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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

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von viel zu langer Hand, mit dieser ungeheuren Pa¬
lette kann der religiöse Volkserzieher nicht malen, da
braucht es einen idealen Auszug, nämlich eben die
Mythen. Und so fallen denn die Armen in's Leere,
die über das mythisch illustrirte Christenthum hinaus
sind. Es liegt in der That so traurig, daß man
jammern möchte. Die alte Ehrfurcht sind sie los,
für eine neue können sie die Begründung nicht finden.
Moral ruht schlechterdings auf Religion, und da sie
mit der bunten Religion die reine wegwerfen, so werden
sie Lumpenhunde, lassen sich in den Wirbel der Hetz¬
jagd reißen, die jetzt los ist, der Hetzjagd nach dem
Glück, das keines ist. Ihnen sagt Niemand, zeigt
Niemand einfach aus dem innern Wesen der Seele
und aus dem Verhältniß der Einzelseele zur Seele der
Menschheit, das; und warum es keinem Menschen wohl
wird, außer im Guten. Sagt man es ihnen je, so
hängt man doch den Märchenkram wieder daran, den
sie nicht mehr ertragen, und so laufen sie weg.


Weiß der Himmel, wie sehr ich selbst mich oft
sehne, mir von einem guten Redner die ermattende
Seele aufrichten zu lassen, aber da schenkt uns ja
keiner den Farbenzusatz, von dem wir nichts mehr
wollen, der unserem erhellten Auge widersteht.


von viel zu langer Hand, mit dieſer ungeheuren Pa¬
lette kann der religiöſe Volkserzieher nicht malen, da
braucht es einen idealen Auszug, nämlich eben die
Mythen. Und ſo fallen denn die Armen in's Leere,
die über das mythiſch illuſtrirte Chriſtenthum hinaus
ſind. Es liegt in der That ſo traurig, daß man
jammern möchte. Die alte Ehrfurcht ſind ſie los,
für eine neue können ſie die Begründung nicht finden.
Moral ruht ſchlechterdings auf Religion, und da ſie
mit der bunten Religion die reine wegwerfen, ſo werden
ſie Lumpenhunde, laſſen ſich in den Wirbel der Hetz¬
jagd reißen, die jetzt los iſt, der Hetzjagd nach dem
Glück, das keines iſt. Ihnen ſagt Niemand, zeigt
Niemand einfach aus dem innern Weſen der Seele
und aus dem Verhältniß der Einzelſeele zur Seele der
Menſchheit, das; und warum es keinem Menſchen wohl
wird, außer im Guten. Sagt man es ihnen je, ſo
hängt man doch den Märchenkram wieder daran, den
ſie nicht mehr ertragen, und ſo laufen ſie weg.


Weiß der Himmel, wie ſehr ich ſelbſt mich oft
ſehne, mir von einem guten Redner die ermattende
Seele aufrichten zu laſſen, aber da ſchenkt uns ja
keiner den Farbenzuſatz, von dem wir nichts mehr
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[402/0415] von viel zu langer Hand, mit dieſer ungeheuren Pa¬ lette kann der religiöſe Volkserzieher nicht malen, da braucht es einen idealen Auszug, nämlich eben die Mythen. Und ſo fallen denn die Armen in's Leere, die über das mythiſch illuſtrirte Chriſtenthum hinaus ſind. Es liegt in der That ſo traurig, daß man jammern möchte. Die alte Ehrfurcht ſind ſie los, für eine neue können ſie die Begründung nicht finden. Moral ruht ſchlechterdings auf Religion, und da ſie mit der bunten Religion die reine wegwerfen, ſo werden ſie Lumpenhunde, laſſen ſich in den Wirbel der Hetz¬ jagd reißen, die jetzt los iſt, der Hetzjagd nach dem Glück, das keines iſt. Ihnen ſagt Niemand, zeigt Niemand einfach aus dem innern Weſen der Seele und aus dem Verhältniß der Einzelſeele zur Seele der Menſchheit, das; und warum es keinem Menſchen wohl wird, außer im Guten. Sagt man es ihnen je, ſo hängt man doch den Märchenkram wieder daran, den ſie nicht mehr ertragen, und ſo laufen ſie weg. Weiß der Himmel, wie ſehr ich ſelbſt mich oft ſehne, mir von einem guten Redner die ermattende Seele aufrichten zu laſſen, aber da ſchenkt uns ja keiner den Farbenzuſatz, von dem wir nichts mehr wollen, der unſerem erhellten Auge widerſteht.

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/415>, abgerufen am 04.12.2024.