hole ich dich, Schandfetzen, aus der Luft herunter!" -- "Da, nimm!" höre ich jetzt eine freundliche Stimme mir über die Schulter sagen, drehe mich um und in rothem Hemde steht ein Mann vor mir mit den be¬ kannten Zügen Garibaldi's und reicht mir ein Gewehr, doch war es auch wieder nicht Garibaldi, sondern der arme, treue Karl, der mir bei Krusau sterbend seine Büchse herbot; "da, nimm, sie ist geladen und auch schon gespannt!" "O Dank, Dank, Dank!" Ich er¬ greife die Waffe, lege an, ziele, drücke -- sie versagt! Nicht plötzlicher Donnerschlag, nicht Kanonenknall kann erschrecken, wie dieß Ausbleiben eines Schalls, dieser Nichtschuß mich entsetzte.
Ich erwachte, fuhr auf, eiskalt rann es mir durch die Glieder, aber schnell wiech die tödtliche Kälte einer brennenden Fieberglut. Mir war, ich fühle mein Gehirn in seiner Höhle kochen. Mein linker Arm war noch ausgestreckt, als hielte er den Lauf des Geschoßes, mein rechter gekrümmt und der Zeigefinger gebogen, als läge er noch am Drücker. Ein Krampf spannte mir alle Muskel auf die Folter. Als ich klarer zu mir kam, war mein ganzes Wesen nur Ein Sehnen, nur Ein Seufzer nach Ruhe, Stille, Kühlung. In diesem Gefühle schlief ich wieder ein. Der Traum nahm sein Spiel wieder auf und knüpfte seinen Faden an den ersten Gang, lose, wie er zu thun pflegt. Ich fand mich unterwegs aus der Stadt. Ich will
hole ich dich, Schandfetzen, aus der Luft herunter!“ — „Da, nimm!“ höre ich jetzt eine freundliche Stimme mir über die Schulter ſagen, drehe mich um und in rothem Hemde ſteht ein Mann vor mir mit den be¬ kannten Zügen Garibaldi's und reicht mir ein Gewehr, doch war es auch wieder nicht Garibaldi, ſondern der arme, treue Karl, der mir bei Kruſau ſterbend ſeine Büchſe herbot; „da, nimm, ſie iſt geladen und auch ſchon geſpannt!“ „O Dank, Dank, Dank!“ Ich er¬ greife die Waffe, lege an, ziele, drücke — ſie verſagt! Nicht plötzlicher Donnerſchlag, nicht Kanonenknall kann erſchrecken, wie dieß Ausbleiben eines Schalls, dieſer Nichtſchuß mich entſetzte.
Ich erwachte, fuhr auf, eiskalt rann es mir durch die Glieder, aber ſchnell wiech die tödtliche Kälte einer brennenden Fieberglut. Mir war, ich fühle mein Gehirn in ſeiner Höhle kochen. Mein linker Arm war noch ausgeſtreckt, als hielte er den Lauf des Geſchoßes, mein rechter gekrümmt und der Zeigefinger gebogen, als läge er noch am Drücker. Ein Krampf ſpannte mir alle Muskel auf die Folter. Als ich klarer zu mir kam, war mein ganzes Weſen nur Ein Sehnen, nur Ein Seufzer nach Ruhe, Stille, Kühlung. In dieſem Gefühle ſchlief ich wieder ein. Der Traum nahm ſein Spiel wieder auf und knüpfte ſeinen Faden an den erſten Gang, loſe, wie er zu thun pflegt. Ich fand mich unterwegs aus der Stadt. Ich will
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hole ich dich, Schandfetzen, aus der Luft herunter!“ —
„Da, nimm!“ höre ich jetzt eine freundliche Stimme
mir über die Schulter ſagen, drehe mich um und in
rothem Hemde ſteht ein Mann vor mir mit den be¬
kannten Zügen Garibaldi's und reicht mir ein Gewehr,
doch war es auch wieder nicht Garibaldi, ſondern der
arme, treue Karl, der mir bei Kruſau ſterbend ſeine
Büchſe herbot; „da, nimm, ſie iſt geladen und auch
ſchon geſpannt!“ „O Dank, Dank, Dank!“ Ich er¬
greife die Waffe, lege an, ziele, drücke — ſie verſagt!
Nicht plötzlicher Donnerſchlag, nicht Kanonenknall kann
erſchrecken, wie dieß Ausbleiben eines Schalls, dieſer
Nichtſchuß mich entſetzte.
Ich erwachte, fuhr auf, eiskalt rann es mir durch
die Glieder, aber ſchnell wiech die tödtliche Kälte einer
brennenden Fieberglut. Mir war, ich fühle mein
Gehirn in ſeiner Höhle kochen. Mein linker Arm war
noch ausgeſtreckt, als hielte er den Lauf des Geſchoßes,
mein rechter gekrümmt und der Zeigefinger gebogen,
als läge er noch am Drücker. Ein Krampf ſpannte
mir alle Muskel auf die Folter. Als ich klarer zu
mir kam, war mein ganzes Weſen nur Ein Sehnen,
nur Ein Seufzer nach Ruhe, Stille, Kühlung. In
dieſem Gefühle ſchlief ich wieder ein. Der Traum
nahm ſein Spiel wieder auf und knüpfte ſeinen Faden
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/423>, abgerufen am 04.12.2024.
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