erzieherische Winke; man bekommt zu fühlen, daß er der Menschennatur im Grunde nicht viel Gutes zu¬ traut. Allein A. E. war doch auch wieder viel zu billig und gerecht, um nicht einzusehen, wie man durch Lebensbedingungen in solch' ein Fahrwasser hinein¬ gerathen kann, zu klar, um nicht einzusehen, daß die Welt ohne Halbheiten nicht durchkommt und daß sich das Volk in den Händen dieser Halbdurchsichtigen unzweifel¬ haft besser befindet als unter den Fingern und Fäusten der Schwarzen. Ich erinnere mich, wie er einmal sagte: ,Ach, geht mir mit diesen geweihten Besserungs¬ technikern!' Aber er nahm das Wort schnell zurück: es müsse eben doch einen Stand geben, so berichtigte er sich, welcher der Wechselerziehung der Leute ein wenig nachhelfe, eine Art Sittengoumer. Sie kennen das Wort? Ich habe es von ihm."
"Ja wohl, ich auch."
"Nun," fuhr er fort, "so vertrug man sich denn zwar nicht ohne Ebbe und Flut, doch ganz leidlich. Ebbe pflegte namentlich einzutreten, wenn ein gewisser süßer Zug in dem würdigen Manne hervortrat. Zunger ist musikalisch und singt gern Choräle zur Hausorgel. Er gibt ab und zu Gesellschaften und schenkt es den Gästen nicht, beim Thee ein Zwischenspiel musikalischer Erbauung sich gefallen zu lassen. A. E. war einmal eingeladen und hatte dieß mitzugenießen. Zunger liebt ganz besonders das Lied: ,Wie groß ist des Allmächt'gen
erzieheriſche Winke; man bekommt zu fühlen, daß er der Menſchennatur im Grunde nicht viel Gutes zu¬ traut. Allein A. E. war doch auch wieder viel zu billig und gerecht, um nicht einzuſehen, wie man durch Lebensbedingungen in ſolch' ein Fahrwaſſer hinein¬ gerathen kann, zu klar, um nicht einzuſehen, daß die Welt ohne Halbheiten nicht durchkommt und daß ſich das Volk in den Händen dieſer Halbdurchſichtigen unzweifel¬ haft beſſer befindet als unter den Fingern und Fäuſten der Schwarzen. Ich erinnere mich, wie er einmal ſagte: ‚Ach, geht mir mit dieſen geweihten Beſſerungs¬ technikern!‘ Aber er nahm das Wort ſchnell zurück: es müſſe eben doch einen Stand geben, ſo berichtigte er ſich, welcher der Wechſelerziehung der Leute ein wenig nachhelfe, eine Art Sittengoumer. Sie kennen das Wort? Ich habe es von ihm.“
„Ja wohl, ich auch.“
„Nun,“ fuhr er fort, „ſo vertrug man ſich denn zwar nicht ohne Ebbe und Flut, doch ganz leidlich. Ebbe pflegte namentlich einzutreten, wenn ein gewiſſer ſüßer Zug in dem würdigen Manne hervortrat. Zunger iſt muſikaliſch und ſingt gern Choräle zur Hausorgel. Er gibt ab und zu Geſellſchaften und ſchenkt es den Gäſten nicht, beim Thee ein Zwiſchenſpiel muſikaliſcher Erbauung ſich gefallen zu laſſen. A. E. war einmal eingeladen und hatte dieß mitzugenießen. Zunger liebt ganz beſonders das Lied: ‚Wie groß iſt des Allmächt'gen
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erzieheriſche Winke; man bekommt zu fühlen, daß er
der Menſchennatur im Grunde nicht viel Gutes zu¬
traut. Allein A. E. war doch auch wieder viel zu
billig und gerecht, um nicht einzuſehen, wie man durch
Lebensbedingungen in ſolch' ein Fahrwaſſer hinein¬
gerathen kann, zu klar, um nicht einzuſehen, daß die
Welt ohne Halbheiten nicht durchkommt und daß ſich das
Volk in den Händen dieſer Halbdurchſichtigen unzweifel¬
haft beſſer befindet als unter den Fingern und Fäuſten
der Schwarzen. Ich erinnere mich, wie er einmal
ſagte: ‚Ach, geht mir mit dieſen geweihten Beſſerungs¬
technikern!‘ Aber er nahm das Wort ſchnell zurück: es
müſſe eben doch einen Stand geben, ſo berichtigte er
ſich, welcher der Wechſelerziehung der Leute ein wenig
nachhelfe, eine Art Sittengoumer. Sie kennen das
Wort? Ich habe es von ihm.“
„Ja wohl, ich auch.“
„Nun,“ fuhr er fort, „ſo vertrug man ſich denn
zwar nicht ohne Ebbe und Flut, doch ganz leidlich.
Ebbe pflegte namentlich einzutreten, wenn ein gewiſſer
ſüßer Zug in dem würdigen Manne hervortrat. Zunger
iſt muſikaliſch und ſingt gern Choräle zur Hausorgel.
Er gibt ab und zu Geſellſchaften und ſchenkt es den
Gäſten nicht, beim Thee ein Zwiſchenſpiel muſikaliſcher
Erbauung ſich gefallen zu laſſen. A. E. war einmal
eingeladen und hatte dieß mitzugenießen. Zunger liebt
ganz beſonders das Lied: ‚Wie groß iſt des Allmächt'gen
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/51>, abgerufen am 24.11.2024.
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