründenden, entwickelnden Gleichnisse vorziehen, das gerne dem Bilde die pvi_1334.030 Ausführlichkeit einer über den Vergleichungszweck hinausgehenden selbständigen pvi_1334.031 Schönheit zuwendet. [Annotation]
Textebene Poetikentext, Explikationsebene theoretisch; Abgrenzung Vergleichung als Parallelkategorie; qualitative Unterscheidung prosaischer und poetischer Metaphern
Es bleibt also dabei, daß das ahnungsvoll pvi_1334.032 nach innen Deutende, Springende, Unentwickelte recht im vollen Gegensatze pvi_1334.033 gegen das Epische den allgemeinen lyrischen Stylcharakter bildet. Man pvi_1334.034 sehe darauf jenes Lied und lied=artige Gebet Gretchen's in Göthe's Faust pvi_1334.035 an und beobachte, wie hier das ächt lyrische Gefühl von jedem Versuche pvi_1334.036 der Entfaltung, der Ausbreitung wieder in seine unerschöpfliche Tiefe zurücksinkt. pvi_1334.037 Dieß Stylgesetz wird sich am meisten da bewähren, wo es am pvi_1334.038 meisten in Gefahr sein wird, nämlich in den Formen, die innerhalb der pvi_1334.039 lyrischen Poesie episch zu nennen sind, also die Aufgabe haben, im Zusammenhang pvi_1334.040 erzählend darzustellen; hier wird der lyrische Charakter der scheinbar
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rasch, abgebrochen fortzuschreiten. Die Composition verknüpft die Vorstellungen pvi_1334.002
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abschließende Rückkehr zum Grundtone durch den Refrain zu. Die Natur pvi_1334.009
des Gefühls fordert Kürze des Ganzen.
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Es wird sich zeigen, daß der Unterschied der Style in der lyrischen pvi_1334.011
Poesie nicht in der durchgreifenden Bedeutung auftreten kann, wie in der pvi_1334.012
epischen; wir erwähnen ihn vorläufig schon hier, um zuzugeben, daß die pvi_1334.013
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Ausführlichkeit einer über den Vergleichungszweck hinausgehenden selbständigen pvi_1334.031
Schönheit zuwendet. Es bleibt also dabei, daß das ahnungsvoll pvi_1334.032
nach innen Deutende, Springende, Unentwickelte recht im vollen Gegensatze pvi_1334.033
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sehe darauf jenes Lied und lied=artige Gebet Gretchen's in Göthe's Faust pvi_1334.035
an und beobachte, wie hier das ächt lyrische Gefühl von jedem Versuche pvi_1334.036
der Entfaltung, der Ausbreitung wieder in seine unerschöpfliche Tiefe zurücksinkt. pvi_1334.037
Dieß Stylgesetz wird sich am meisten da bewähren, wo es am pvi_1334.038
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Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857, S. 1334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_poetik_1857/196>, abgerufen am 15.08.2024.
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