Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Brocken doch eben selbst auch größtentheils humoristisch
gemeint seien. Ich vermochte mein Urtheil nicht abzu¬
schließen. Das ist nun Sache des Lesers.

Ich füge noch hinzu, daß in einem der geschlossenen
Fächer des Schreibtischs auch das Konzept der Pfahl¬
dorfgeschichte sich vorfand, ein Manuskript, von Durch¬
strichen, Korrekturen, Einschiebungen über und über
durchschnitten und übersät. Da ich schon öfters Gelegen¬
heit gehabt hatte, mit Hülfe solcher Blätter in die ge¬
heime Werkstätte eines Dichters zu sehen, so konnte mich
dieser Zustand nicht zu der Vorstellung verleiten, die
Arbeit sei wie ein mühsames Mosaik entstanden. Frei
poetische Initiative und häufiges Umändern und Nach¬
bessern schienen mir einander nicht auszuschließen.
Dem Dichter schwebt ein Bild vor wie ein Traumbild,
hell in allen wesentlichen Zügen und doch noch schwebend,
unbestimmt in Umrissen. Zudem ist die Sprache ein
sprödes Material, das nicht leichten Kaufes sich hergibt,
sein dem Prosabedarf dienendes Gefüge zur durch¬
sichtigen Form für freie Anschauung umwandeln zu
lassen. Er sucht und sucht, ringt und ringt, er reibt,
wie man reibt, um einen verdunkelnden Firnis zu ent¬
fernen, der über einem Gemälde liegt, endlich gelingt
es der sauern Mühe, herauszuarbeiten, was ganz frisch,
ganz leicht, ganz Ein Guß und Fluß aus eigener
Tiefe von Anfang an vor der Seele stand.

Nun ein Wort von den zu freier Verfügung mir

Brocken doch eben ſelbſt auch größtentheils humoriſtiſch
gemeint ſeien. Ich vermochte mein Urtheil nicht abzu¬
ſchließen. Das iſt nun Sache des Leſers.

Ich füge noch hinzu, daß in einem der geſchloſſenen
Fächer des Schreibtiſchs auch das Konzept der Pfahl¬
dorfgeſchichte ſich vorfand, ein Manuſkript, von Durch¬
ſtrichen, Korrekturen, Einſchiebungen über und über
durchſchnitten und überſät. Da ich ſchon öfters Gelegen¬
heit gehabt hatte, mit Hülfe ſolcher Blätter in die ge¬
heime Werkſtätte eines Dichters zu ſehen, ſo konnte mich
dieſer Zuſtand nicht zu der Vorſtellung verleiten, die
Arbeit ſei wie ein mühſames Moſaik entſtanden. Frei
poetiſche Initiative und häufiges Umändern und Nach¬
beſſern ſchienen mir einander nicht auszuſchließen.
Dem Dichter ſchwebt ein Bild vor wie ein Traumbild,
hell in allen weſentlichen Zügen und doch noch ſchwebend,
unbeſtimmt in Umriſſen. Zudem iſt die Sprache ein
ſprödes Material, das nicht leichten Kaufes ſich hergibt,
ſein dem Proſabedarf dienendes Gefüge zur durch¬
ſichtigen Form für freie Anſchauung umwandeln zu
laſſen. Er ſucht und ſucht, ringt und ringt, er reibt,
wie man reibt, um einen verdunkelnden Firnis zu ent¬
fernen, der über einem Gemälde liegt, endlich gelingt
es der ſauern Mühe, herauszuarbeiten, was ganz friſch,
ganz leicht, ganz Ein Guß und Fluß aus eigener
Tiefe von Anfang an vor der Seele ſtand.

