zu deduziren! -- Die Alten haßten und verachteten die Christen darum am meisten, weil ihnen der Staat gleichgültig, ja Aergerniß war. Allerdings verwickelt sich das: den heidnischen Staat mußten die Christen freilich verabscheuen. Aber damit ist jene arge Lücke nicht hinwegdemonstrirt. Das Christenthum ist an sich eine apolitische Religion. Die Konsequenz haben wir heute noch: die Kirche leugnet den Staat und will den doch vorhandenen beherrschen. Da der Mensch ein handelndes Wesen und das Christenthum diesem Wesentlichen seiner Natur abgewendet ist, so hat sich ergeben, daß es endlich zu einem System von Hand¬ lungen wurde, die gegen das System des vernünftigen Handelns, den Staat, gerichtet sind.
Wie ist es nun mit der mythologischen Trübung? -- Ich nenne sie, diese Bilderwelt der Religion, kurz¬ weg Pigment. -- Dieß führt auf eine Betrachtung, die bei der reinen, verzweifelten Rathlosigkeit anlangt. Die Sache liegt schlechthin amphibolisch, antinomisch.
Für --: Ohne Pigment keine Religion -- denn Religion muß ja doch eine Gefühlsgemeinschaft sehr Vieler und ein Kultus sein. Es kann keine farblose Volksreligion geben. Die Andacht muß etwas zum Anreden haben, also vorgestellte übersinnliche Person, Personen und, zum Anschauen, Ansingen, auch That¬
zu deduziren! — Die Alten haßten und verachteten die Chriſten darum am meiſten, weil ihnen der Staat gleichgültig, ja Aergerniß war. Allerdings verwickelt ſich das: den heidniſchen Staat mußten die Chriſten freilich verabſcheuen. Aber damit iſt jene arge Lücke nicht hinwegdemonſtrirt. Das Chriſtenthum iſt an ſich eine apolitiſche Religion. Die Konſequenz haben wir heute noch: die Kirche leugnet den Staat und will den doch vorhandenen beherrſchen. Da der Menſch ein handelndes Weſen und das Chriſtenthum dieſem Weſentlichen ſeiner Natur abgewendet iſt, ſo hat ſich ergeben, daß es endlich zu einem Syſtem von Hand¬ lungen wurde, die gegen das Syſtem des vernünftigen Handelns, den Staat, gerichtet ſind.
Wie iſt es nun mit der mythologiſchen Trübung? — Ich nenne ſie, dieſe Bilderwelt der Religion, kurz¬ weg Pigment. — Dieß führt auf eine Betrachtung, die bei der reinen, verzweifelten Rathloſigkeit anlangt. Die Sache liegt ſchlechthin amphiboliſch, antinomiſch.
Für —: Ohne Pigment keine Religion — denn Religion muß ja doch eine Gefühlsgemeinſchaft ſehr Vieler und ein Kultus ſein. Es kann keine farbloſe Volksreligion geben. Die Andacht muß etwas zum Anreden haben, alſo vorgeſtellte überſinnliche Perſon, Perſonen und, zum Anſchauen, Anſingen, auch That¬
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zu deduziren! — Die Alten haßten und verachteten
die Chriſten darum am meiſten, weil ihnen der Staat
gleichgültig, ja Aergerniß war. Allerdings verwickelt
ſich das: den heidniſchen Staat mußten die Chriſten
freilich verabſcheuen. Aber damit iſt jene arge Lücke
nicht hinwegdemonſtrirt. Das Chriſtenthum iſt an ſich
eine apolitiſche Religion. Die Konſequenz haben wir
heute noch: die Kirche leugnet den Staat und will
den doch vorhandenen beherrſchen. Da der Menſch
ein handelndes Weſen und das Chriſtenthum dieſem
Weſentlichen ſeiner Natur abgewendet iſt, ſo hat ſich
ergeben, daß es endlich zu einem Syſtem von Hand¬
lungen wurde, die gegen das Syſtem des vernünftigen
Handelns, den Staat, gerichtet ſind.
Wie iſt es nun mit der mythologiſchen Trübung?
— Ich nenne ſie, dieſe Bilderwelt der Religion, kurz¬
weg Pigment. — Dieß führt auf eine Betrachtung,
die bei der reinen, verzweifelten Rathloſigkeit anlangt.
Die Sache liegt ſchlechthin amphiboliſch, antinomiſch.
Für —: Ohne Pigment keine Religion — denn
Religion muß ja doch eine Gefühlsgemeinſchaft ſehr
Vieler und ein Kultus ſein. Es kann keine farbloſe
Volksreligion geben. Die Andacht muß etwas zum
Anreden haben, alſo vorgeſtellte überſinnliche Perſon,
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/410>, abgerufen am 23.11.2024.
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