des Verbotenen nur doppelt stark auf das blinde Zwerchfell, damit steckte ich meinen Begleiter an, und so schritten zwei ernste Männer mit krampfverzogenen Gesichtern, momentane Ausbrüche des verhaltenen Kit¬ terns erbärmlich verbeißend, an eine Stätte, die sie mit dem reinen Gefühl der tiefstgesammelten Trauer zu betreten gewillt waren. Ach, was ist der Mensch! Zwei Hunde mußten uns zu uns bringen. Einhart's Lieblingsthiere lagen auf dem Grabe, sie wedelten und wimmerten, als sie uns sahen, ohne sich von der Stelle zu rühren. Mit Einem Schlage war durch diesen Anblick die Stimmung gereinigt, und schnell wiech die profane Thräne des Lachens dem heiligen Thau, der vom krystallenen Nachthimmel frommen Gedenkens fällt, Gedenkens an gute Menschen, an Menschenloos und an das, was ewig ist.
Als wir hinweggiengen, lockte ich den Hunden und sie folgten mir. "Sie sind der Erste, dem das ge¬ lingt," sagte mein Begleiter; "die Thiere schliechen dem Leichenzuge nach, sie ließen sich nicht abtreiben, seither machen sie von Zeit zu Zeit den Gang und gehorchen keinem Befehl, die Stelle zu verlassen, bis sie Nacht und Hunger nach Hause treiben."
Der Assessor lud mich beim Abschied ein, mich am Abend des folgenden Tags im Herrenstübchen des Gasthofs "zum Stern" einzufinden, wo ich eine Ge¬ sellschaft treffen werde, in welcher A. E. jede Woche
des Verbotenen nur doppelt ſtark auf das blinde Zwerchfell, damit ſteckte ich meinen Begleiter an, und ſo ſchritten zwei ernſte Männer mit krampfverzogenen Geſichtern, momentane Ausbrüche des verhaltenen Kit¬ terns erbärmlich verbeißend, an eine Stätte, die ſie mit dem reinen Gefühl der tiefſtgeſammelten Trauer zu betreten gewillt waren. Ach, was iſt der Menſch! Zwei Hunde mußten uns zu uns bringen. Einhart's Lieblingsthiere lagen auf dem Grabe, ſie wedelten und wimmerten, als ſie uns ſahen, ohne ſich von der Stelle zu rühren. Mit Einem Schlage war durch dieſen Anblick die Stimmung gereinigt, und ſchnell wiech die profane Thräne des Lachens dem heiligen Thau, der vom kryſtallenen Nachthimmel frommen Gedenkens fällt, Gedenkens an gute Menſchen, an Menſchenloos und an das, was ewig iſt.
Als wir hinweggiengen, lockte ich den Hunden und ſie folgten mir. „Sie ſind der Erſte, dem das ge¬ lingt,“ ſagte mein Begleiter; „die Thiere ſchliechen dem Leichenzuge nach, ſie ließen ſich nicht abtreiben, ſeither machen ſie von Zeit zu Zeit den Gang und gehorchen keinem Befehl, die Stelle zu verlaſſen, bis ſie Nacht und Hunger nach Hauſe treiben.“
Der Aſſeſſor lud mich beim Abſchied ein, mich am Abend des folgenden Tags im Herrenſtübchen des Gaſthofs „zum Stern“ einzufinden, wo ich eine Ge¬ ſellſchaft treffen werde, in welcher A. E. jede Woche
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des Verbotenen nur doppelt ſtark auf das blinde
Zwerchfell, damit ſteckte ich meinen Begleiter an, und
ſo ſchritten zwei ernſte Männer mit krampfverzogenen
Geſichtern, momentane Ausbrüche des verhaltenen Kit¬
terns erbärmlich verbeißend, an eine Stätte, die ſie
mit dem reinen Gefühl der tiefſtgeſammelten Trauer
zu betreten gewillt waren. Ach, was iſt der Menſch!
Zwei Hunde mußten uns zu uns bringen. Einhart's
Lieblingsthiere lagen auf dem Grabe, ſie wedelten und
wimmerten, als ſie uns ſahen, ohne ſich von der Stelle
zu rühren. Mit Einem Schlage war durch dieſen
Anblick die Stimmung gereinigt, und ſchnell wiech die
profane Thräne des Lachens dem heiligen Thau, der
vom kryſtallenen Nachthimmel frommen Gedenkens fällt,
Gedenkens an gute Menſchen, an Menſchenloos und
an das, was ewig iſt.
Als wir hinweggiengen, lockte ich den Hunden und
ſie folgten mir. „Sie ſind der Erſte, dem das ge¬
lingt,“ ſagte mein Begleiter; „die Thiere ſchliechen dem
Leichenzuge nach, ſie ließen ſich nicht abtreiben, ſeither
machen ſie von Zeit zu Zeit den Gang und gehorchen
keinem Befehl, die Stelle zu verlaſſen, bis ſie Nacht
und Hunger nach Hauſe treiben.“
Der Aſſeſſor lud mich beim Abſchied ein, mich
am Abend des folgenden Tags im Herrenſtübchen des
Gaſthofs „zum Stern“ einzufinden, wo ich eine Ge¬
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/54>, abgerufen am 24.11.2024.
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