Salerno. Lang dem Meer zugehört im Bett. Tempo: stilleres, feierliches Rauschen, dann anschwellen zu Donnerton. Erzählte viel von Völkern, Griechen, Römern, Karthagern, Longobarden, Normannen, Sara¬ zenen; sah die Roßschweife wallen, hörte ihr Allah il Allah! -- Aber was raunst du mir, was rufst du mir? Darf ich bald hin in's ewig Große?
Oder kommt mir noch ein Großes hier auf diesem geballten Weltstoff? Darf ich's noch erleben und dann zerschäumen wie die Woge? -- Darf ich, -- wag' ich's, zu hoffen? -- mein Vaterland noch groß sehen? -- Wohin mich die Wanderschritte tragen, von Deutsch¬ land ist wie von einem Nichts die Rede. Jetzt zwar Respekt vor Preußen. Gestern Abend wieder im Gast¬ hof: Signore e Prussiano? Hab' der Wahrheit die Ehre gegeben: "nein", und dann, als ich mein Ländchen nannte, giengen den Herren alle Begriffe aus. -- Nach Pestum. Schwere, dunkelgraue Wolkenwand, darunter der Himmel offen, feuchtfett, giftig schwefel¬ gelb glühend. Dunkel auf diesen Hintergrund gesetzt die alterbraunen Tempel, voran die stämmigen Säulen des Neptuntempels mit den breit ausgeladenen Wülsten. Da malt sie der Himmel hin, die Elegie des Völker¬ schicksals. -- Bin doch plötzlich wieder aufgebrochen, es gieng zu tief jetzt, jetzt, da ich horche, wann die
Salerno. Lang dem Meer zugehört im Bett. Tempo: ſtilleres, feierliches Rauſchen, dann anſchwellen zu Donnerton. Erzählte viel von Völkern, Griechen, Römern, Karthagern, Longobarden, Normannen, Sara¬ zenen; ſah die Roßſchweife wallen, hörte ihr Allah il Allah! — Aber was raunſt du mir, was rufſt du mir? Darf ich bald hin in's ewig Große?
Oder kommt mir noch ein Großes hier auf dieſem geballten Weltſtoff? Darf ich's noch erleben und dann zerſchäumen wie die Woge? — Darf ich, — wag' ich's, zu hoffen? — mein Vaterland noch groß ſehen? — Wohin mich die Wanderſchritte tragen, von Deutſch¬ land iſt wie von einem Nichts die Rede. Jetzt zwar Reſpekt vor Preußen. Geſtern Abend wieder im Gaſt¬ hof: Signore è Prussiano? Hab' der Wahrheit die Ehre gegeben: „nein“, und dann, als ich mein Ländchen nannte, giengen den Herren alle Begriffe aus. — Nach Peſtum. Schwere, dunkelgraue Wolkenwand, darunter der Himmel offen, feuchtfett, giftig ſchwefel¬ gelb glühend. Dunkel auf dieſen Hintergrund geſetzt die alterbraunen Tempel, voran die ſtämmigen Säulen des Neptuntempels mit den breit ausgeladenen Wülſten. Da malt ſie der Himmel hin, die Elegie des Völker¬ ſchickſals. — Bin doch plötzlich wieder aufgebrochen, es gieng zu tief jetzt, jetzt, da ich horche, wann die
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Salerno. Lang dem Meer zugehört im Bett.
Tempo: ſtilleres, feierliches Rauſchen, dann anſchwellen
zu Donnerton. Erzählte viel von Völkern, Griechen,
Römern, Karthagern, Longobarden, Normannen, Sara¬
zenen; ſah die Roßſchweife wallen, hörte ihr Allah il
Allah! — Aber was raunſt du mir, was rufſt
du mir? Darf ich bald hin in's ewig Große?
Oder kommt mir noch ein Großes hier auf dieſem
geballten Weltſtoff? Darf ich's noch erleben und dann
zerſchäumen wie die Woge? — Darf ich, — wag'
ich's, zu hoffen? — mein Vaterland noch groß ſehen?
— Wohin mich die Wanderſchritte tragen, von Deutſch¬
land iſt wie von einem Nichts die Rede. Jetzt zwar
Reſpekt vor Preußen. Geſtern Abend wieder im Gaſt¬
hof: Signore è Prussiano? Hab' der Wahrheit die
Ehre gegeben: „nein“, und dann, als ich mein Ländchen
nannte, giengen den Herren alle Begriffe aus. —
Nach Peſtum. Schwere, dunkelgraue Wolkenwand,
darunter der Himmel offen, feuchtfett, giftig ſchwefel¬
gelb glühend. Dunkel auf dieſen Hintergrund geſetzt
die alterbraunen Tempel, voran die ſtämmigen Säulen
des Neptuntempels mit den breit ausgeladenen Wülſten.
Da malt ſie der Himmel hin, die Elegie des Völker¬
ſchickſals. — Bin doch plötzlich wieder aufgebrochen,
es gieng zu tief jetzt, jetzt, da ich horche, wann die
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/404>, abgerufen am 23.11.2024.
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