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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879.

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Das Leben ist eine Fußreise mit einem Dorn oder
Nagel im Stiefel. Felsen, Berge, Schluchten, Flüsse,
Löcher, Sonnenglut, Frost, Unwetter, Räuber, Feinde,
Wunden, damit müssen wir kämpfen, das will be¬
standen sein, dazu haben wir die Willenskraft. Aber
der Nagel im Stiefel: das ist die Zugabe, kommt
außerdem und überdieß dazu, und für den Nagel
bleibt dem Manne, der mit den großen Uebeln redlich
ringt, keine Geduld übrig. Haben denn die Menschen
Zinkblech statt Haut an den Fußsohlen, daß mich darin
Niemand verstehen will? -- Oder auch: das Leben ist
eine Schublade, die nicht geht, stockt, staut, spannt --


In meiner Arbeit mag ich oft einen Haufen
Papier, wo ich nothwendig etwas herauszunehmen
hätte, stundenlang nicht anrühren, weil ich weiß, beim
ersten Griff fährt der helle Teufel hinein, Alles schlüpft,
klebt oder entwischt, -- was nicht mit soll, geht
mit, was mit soll, geht vom Andern nicht los, die
Feder fliegt zu Boden und spießt sich in's Holz, daß
ich eine halbe Stunde brauche, eine neue zu schneiden,
-- der vollendete Pöbelaufruhr. --


Lang, lang nicht unter die Leute gegangen --
was soll mir -- ? Frau Hedwig treibt -- hat wohl

Das Leben iſt eine Fußreiſe mit einem Dorn oder
Nagel im Stiefel. Felſen, Berge, Schluchten, Flüſſe,
Löcher, Sonnenglut, Froſt, Unwetter, Räuber, Feinde,
Wunden, damit müſſen wir kämpfen, das will be¬
ſtanden ſein, dazu haben wir die Willenskraft. Aber
der Nagel im Stiefel: das iſt die Zugabe, kommt
außerdem und überdieß dazu, und für den Nagel
bleibt dem Manne, der mit den großen Uebeln redlich
ringt, keine Geduld übrig. Haben denn die Menſchen
Zinkblech ſtatt Haut an den Fußſohlen, daß mich darin
Niemand verſtehen will? — Oder auch: das Leben iſt
eine Schublade, die nicht geht, ſtockt, ſtaut, ſpannt —


In meiner Arbeit mag ich oft einen Haufen
Papier, wo ich nothwendig etwas herauszunehmen
hätte, ſtundenlang nicht anrühren, weil ich weiß, beim
erſten Griff fährt der helle Teufel hinein, Alles ſchlüpft,
klebt oder entwiſcht, — was nicht mit ſoll, geht
mit, was mit ſoll, geht vom Andern nicht los, die
Feder fliegt zu Boden und ſpießt ſich in's Holz, daß
ich eine halbe Stunde brauche, eine neue zu ſchneiden,
— der vollendete Pöbelaufruhr. —


Lang, lang nicht unter die Leute gegangen —
was ſoll mir — ? Frau Hedwig treibt — hat wohl

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[315/0328] Das Leben iſt eine Fußreiſe mit einem Dorn oder Nagel im Stiefel. Felſen, Berge, Schluchten, Flüſſe, Löcher, Sonnenglut, Froſt, Unwetter, Räuber, Feinde, Wunden, damit müſſen wir kämpfen, das will be¬ ſtanden ſein, dazu haben wir die Willenskraft. Aber der Nagel im Stiefel: das iſt die Zugabe, kommt außerdem und überdieß dazu, und für den Nagel bleibt dem Manne, der mit den großen Uebeln redlich ringt, keine Geduld übrig. Haben denn die Menſchen Zinkblech ſtatt Haut an den Fußſohlen, daß mich darin Niemand verſtehen will? — Oder auch: das Leben iſt eine Schublade, die nicht geht, ſtockt, ſtaut, ſpannt — In meiner Arbeit mag ich oft einen Haufen Papier, wo ich nothwendig etwas herauszunehmen hätte, ſtundenlang nicht anrühren, weil ich weiß, beim erſten Griff fährt der helle Teufel hinein, Alles ſchlüpft, klebt oder entwiſcht, — was nicht mit ſoll, geht mit, was mit ſoll, geht vom Andern nicht los, die Feder fliegt zu Boden und ſpießt ſich in's Holz, daß ich eine halbe Stunde brauche, eine neue zu ſchneiden, — der vollendete Pöbelaufruhr. — Lang, lang nicht unter die Leute gegangen — was ſoll mir — ? Frau Hedwig treibt — hat wohl

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/328>, abgerufen am 24.11.2024.