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Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857.

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welche mit dem Schatze der tüchtigen Volksnatur die Güter der pvi_1314.002
Humanität, mit der Wahrheit des Lebens den schönen Schein, das vertiefte pvi_1314.003
und bereicherte Seelenleben der Bildung zusammenfaßt. Der Heerd pvi_1314.004
der Familie ist der wahre Mittelpunct des Weltbildes im Roman und er pvi_1314.005
gewinnt seine Bedeutung erst, wo Gemüther sich um ihn vereinigen, welche pvi_1314.006
die harte Wahrheit des Lebens mit zarteren Saiten einer erweiterten geistigen pvi_1314.007
Welt wiedertönen. Jn diesen Kreisen erst wird wahrhaft erlebt und entfaltet pvi_1314.008
sich das wahre, von den Extremen ferne Bild der Sitte. Die Engländer, pvi_1314.009
die der neueren Literatur überall die bedeutendsten Anstöße gegeben, pvi_1314.010
sind auch in dieser Gattung vorangegangen. Der Urheber derselben, Richardson, pvi_1314.011
ist Pedant im Ausmalen, peinlicher Anatom in der psychologischen pvi_1314.012
Zergliederung, abstracter Moralist, und doch begründet er den scharf zeichnenden pvi_1314.013
realistischen Styl, wie ihn die Kunstform fordert, weist auf das pvi_1314.014
wahre Ziel hin, in diesem Styl ein Seelengemälde zu entfalten und ihr pvi_1314.015
zum Mittelpuncte den gediegenen ethischen Gehalt unserer gebildeten bürgerlichen pvi_1314.016
Stände zu geben.

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2. Wir könnten den historischen Roman auch in anderem Zusammenhang pvi_1314.018
aufführen, nämlich da, wo von dem Hinübergreifen des classischen, pvi_1314.019
monumentalen Styls in den charakteristischen zu handeln ist. Doch ist es pvi_1314.020
nur die Größe des Stoffs, wodurch sich diese Form zu einem Seitenbilde pvi_1314.021
des Epos und seiner Erhabenheit zu steigern sucht; im Style hat gerade pvi_1314.022
sie von ihrem Begründer, W. Scott, die Richtung auf das Jndividualisiren pvi_1314.023
bis zu jenem Excesse des breiten, verweilenden Ausmalens erhalten, pvi_1314.024
den wir mit Lessing als Verletzung eines poetischen Grundgesetzes verwerfen pvi_1314.025
mußten (vergl. §. 847), und eine Neigung dazu wird bleiben, weil der pvi_1314.026
epische Poet, wo er mit dem Historiker den Stoff theilt, den Unterschied pvi_1314.027
der Behandlung immer in recht haarscharfer Vergegenwärtigung wird zeigen pvi_1314.028
wollen. Es ist nun hier allerdings die monumentale Großheit des geschichtlich pvi_1314.029
politischen Stoffs gewonnen, allein der innere Mangel der ganzen pvi_1314.030
Dicht-Art tritt in dem Verhältniß der Theile und namentlich im Schlusse pvi_1314.031
nur um so fühlbarer zu Tage: das große Schicksal der Völker und das pvi_1314.032
Bild der politischen Charaktere muß Hintergrund und Mittelgrund bleiben, pvi_1314.033
der Romanheld im Vordergrund darf nicht historisch bedeutend sein, weil pvi_1314.034
der Roman einmal das Allgemeine, genreartig Namenlose des Privatlebens, pvi_1314.035
das rein Menschliche der Persönlichkeit zum Jnhalt hat; nun spricht ebendaher pvi_1314.036
dieser Vordergrund das höhere Jnteresse an, das doch seinem bedeutenderen pvi_1314.037
Gewichte nach der Hintergrund, Mittelgrund verlangt, und pvi_1314.038
das ist ein innerer Widerspruch; dort spannt uns die höhere Bedeutung pvi_1314.039
der Geschichte, das Schicksal von Nationen, hier die Frage, ob Hans die pvi_1314.040
Grete bekommt, Beides gleichzeitig und so, daß die letztere Frage uns pvi_1314.041
wärmer, zudringlicher beschäftigt. - Der soziale Roman schlummert als

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857, S. 1314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_poetik_1857/176>, abgerufen am 22.11.2024.