Märchen bringen und diese sagen, sie haben das auch und reichlicher. Durch die beigemischte Trübung wurde die neue Religion in die grundschiefe Lage der Kon¬ kurrenz mit dem Heidenthum gesetzt. Mit Mythologie konnte das auch aufwarten, und mit einer volleren, schöneren. Es ist wahr, die christlichen Götter hatten einen neuen Seelenblick und hoben dadurch dem ver¬ borgenen Sinne nach ihre Jenseitigkeit in Immanenz, hoben also ihre eigene Personifikation wieder auf. Aber diese Innigkeit verstand kein Römer, kein Syrier, kein Lydier, kein Aegypter, kein Grieche, und wenn: es war Niemand da, ihm den letzteren Sinn zu deuten.
Dazu noch etwas gar Fatales. Die neue Liebes¬ welt, die neue Religion, aufgegangen in einem unter¬ jochten Volk, wußte und wollte nichts von Staat, von öffentlichem Leben -- heute noch ein- für allemal ein ungeheurer Mangel des Christenthums. Wollen wir Bürgerpflichten daraus ableiten: es muß auf mühsamem Umweg künstlicher Argumentationen geschehen. Man denke zum Beispiel: zur Vorschule des Mannes für sein politisches Pflichtleben gehört Gymnastik. Dem Griechen sagte das auch ohne Wort der Gott am Ein¬ gang der Palästra. Wie höchst verzwungen aber sind Versuche, vom Christenthum aus so etwas als Pflicht
Märchen bringen und dieſe ſagen, ſie haben das auch und reichlicher. Durch die beigemiſchte Trübung wurde die neue Religion in die grundſchiefe Lage der Kon¬ kurrenz mit dem Heidenthum geſetzt. Mit Mythologie konnte das auch aufwarten, und mit einer volleren, ſchöneren. Es iſt wahr, die chriſtlichen Götter hatten einen neuen Seelenblick und hoben dadurch dem ver¬ borgenen Sinne nach ihre Jenſeitigkeit in Immanenz, hoben alſo ihre eigene Perſonifikation wieder auf. Aber dieſe Innigkeit verſtand kein Römer, kein Syrier, kein Lydier, kein Aegypter, kein Grieche, und wenn: es war Niemand da, ihm den letzteren Sinn zu deuten.
Dazu noch etwas gar Fatales. Die neue Liebes¬ welt, die neue Religion, aufgegangen in einem unter¬ jochten Volk, wußte und wollte nichts von Staat, von öffentlichem Leben — heute noch ein- für allemal ein ungeheurer Mangel des Chriſtenthums. Wollen wir Bürgerpflichten daraus ableiten: es muß auf mühſamem Umweg künſtlicher Argumentationen geſchehen. Man denke zum Beiſpiel: zur Vorſchule des Mannes für ſein politiſches Pflichtleben gehört Gymnaſtik. Dem Griechen ſagte das auch ohne Wort der Gott am Ein¬ gang der Paläſtra. Wie höchſt verzwungen aber ſind Verſuche, vom Chriſtenthum aus ſo etwas als Pflicht
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Märchen bringen und dieſe ſagen, ſie haben das auch
und reichlicher. Durch die beigemiſchte Trübung wurde
die neue Religion in die grundſchiefe Lage der Kon¬
kurrenz mit dem Heidenthum geſetzt. Mit Mythologie
konnte das auch aufwarten, und mit einer volleren,
ſchöneren. Es iſt wahr, die chriſtlichen Götter hatten
einen neuen Seelenblick und hoben dadurch dem ver¬
borgenen Sinne nach ihre Jenſeitigkeit in Immanenz,
hoben alſo ihre eigene Perſonifikation wieder auf.
Aber dieſe Innigkeit verſtand kein Römer, kein
Syrier, kein Lydier, kein Aegypter, kein Grieche,
und wenn: es war Niemand da, ihm den letzteren
Sinn zu deuten.
Dazu noch etwas gar Fatales. Die neue Liebes¬
welt, die neue Religion, aufgegangen in einem unter¬
jochten Volk, wußte und wollte nichts von Staat, von
öffentlichem Leben — heute noch ein- für allemal ein
ungeheurer Mangel des Chriſtenthums. Wollen wir
Bürgerpflichten daraus ableiten: es muß auf mühſamem
Umweg künſtlicher Argumentationen geſchehen. Man
denke zum Beiſpiel: zur Vorſchule des Mannes für
ſein politiſches Pflichtleben gehört Gymnaſtik. Dem
Griechen ſagte das auch ohne Wort der Gott am Ein¬
gang der Paläſtra. Wie höchſt verzwungen aber ſind
Verſuche, vom Chriſtenthum aus ſo etwas als Pflicht
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/409>, abgerufen am 12.12.2024.
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