Geduldprobe im Folgenden nur Vernünftiges geboten werden; auch des Tollen im ebengenannten Sinne wird ihm noch Manches aufstoßen. Es wäre in der That ein verkehrtes Thun, wenn ich eine völlige Ausscheidung vornehmen wollte, so verkehrt, wie wenn ich frei über die Reihenfolge der Blätter disponirend versuchen würde, in das Durcheinander eines Tagebuchs, geführt unter den Impulsen des Augenblicks von einer tief, heftig und widerspruchsvoll bewegten Natur, eine logische Ordnung zu bringen.
Noch finden sich andere Fäden, die der wilden Farbenmischung einen sehr ernsten Untergrund geben, schwarz wie die Nacht, wohl auch blutroth. Ich fand zwischen den Blättern ein schwarz eingesiegeltes Paket. Ich scheute mich, es in jenen Tagen zu öffnen, die ich in der Heimat des Verstorbenen zubrachte. Ich ahnte Erschütterndes und wollte es für jetzt ruhen lassen mit dem Todten, der es überwunden hatte; ich wollte dem Ganzen eines abgeschlossenen Lebens in still wehmüthiger Betrachtung nachschauen, kein Theil dieses Ganzen sollte mir in dieser Stimmung reinen Schmerzes zur er¬ schreckenden Gegenwart werden. Wie sehr fühlte ich, daß ich Recht gethan, als ich nachher zu Hause die Siegel öffnete! Das Räthsel, das jene zwei Frauen¬ bilder uns vorgelegt, es löste sich, wiewohl nicht zu völliger Helle. Ein zuckendes Schlaglicht fiel auf ein schweres, ja furchtbares und nach Ueberwindung des
Geduldprobe im Folgenden nur Vernünftiges geboten werden; auch des Tollen im ebengenannten Sinne wird ihm noch Manches aufſtoßen. Es wäre in der That ein verkehrtes Thun, wenn ich eine völlige Ausſcheidung vornehmen wollte, ſo verkehrt, wie wenn ich frei über die Reihenfolge der Blätter diſponirend verſuchen würde, in das Durcheinander eines Tagebuchs, geführt unter den Impulſen des Augenblicks von einer tief, heftig und widerſpruchsvoll bewegten Natur, eine logiſche Ordnung zu bringen.
Noch finden ſich andere Fäden, die der wilden Farbenmiſchung einen ſehr ernſten Untergrund geben, ſchwarz wie die Nacht, wohl auch blutroth. Ich fand zwiſchen den Blättern ein ſchwarz eingeſiegeltes Paket. Ich ſcheute mich, es in jenen Tagen zu öffnen, die ich in der Heimat des Verſtorbenen zubrachte. Ich ahnte Erſchütterndes und wollte es für jetzt ruhen laſſen mit dem Todten, der es überwunden hatte; ich wollte dem Ganzen eines abgeſchloſſenen Lebens in ſtill wehmüthiger Betrachtung nachſchauen, kein Theil dieſes Ganzen ſollte mir in dieſer Stimmung reinen Schmerzes zur er¬ ſchreckenden Gegenwart werden. Wie ſehr fühlte ich, daß ich Recht gethan, als ich nachher zu Hauſe die Siegel öffnete! Das Räthſel, das jene zwei Frauen¬ bilder uns vorgelegt, es löſte ſich, wiewohl nicht zu völliger Helle. Ein zuckendes Schlaglicht fiel auf ein ſchweres, ja furchtbares und nach Ueberwindung des
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[86/0099]
Geduldprobe im Folgenden nur Vernünftiges geboten
werden; auch des Tollen im ebengenannten Sinne wird
ihm noch Manches aufſtoßen. Es wäre in der That
ein verkehrtes Thun, wenn ich eine völlige Ausſcheidung
vornehmen wollte, ſo verkehrt, wie wenn ich frei über
die Reihenfolge der Blätter diſponirend verſuchen würde,
in das Durcheinander eines Tagebuchs, geführt unter
den Impulſen des Augenblicks von einer tief, heftig
und widerſpruchsvoll bewegten Natur, eine logiſche
Ordnung zu bringen.
Noch finden ſich andere Fäden, die der wilden
Farbenmiſchung einen ſehr ernſten Untergrund geben,
ſchwarz wie die Nacht, wohl auch blutroth. Ich fand
zwiſchen den Blättern ein ſchwarz eingeſiegeltes Paket.
Ich ſcheute mich, es in jenen Tagen zu öffnen, die ich
in der Heimat des Verſtorbenen zubrachte. Ich ahnte
Erſchütterndes und wollte es für jetzt ruhen laſſen mit
dem Todten, der es überwunden hatte; ich wollte dem
Ganzen eines abgeſchloſſenen Lebens in ſtill wehmüthiger
Betrachtung nachſchauen, kein Theil dieſes Ganzen ſollte
mir in dieſer Stimmung reinen Schmerzes zur er¬
ſchreckenden Gegenwart werden. Wie ſehr fühlte ich,
daß ich Recht gethan, als ich nachher zu Hauſe die
Siegel öffnete! Das Räthſel, das jene zwei Frauen¬
bilder uns vorgelegt, es löſte ſich, wiewohl nicht zu
völliger Helle. Ein zuckendes Schlaglicht fiel auf ein
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/99>, abgerufen am 27.11.2024.
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