gebaut, eine harmonische Uebersicht über alle dishar¬ monischen Durchkreuzungen sollte hergestellt werden. Wie konnte es anders kommen, als daß das Objekt auf das Subjekt, der Inhalt auf die Form sich über¬ trug? Durchkreuzungen sind ja Durchkreuzungen, ich kann sie nicht berechnen, nicht ordnen, sie laufen von und nach allen Seiten, sind rein unbestimmbar; so mußte denn die Uebersicht einer ungeordneten Welt natür¬ lich selbst ungeordnet, das Bild der Disharmonie selbst disharmonisch werden; es gibt ja keinen Plan für's Planlose, kein System des Systemlosen. -- Ich wollte, da sie nun in diesem verneinenden Sinne Werth für mich bekamen, die Papiere doch nicht zerstören, faltete den Klumpen wieder auseinander, glättete die Bögen, da fiel mein Blick auf eine Stelle, wo ein Wort stand, das ein in dunkler Ferne schwebendes Erinnerungs¬ bild in mir auffrischte. Es hieß amplificatio. Ich sah aufmerksamer nach. Es kam vor bei der Rubrik Rhetorik. Dort standen einige der Namen, mit welchen die alte Wissenschaft der Beredtsamkeit gewisse Theile der Rede lateinisch zu bezeichnen pflegte: exordium, narratio, reprehensio und dergleichen. Amplificatio nannte man eine Prachtwendung am Schlusse, worin der Redner durch eine Fülle von Bildern und Häufung konzentrirter Beweissätze seine Weisheit noch einmal tüchtig aufputzt, um so mit einem recht flotten Trumpf abzutreten. Diese amplificatio sollte nun auf der
gebaut, eine harmoniſche Ueberſicht über alle dishar¬ moniſchen Durchkreuzungen ſollte hergeſtellt werden. Wie konnte es anders kommen, als daß das Objekt auf das Subjekt, der Inhalt auf die Form ſich über¬ trug? Durchkreuzungen ſind ja Durchkreuzungen, ich kann ſie nicht berechnen, nicht ordnen, ſie laufen von und nach allen Seiten, ſind rein unbeſtimmbar; ſo mußte denn die Ueberſicht einer ungeordneten Welt natür¬ lich ſelbſt ungeordnet, das Bild der Disharmonie ſelbſt disharmoniſch werden; es gibt ja keinen Plan für's Planloſe, kein Syſtem des Syſtemloſen. — Ich wollte, da ſie nun in dieſem verneinenden Sinne Werth für mich bekamen, die Papiere doch nicht zerſtören, faltete den Klumpen wieder auseinander, glättete die Bögen, da fiel mein Blick auf eine Stelle, wo ein Wort ſtand, das ein in dunkler Ferne ſchwebendes Erinnerungs¬ bild in mir auffriſchte. Es hieß amplificatio. Ich ſah aufmerkſamer nach. Es kam vor bei der Rubrik Rhetorik. Dort ſtanden einige der Namen, mit welchen die alte Wiſſenſchaft der Beredtſamkeit gewiſſe Theile der Rede lateiniſch zu bezeichnen pflegte: exordium, narratio, reprehensio und dergleichen. Amplificatio nannte man eine Prachtwendung am Schluſſe, worin der Redner durch eine Fülle von Bildern und Häufung konzentrirter Beweisſätze ſeine Weisheit noch einmal tüchtig aufputzt, um ſo mit einem recht flotten Trumpf abzutreten. Dieſe amplificatio ſollte nun auf der
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gebaut, eine harmoniſche Ueberſicht über alle dishar¬
moniſchen Durchkreuzungen ſollte hergeſtellt werden.
Wie konnte es anders kommen, als daß das Objekt
auf das Subjekt, der Inhalt auf die Form ſich über¬
trug? Durchkreuzungen ſind ja Durchkreuzungen, ich
kann ſie nicht berechnen, nicht ordnen, ſie laufen von
und nach allen Seiten, ſind rein unbeſtimmbar; ſo
mußte denn die Ueberſicht einer ungeordneten Welt natür¬
lich ſelbſt ungeordnet, das Bild der Disharmonie ſelbſt
disharmoniſch werden; es gibt ja keinen Plan für's
Planloſe, kein Syſtem des Syſtemloſen. — Ich wollte,
da ſie nun in dieſem verneinenden Sinne Werth für
mich bekamen, die Papiere doch nicht zerſtören, faltete
den Klumpen wieder auseinander, glättete die Bögen,
da fiel mein Blick auf eine Stelle, wo ein Wort ſtand,
das ein in dunkler Ferne ſchwebendes Erinnerungs¬
bild in mir auffriſchte. Es hieß amplificatio. Ich
ſah aufmerkſamer nach. Es kam vor bei der Rubrik
Rhetorik. Dort ſtanden einige der Namen, mit welchen
die alte Wiſſenſchaft der Beredtſamkeit gewiſſe Theile
der Rede lateiniſch zu bezeichnen pflegte: exordium,
narratio, reprehensio und dergleichen. Amplificatio
nannte man eine Prachtwendung am Schluſſe, worin
der Redner durch eine Fülle von Bildern und Häufung
konzentrirter Beweisſätze ſeine Weisheit noch einmal
tüchtig aufputzt, um ſo mit einem recht flotten Trumpf
abzutreten. Dieſe amplificatio ſollte nun auf der
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/89>, abgerufen am 21.11.2024.
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