pvi_1273.001 umfaßt, weist uns doch mit breiterer Hand hinaus auf die unendliche pvi_1273.002 Perspective des unausmeßbaren Ganzen. Es handelt sich freilich in allem pvi_1273.003 Jdealen nicht um das Extensive, sondern das Jntensive, nicht um Quantität, pvi_1273.004 sondern Qualität, und jeder Künstler und Dichter hat "seinen Leser pvi_1273.005 in einen Mittelpunct zu stellen, von welchem nach allen Seiten hin Strahlen pvi_1273.006 in's Unendliche laufen" (W. v. Humboldt a. a. O. S. 30), allein die pvi_1273.007 innere Unendlichkeit entwickelt ihre Lebensfülle in der äußern, die Jntension pvi_1273.008 in der Extension, die Qualität in der Quantität und je mehr mich der pvi_1273.009 Dichter wirklich zu sehen anleitet, um so mehr und voller leitet er mich an, pvi_1273.010 den ganzen Reichthum auch des nicht Gesehenen als Ausdehnung der Substanz pvi_1273.011 zu ahnen. Daher ist das ächt Epische von einem Gefühle begleitet, pvi_1273.012 als höre man einen breiten, unaussprechlich mächtigen Strom brausen, als pvi_1273.013 rausche die ganze Geschichte in gewaltigen Wogen an uns vorüber. Darin pvi_1273.014 liegt zugleich das volle Gefühl des Erhabenen der Zeit (vergl. §. 93. 94); pvi_1273.015 man sieht die Geschlechter kommen und gehen, wachsen und welken. Ein pvi_1273.016 tief und ächt episches Gefühl knüpft sich an den uralten Birnbaum in pvi_1273.017 Göthe's Hermann und Dorothea, der, wie heute, die Schnitter, die Hirten pvi_1273.018 und Heerden schon so viele Generationen hindurch in seinem Schatten hat pvi_1273.019 ruhen gesehen und noch sehen wird. Der Dichter hat aber zu zeigen, wie pvi_1273.020 im Mittelpuncte dieses weit ausgebreiteten Daseins die sittliche Welt steht, pvi_1273.021 in der ein ewiges Gesetz der Gerechtigkeit sich vollzieht, und so ist jenes pvi_1273.022 Gefühl eines unendlichen Flusses in seinem tieferen Gehalte Schicksalsgefühl. pvi_1273.023 Es scheint weit mehr vom Drama, als vom Epos zu gelten, daß es durch pvi_1273.024 und durch von Schicksalsgefühl getränkt sei. Allein dann wird dieser Begriff pvi_1273.025 in dem strafferen Sinn eines engen Zusammenhangs zwischen der pvi_1273.026 freien That und ihren Folgen genommen; im Epos dagegen herrscht das pvi_1273.027 Schicksal als der Factor des unendlichen Complexes des Weltverlaufs, worin pvi_1273.028 die Acte des Menschenwillens nur einzelne Wellen sind, worin der sittliche pvi_1273.029 Zustand, der sich als Summe der Zusammenwirkung unbestimmt vieler Jndividuen pvi_1273.030 ergibt, sich ununterschieden mit allem dem verflicht, was natürliche pvi_1273.031 Ursachen, äußere Bedingungen jeder Art hinzubringen, und worin der Begriff pvi_1273.032 des Zusammenhangs zwischen Schuld und Leiden sich mehr in das Weite pvi_1273.033 und Lose verlaufen muß. Es ist allerdings angemessener, dieß Verhängnißpvi_1273.034 zu nennen: "im Epos wohnt das Verhängniß, - da der Charakter pvi_1273.035 hier nur dem Ganzen dient und da kein Lebens= sondern ein Weltverlauf pvi_1273.036 erscheint, so verliert sich sein Schicksal in das Allgemeine" (J. P. Fr. Richter pvi_1273.037 a. a. O. S. 63). Dieß führt auf den breiten Spielraum des Zufälligen pvi_1273.038 im Epos. Der Begriff eines Complexes, einer Causalitäts-Verkettung, den pvi_1273.039 wir vom Epos aufgestellt haben, widerspricht demselben nicht; das Zufällige pvi_1273.040 ist immer motivirt, nur der gegenwärtige Zusammenhang zeigt nicht seine pvi_1273.041 Motivirung. Dem Epos genügt dieß; der zuständliche Mensch, der Sohn
