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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

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Mund. Es soll bekanntlich hinter den Zähnen ge¬
halten werden, bis es warm ist, um den Mund aus¬
zuspülen, sonst verschlägt es sie. Vergiß, ein Gefäß
aufzustellen, wohin du das Wasser ausspucken kannst.
Laß den Diener entfernt sein, der einen Besuch in's
Wartezimmer führen könnte. -- In kurzer Zeit wird
es klopfen. Der Mensch draußen hört dich zappeln,
begreift nicht, klopft und klopft. -- O, ich habe Einen
gekannt, sehr gebildet, sehr manierlich, der rieß in der
Verzweiflung die Thür auf und sprudelte dem un¬
seligen Besucher die Bescherung in's Gesicht, -- be¬
reut innig den schmachvollen Wahnsinn -- doch gab
es ein Duell; glücklicherweise ohne Blut abgelaufen.


Ich mag es anfangen wie ich will, es vergeht
keine Woche, ohne daß ich einen oder mehrere Fehler
mache. Und das beim redlichsten Bemühen, es recht
zu machen. Ganz blind. Hintennach, meistens erst
spät, gehen mir dann die Augen auf und senkt sich
mir die Einsicht mit solcher Centnerlast auf die Seele,
daß ich, allein in meinem Zimmer, ja auch mitten auf
der Straße, laut hinausschreien muß, nur irgend einen
Laut bellen, nur um mich etwas zu entlasten. Da
meinen dann die Leute, ich sei verrückt, und muß ich
mich vor meinem Bedienten schämen, wenn er im an¬
stoßenden Raum ist, oder froh sein, wenn gerade

Vischer, Auch Einer. II. 21

Mund. Es ſoll bekanntlich hinter den Zähnen ge¬
halten werden, bis es warm iſt, um den Mund aus¬
zuſpülen, ſonſt verſchlägt es ſie. Vergiß, ein Gefäß
aufzuſtellen, wohin du das Waſſer ausſpucken kannſt.
Laß den Diener entfernt ſein, der einen Beſuch in's
Wartezimmer führen könnte. — In kurzer Zeit wird
es klopfen. Der Menſch draußen hört dich zappeln,
begreift nicht, klopft und klopft. — O, ich habe Einen
gekannt, ſehr gebildet, ſehr manierlich, der rieß in der
Verzweiflung die Thür auf und ſprudelte dem un¬
ſeligen Beſucher die Beſcherung in's Geſicht, — be¬
reut innig den ſchmachvollen Wahnſinn — doch gab
es ein Duell; glücklicherweiſe ohne Blut abgelaufen.


Ich mag es anfangen wie ich will, es vergeht
keine Woche, ohne daß ich einen oder mehrere Fehler
mache. Und das beim redlichſten Bemühen, es recht
zu machen. Ganz blind. Hintennach, meiſtens erſt
ſpät, gehen mir dann die Augen auf und ſenkt ſich
mir die Einſicht mit ſolcher Centnerlaſt auf die Seele,
daß ich, allein in meinem Zimmer, ja auch mitten auf
der Straße, laut hinausſchreien muß, nur irgend einen
Laut bellen, nur um mich etwas zu entlaſten. Da
meinen dann die Leute, ich ſei verrückt, und muß ich
mich vor meinem Bedienten ſchämen, wenn er im an¬
ſtoßenden Raum iſt, oder froh ſein, wenn gerade

Viſcher, Auch Einer. II. 21
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[321/0334] Mund. Es ſoll bekanntlich hinter den Zähnen ge¬ halten werden, bis es warm iſt, um den Mund aus¬ zuſpülen, ſonſt verſchlägt es ſie. Vergiß, ein Gefäß aufzuſtellen, wohin du das Waſſer ausſpucken kannſt. Laß den Diener entfernt ſein, der einen Beſuch in's Wartezimmer führen könnte. — In kurzer Zeit wird es klopfen. Der Menſch draußen hört dich zappeln, begreift nicht, klopft und klopft. — O, ich habe Einen gekannt, ſehr gebildet, ſehr manierlich, der rieß in der Verzweiflung die Thür auf und ſprudelte dem un¬ ſeligen Beſucher die Beſcherung in's Geſicht, — be¬ reut innig den ſchmachvollen Wahnſinn — doch gab es ein Duell; glücklicherweiſe ohne Blut abgelaufen. Ich mag es anfangen wie ich will, es vergeht keine Woche, ohne daß ich einen oder mehrere Fehler mache. Und das beim redlichſten Bemühen, es recht zu machen. Ganz blind. Hintennach, meiſtens erſt ſpät, gehen mir dann die Augen auf und ſenkt ſich mir die Einſicht mit ſolcher Centnerlaſt auf die Seele, daß ich, allein in meinem Zimmer, ja auch mitten auf der Straße, laut hinausſchreien muß, nur irgend einen Laut bellen, nur um mich etwas zu entlaſten. Da meinen dann die Leute, ich ſei verrückt, und muß ich mich vor meinem Bedienten ſchämen, wenn er im an¬ ſtoßenden Raum iſt, oder froh ſein, wenn gerade Viſcher, Auch Einer. II. 21

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/334>, abgerufen am 24.11.2024.