umgeben von trauernden Mönchen und Volk. Der Meister, schwerlich Crescenzio, hat die streng auf die Sache losgehende Art des Giotto. Schmerz, andächtig rührungsvolles Schauen in die stillen Züge des Todten, diese Affekte in ihrer Einfachheit, ohne Zusatz feinerer Mischung, aber auch ohne abflachende Rundungen, und nur um so ergreifender. Die ausgewachsene Kunst füllt Formen und Ausdruck, spielt aber stets an der Grenze hin und über sie, wo das fühlbare Zeigen ihres Könnens beginnt. An der vollen Krone des Baums, der in Sommers Mitte prangt, findet man immer schon einige welke Blätter. -- Eigenthümlich hat mich der todte Franziskus berührt, der tiefe Friede in seinen hageren Büßerzügen. Was ist es, worin er liegt? Ein gläserner Sarg? Nicht mehr zu erkennen. -- Als Ort wird Assisi zu denken sein. --
Jetzt weiß ich, wohin! -- Der Fremde im Rück¬ weg lange schweigsam. Ich auch. "Die Bilder," beginnt er endlich, "haben mich seltsam ergriffen, -- auch darum, weil die Szene, die wir zuletzt gesehen, in Assisi vorzustellen ist. Ich habe eine traurige Nach¬ richt: der Tod zielt jetzt eben in meine Verwandtschaft." -- Er nennt mir seinen Namen, sein Vaterland Schweden, seinen Heimatsort Gothenburg und seinen Stiefbruder -- Erik. Dessen Wittwe, ein Juwel aller
Vischer, Auch Einer. II. 27
umgeben von trauernden Mönchen und Volk. Der Meiſter, ſchwerlich Creſcenzio, hat die ſtreng auf die Sache losgehende Art des Giotto. Schmerz, andächtig rührungsvolles Schauen in die ſtillen Züge des Todten, dieſe Affekte in ihrer Einfachheit, ohne Zuſatz feinerer Miſchung, aber auch ohne abflachende Rundungen, und nur um ſo ergreifender. Die ausgewachſene Kunſt füllt Formen und Ausdruck, ſpielt aber ſtets an der Grenze hin und über ſie, wo das fühlbare Zeigen ihres Könnens beginnt. An der vollen Krone des Baums, der in Sommers Mitte prangt, findet man immer ſchon einige welke Blätter. — Eigenthümlich hat mich der todte Franziskus berührt, der tiefe Friede in ſeinen hageren Büßerzügen. Was iſt es, worin er liegt? Ein gläſerner Sarg? Nicht mehr zu erkennen. — Als Ort wird Aſſiſi zu denken ſein. —
Jetzt weiß ich, wohin! — Der Fremde im Rück¬ weg lange ſchweigſam. Ich auch. „Die Bilder,“ beginnt er endlich, „haben mich ſeltſam ergriffen, — auch darum, weil die Szene, die wir zuletzt geſehen, in Aſſiſi vorzuſtellen iſt. Ich habe eine traurige Nach¬ richt: der Tod zielt jetzt eben in meine Verwandtſchaft.“ — Er nennt mir ſeinen Namen, ſein Vaterland Schweden, ſeinen Heimatsort Gothenburg und ſeinen Stiefbruder — Erik. Deſſen Wittwe, ein Juwel aller
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umgeben von trauernden Mönchen und Volk. Der
Meiſter, ſchwerlich Creſcenzio, hat die ſtreng auf die
Sache losgehende Art des Giotto. Schmerz, andächtig
rührungsvolles Schauen in die ſtillen Züge des Todten,
dieſe Affekte in ihrer Einfachheit, ohne Zuſatz feinerer
Miſchung, aber auch ohne abflachende Rundungen, und
nur um ſo ergreifender. Die ausgewachſene Kunſt
füllt Formen und Ausdruck, ſpielt aber ſtets an der
Grenze hin und über ſie, wo das fühlbare Zeigen
ihres Könnens beginnt. An der vollen Krone des
Baums, der in Sommers Mitte prangt, findet man
immer ſchon einige welke Blätter. — Eigenthümlich
hat mich der todte Franziskus berührt, der tiefe Friede
in ſeinen hageren Büßerzügen. Was iſt es, worin er
liegt? Ein gläſerner Sarg? Nicht mehr zu erkennen.
— Als Ort wird Aſſiſi zu denken ſein. —
Jetzt weiß ich, wohin! — Der Fremde im Rück¬
weg lange ſchweigſam. Ich auch. „Die Bilder,“
beginnt er endlich, „haben mich ſeltſam ergriffen, —
auch darum, weil die Szene, die wir zuletzt geſehen,
in Aſſiſi vorzuſtellen iſt. Ich habe eine traurige Nach¬
richt: der Tod zielt jetzt eben in meine Verwandtſchaft.“
— Er nennt mir ſeinen Namen, ſein Vaterland
Schweden, ſeinen Heimatsort Gothenburg und ſeinen
Stiefbruder — Erik. Deſſen Wittwe, ein Juwel aller
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/430>, abgerufen am 27.11.2024.
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