Nun ein Wort von den zu freier Verfügung mir

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0071" n="58"/>
Brocken doch eben &#x017F;elb&#x017F;t auch größtentheils humori&#x017F;ti&#x017F;ch<lb/>
gemeint &#x017F;eien. Ich vermochte mein Urtheil nicht abzu¬<lb/>
&#x017F;chließen. Das i&#x017F;t nun Sache des Le&#x017F;ers.</p><lb/>
      <p>Ich füge noch hinzu, daß in einem der ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen<lb/>
Fächer des Schreibti&#x017F;chs auch das Konzept der Pfahl¬<lb/>
dorfge&#x017F;chichte &#x017F;ich vorfand, ein Manu&#x017F;kript, von Durch¬<lb/>
&#x017F;trichen, Korrekturen, Ein&#x017F;chiebungen über und über<lb/>
durch&#x017F;chnitten und über&#x017F;ät. Da ich &#x017F;chon öfters Gelegen¬<lb/>
heit gehabt hatte, mit Hülfe &#x017F;olcher Blätter in die ge¬<lb/>
heime Werk&#x017F;tätte eines Dichters zu &#x017F;ehen, &#x017F;o konnte mich<lb/>
die&#x017F;er Zu&#x017F;tand nicht zu der Vor&#x017F;tellung verleiten, die<lb/>
Arbeit &#x017F;ei wie ein müh&#x017F;ames Mo&#x017F;aik ent&#x017F;tanden. Frei<lb/>
poeti&#x017F;che Initiative und häufiges Umändern und Nach¬<lb/>
be&#x017F;&#x017F;ern &#x017F;chienen mir einander nicht auszu&#x017F;chließen.<lb/>
Dem Dichter &#x017F;chwebt ein Bild vor wie ein Traumbild,<lb/>
hell in allen we&#x017F;entlichen Zügen und doch noch &#x017F;chwebend,<lb/>
unbe&#x017F;timmt in Umri&#x017F;&#x017F;en. Zudem i&#x017F;t die Sprache ein<lb/>
&#x017F;prödes Material, das nicht leichten Kaufes &#x017F;ich hergibt,<lb/>
&#x017F;ein dem Pro&#x017F;abedarf dienendes Gefüge zur durch¬<lb/>
&#x017F;ichtigen Form für freie An&#x017F;chauung umwandeln zu<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en. Er &#x017F;ucht und &#x017F;ucht, ringt und ringt, er reibt,<lb/>
wie man reibt, um einen verdunkelnden Firnis zu ent¬<lb/>
fernen, der über einem Gemälde liegt, endlich gelingt<lb/>
es der &#x017F;auern Mühe, herauszuarbeiten, was ganz fri&#x017F;ch,<lb/>
ganz leicht, ganz Ein Guß und Fluß aus eigener<lb/>
Tiefe von Anfang an vor der Seele &#x017F;tand.</p><lb/>
      <p>Nun ein Wort von den zu freier Verfügung mir<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[58/0071] Brocken doch eben ſelbſt auch größtentheils humoriſtiſch gemeint ſeien. Ich vermochte mein Urtheil nicht abzu¬ ſchließen. Das iſt nun Sache des Leſers. Ich füge noch hinzu, daß in einem der geſchloſſenen Fächer des Schreibtiſchs auch das Konzept der Pfahl¬ dorfgeſchichte ſich vorfand, ein Manuſkript, von Durch¬ ſtrichen, Korrekturen, Einſchiebungen über und über durchſchnitten und überſät. Da ich ſchon öfters Gelegen¬ heit gehabt hatte, mit Hülfe ſolcher Blätter in die ge¬ heime Werkſtätte eines Dichters zu ſehen, ſo konnte mich dieſer Zuſtand nicht zu der Vorſtellung verleiten, die Arbeit ſei wie ein mühſames Moſaik entſtanden. Frei poetiſche Initiative und häufiges Umändern und Nach¬ beſſern ſchienen mir einander nicht auszuſchließen. Dem Dichter ſchwebt ein Bild vor wie ein Traumbild, hell in allen weſentlichen Zügen und doch noch ſchwebend, unbeſtimmt in Umriſſen. Zudem iſt die Sprache ein ſprödes Material, das nicht leichten Kaufes ſich hergibt, ſein dem Proſabedarf dienendes Gefüge zur durch¬ ſichtigen Form für freie Anſchauung umwandeln zu laſſen. Er ſucht und ſucht, ringt und ringt, er reibt, wie man reibt, um einen verdunkelnden Firnis zu ent¬ fernen, der über einem Gemälde liegt, endlich gelingt es der ſauern Mühe, herauszuarbeiten, was ganz friſch, ganz leicht, ganz Ein Guß und Fluß aus eigener Tiefe von Anfang an vor der Seele ſtand. Nun ein Wort von den zu freier Verfügung mir

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/71
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/71>, abgerufen am 26.11.2024.