nachher so erzählt: Nach einiger Zeit schlug der Kranke die Augen auf, schien mit Verwundern sich in dieser Lage und den Arzt neben sich zu sehen, besann sich eine Weile und nickte dann wie Einer, dem Ent¬ schwundenes zum Bewußtsein kommt. Er fühlte an seine Hüfte, nickte noch einmal, nahm dann nach einer neuen Pause die Hand des Arztes und sagte: ,Doktor, eine Gewissensfrage: ,Ist anzunehmen, daß ich noch einen kriege?' Der Doktor war in kurzem Kampfe mit sich, erwiderte dann ruhig den festen, wartenden Blick des Kranken und sagte: ,Kaum.' -- ,Ich danke,' versetzte dieser und zog die Glocke.
"Wir waren indessen schweigend, in tödtlicher Span¬ nung im Nebenzimmer gestanden, traten jetzt leise hinein, A. E. sah uns der Reihe nach freundlich an und sagte dann mit schwacher Stimme, aber in ganz warmhellem Tone: ,Freut euch mit mir, ich kriege keinen mehr, ich weiß es vom Doktor da! Ich darf anständig sterben. Es ist doch so auf eine Art, wie wenn ich im Kriege gefallen wäre.' Der Arzt wider¬ sprach nicht. Der Kranke fiel wieder in Schlummer. ,Warum sollte ich es ihm verschweigen?' flüsterte nun jener uns zu, ,er ist ein Mann; wir müssen uns gefaßt halten, er ist unrettbar, jede weitere Behand¬ lung seiner Wunde würde nur die Qual vermehren; er wird den Tag nicht überleben.' Wieder erwacht, gab A. E. ein Zeichen, daß er ein Wort mit mir
nachher ſo erzählt: Nach einiger Zeit ſchlug der Kranke die Augen auf, ſchien mit Verwundern ſich in dieſer Lage und den Arzt neben ſich zu ſehen, beſann ſich eine Weile und nickte dann wie Einer, dem Ent¬ ſchwundenes zum Bewußtſein kommt. Er fühlte an ſeine Hüfte, nickte noch einmal, nahm dann nach einer neuen Pauſe die Hand des Arztes und ſagte: ‚Doktor, eine Gewiſſensfrage: ‚Iſt anzunehmen, daß ich noch einen kriege?' Der Doktor war in kurzem Kampfe mit ſich, erwiderte dann ruhig den feſten, wartenden Blick des Kranken und ſagte: ‚Kaum.' — ‚Ich danke,' verſetzte dieſer und zog die Glocke.
„Wir waren indeſſen ſchweigend, in tödtlicher Span¬ nung im Nebenzimmer geſtanden, traten jetzt leiſe hinein, A. E. ſah uns der Reihe nach freundlich an und ſagte dann mit ſchwacher Stimme, aber in ganz warmhellem Tone: ‚Freut euch mit mir, ich kriege keinen mehr, ich weiß es vom Doktor da! Ich darf anſtändig ſterben. Es iſt doch ſo auf eine Art, wie wenn ich im Kriege gefallen wäre.‘ Der Arzt wider¬ ſprach nicht. Der Kranke fiel wieder in Schlummer. ‚Warum ſollte ich es ihm verſchweigen?‘ flüſterte nun jener uns zu, ‚er iſt ein Mann; wir müſſen uns gefaßt halten, er iſt unrettbar, jede weitere Behand¬ lung ſeiner Wunde würde nur die Qual vermehren; er wird den Tag nicht überleben.‘ Wieder erwacht, gab A. E. ein Zeichen, daß er ein Wort mit mir
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nachher ſo erzählt: Nach einiger Zeit ſchlug der Kranke
die Augen auf, ſchien mit Verwundern ſich in dieſer
Lage und den Arzt neben ſich zu ſehen, beſann ſich
eine Weile und nickte dann wie Einer, dem Ent¬
ſchwundenes zum Bewußtſein kommt. Er fühlte an
ſeine Hüfte, nickte noch einmal, nahm dann nach einer
neuen Pauſe die Hand des Arztes und ſagte: ‚Doktor,
eine Gewiſſensfrage: ‚Iſt anzunehmen, daß ich noch einen
kriege?' Der Doktor war in kurzem Kampfe mit ſich,
erwiderte dann ruhig den feſten, wartenden Blick des
Kranken und ſagte: ‚Kaum.' — ‚Ich danke,' verſetzte
dieſer und zog die Glocke.
„Wir waren indeſſen ſchweigend, in tödtlicher Span¬
nung im Nebenzimmer geſtanden, traten jetzt leiſe
hinein, A. E. ſah uns der Reihe nach freundlich an
und ſagte dann mit ſchwacher Stimme, aber in ganz
warmhellem Tone: ‚Freut euch mit mir, ich kriege
keinen mehr, ich weiß es vom Doktor da! Ich darf
anſtändig ſterben. Es iſt doch ſo auf eine Art, wie
wenn ich im Kriege gefallen wäre.‘ Der Arzt wider¬
ſprach nicht. Der Kranke fiel wieder in Schlummer.
‚Warum ſollte ich es ihm verſchweigen?‘ flüſterte nun
jener uns zu, ‚er iſt ein Mann; wir müſſen uns
gefaßt halten, er iſt unrettbar, jede weitere Behand¬
lung ſeiner Wunde würde nur die Qual vermehren;
er wird den Tag nicht überleben.‘ Wieder erwacht,
gab A. E. ein Zeichen, daß er ein Wort mit mir
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/36>, abgerufen am 21.11.2024.
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