pvi_1273.001 umfaßt, weist uns doch mit breiterer Hand hinaus auf die unendliche pvi_1273.002 Perspective des unausmeßbaren Ganzen. Es handelt sich freilich in allem pvi_1273.003 Jdealen nicht um das Extensive, sondern das Jntensive, nicht um Quantität, pvi_1273.004 sondern Qualität, und jeder Künstler und Dichter hat „seinen Leser pvi_1273.005 in einen Mittelpunct zu stellen, von welchem nach allen Seiten hin Strahlen pvi_1273.006 in's Unendliche laufen“ (W. v. Humboldt a. a. O. S. 30), allein die pvi_1273.007 innere Unendlichkeit entwickelt ihre Lebensfülle in der äußern, die Jntension pvi_1273.008 in der Extension, die Qualität in der Quantität und je mehr mich der pvi_1273.009 Dichter wirklich zu sehen anleitet, um so mehr und voller leitet er mich an, pvi_1273.010 den ganzen Reichthum auch des nicht Gesehenen als Ausdehnung der Substanz pvi_1273.011 zu ahnen. Daher ist das ächt Epische von einem Gefühle begleitet, pvi_1273.012 als höre man einen breiten, unaussprechlich mächtigen Strom brausen, als pvi_1273.013 rausche die ganze Geschichte in gewaltigen Wogen an uns vorüber. Darin pvi_1273.014 liegt zugleich das volle Gefühl des Erhabenen der Zeit (vergl. §. 93. 94); pvi_1273.015 man sieht die Geschlechter kommen und gehen, wachsen und welken. Ein pvi_1273.016 tief und ächt episches Gefühl knüpft sich an den uralten Birnbaum in pvi_1273.017 Göthe's Hermann und Dorothea, der, wie heute, die Schnitter, die Hirten pvi_1273.018 und Heerden schon so viele Generationen hindurch in seinem Schatten hat pvi_1273.019 ruhen gesehen und noch sehen wird. Der Dichter hat aber zu zeigen, wie pvi_1273.020 im Mittelpuncte dieses weit ausgebreiteten Daseins die sittliche Welt steht, pvi_1273.021 in der ein ewiges Gesetz der Gerechtigkeit sich vollzieht, und so ist jenes pvi_1273.022 Gefühl eines unendlichen Flusses in seinem tieferen Gehalte Schicksalsgefühl. pvi_1273.023 Es scheint weit mehr vom Drama, als vom Epos zu gelten, daß es durch pvi_1273.024 und durch von Schicksalsgefühl getränkt sei. Allein dann wird dieser Begriff pvi_1273.025 in dem strafferen Sinn eines engen Zusammenhangs zwischen der pvi_1273.026 freien That und ihren Folgen genommen; im Epos dagegen herrscht das pvi_1273.027 Schicksal als der Factor des unendlichen Complexes des Weltverlaufs, worin pvi_1273.028 die Acte des Menschenwillens nur einzelne Wellen sind, worin der sittliche pvi_1273.029 Zustand, der sich als Summe der Zusammenwirkung unbestimmt vieler Jndividuen pvi_1273.030 ergibt, sich ununterschieden mit allem dem verflicht, was natürliche pvi_1273.031 Ursachen, äußere Bedingungen jeder Art hinzubringen, und worin der Begriff pvi_1273.032 des Zusammenhangs zwischen Schuld und Leiden sich mehr in das Weite pvi_1273.033 und Lose verlaufen muß. Es ist allerdings angemessener, dieß Verhängnißpvi_1273.034 zu nennen: „im Epos wohnt das Verhängniß, – da der Charakter pvi_1273.035 hier nur dem Ganzen dient und da kein Lebens= sondern ein Weltverlauf pvi_1273.036 erscheint, so verliert sich sein Schicksal in das Allgemeine“ (J. P. Fr. Richter pvi_1273.037 a. a. O. S. 63). Dieß führt auf den breiten Spielraum des Zufälligen pvi_1273.038 im Epos. Der Begriff eines Complexes, einer Causalitäts-Verkettung, den pvi_1273.039 wir vom Epos aufgestellt haben, widerspricht demselben nicht; das Zufällige pvi_1273.040 ist immer motivirt, nur der gegenwärtige Zusammenhang zeigt nicht seine pvi_1273.041 Motivirung. Dem Epos genügt dieß; der zuständliche Mensch, der Sohn
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umfaßt, weist uns doch mit breiterer Hand hinaus auf die unendliche pvi_1273.002
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Vischer, Friedrich Theodor: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen zum Gebrauche für Vorlesungen. Dritter Teil. Zweiter Abschnitt. Die Künste. Fünftes Heft: Die Dichtung (Schluss des ganzen Werkes). Stuttgart, 1857, S. 1273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_poetik_1857/135>, abgerufen am 19.07.2024.
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