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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

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der anbetenden Gruppe wiederscheint und im Dunkel
der Hütte, der nächtlichen Landschaft verschwebt, es ist
stumpf und erdig gegen die Lichtfülle, die von diesem
Himmelsbilde ausströmt und doch nicht blendet, sondern
mondscheingleich das Blau, das vor lauter Leuchtkraft
wie Roth auf das Auge wirkt, zu sanfter Kühle er¬
mäßigt. Ich sollte die Züge dieses Weibes kennen,
sprach es in mir. Nur so wagte ich es im Innern
zu sagen, denn sehr wohl beim ersten Blicke kannte
ich sie. Doch drang es mir über die Lippen: "Soteira!"
flüsterte ich und trat um einen kleinen Schritt näher;
das Wasser, das ihr Felsbett umschwankte, schien zugleich
fester Boden, der dem Fuße Stand und Gang erlaubte.
Sie öffnete jetzt die Augen und ließ sie auf mir ruhen.
Wer beschreibt den Blick! Mir war wie damals, als
sie sich über mich beugte und das feuchtkühle Tuch auf
meine Stirne legte, nur dasselbe Gefühl in's Unme߬
bare, in's Unsagbare erhöht. Nun sprach sie, -- es
war jener grundgute Ton, der mir einst in's Herz
des Herzens gedrungen --: "Nicht wahr, hier ist es
gut still und kühl?" -- "Ja, du Gute," sagte ich,
"aber das ist ein Ort für Reine, da darf ich nicht
bleiben; verzeih', verzeih', daß ich hier eingedrungen;
aber du glaubst nicht, o, du glaubst nicht, wie fürchter¬
lich es droben aussieht im Thale der Schrecken." Wie
vorher ruhten diese Augen auf mir mit dem Blick der
Güte und des Mitleids, den keine Zunge nennt. Dann

der anbetenden Gruppe wiederſcheint und im Dunkel
der Hütte, der nächtlichen Landſchaft verſchwebt, es iſt
ſtumpf und erdig gegen die Lichtfülle, die von dieſem
Himmelsbilde ausſtrömt und doch nicht blendet, ſondern
mondſcheingleich das Blau, das vor lauter Leuchtkraft
wie Roth auf das Auge wirkt, zu ſanfter Kühle er¬
mäßigt. Ich ſollte die Züge dieſes Weibes kennen,
ſprach es in mir. Nur ſo wagte ich es im Innern
zu ſagen, denn ſehr wohl beim erſten Blicke kannte
ich ſie. Doch drang es mir über die Lippen: „Soteira!“
flüſterte ich und trat um einen kleinen Schritt näher;
das Waſſer, das ihr Felsbett umſchwankte, ſchien zugleich
feſter Boden, der dem Fuße Stand und Gang erlaubte.
Sie öffnete jetzt die Augen und ließ ſie auf mir ruhen.
Wer beſchreibt den Blick! Mir war wie damals, als
ſie ſich über mich beugte und das feuchtkühle Tuch auf
meine Stirne legte, nur daſſelbe Gefühl in's Unme߬
bare, in's Unſagbare erhöht. Nun ſprach ſie, — es
war jener grundgute Ton, der mir einſt in's Herz
des Herzens gedrungen —: „Nicht wahr, hier iſt es
gut ſtill und kühl?“ — „Ja, du Gute,“ ſagte ich,
„aber das iſt ein Ort für Reine, da darf ich nicht
bleiben; verzeih', verzeih', daß ich hier eingedrungen;
aber du glaubſt nicht, o, du glaubſt nicht, wie fürchter¬
lich es droben ausſieht im Thale der Schrecken.“ Wie
vorher ruhten dieſe Augen auf mir mit dem Blick der
Güte und des Mitleids, den keine Zunge nennt. Dann

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[413/0426] der anbetenden Gruppe wiederſcheint und im Dunkel der Hütte, der nächtlichen Landſchaft verſchwebt, es iſt ſtumpf und erdig gegen die Lichtfülle, die von dieſem Himmelsbilde ausſtrömt und doch nicht blendet, ſondern mondſcheingleich das Blau, das vor lauter Leuchtkraft wie Roth auf das Auge wirkt, zu ſanfter Kühle er¬ mäßigt. Ich ſollte die Züge dieſes Weibes kennen, ſprach es in mir. Nur ſo wagte ich es im Innern zu ſagen, denn ſehr wohl beim erſten Blicke kannte ich ſie. Doch drang es mir über die Lippen: „Soteira!“ flüſterte ich und trat um einen kleinen Schritt näher; das Waſſer, das ihr Felsbett umſchwankte, ſchien zugleich feſter Boden, der dem Fuße Stand und Gang erlaubte. Sie öffnete jetzt die Augen und ließ ſie auf mir ruhen. Wer beſchreibt den Blick! Mir war wie damals, als ſie ſich über mich beugte und das feuchtkühle Tuch auf meine Stirne legte, nur daſſelbe Gefühl in's Unme߬ bare, in's Unſagbare erhöht. Nun ſprach ſie, — es war jener grundgute Ton, der mir einſt in's Herz des Herzens gedrungen —: „Nicht wahr, hier iſt es gut ſtill und kühl?“ — „Ja, du Gute,“ ſagte ich, „aber das iſt ein Ort für Reine, da darf ich nicht bleiben; verzeih', verzeih', daß ich hier eingedrungen; aber du glaubſt nicht, o, du glaubſt nicht, wie fürchter¬ lich es droben ausſieht im Thale der Schrecken.“ Wie vorher ruhten dieſe Augen auf mir mit dem Blick der Güte und des Mitleids, den keine Zunge nennt. Dann

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/426>, abgerufen am 23.11.2024.