schäme, statt mich für ihn zu schämen; mir ist, als hätte ich das Unrecht ihm gethan. Anders, wenn es in meiner Macht liegt, ihn zu strafen; ist dieß voll¬ zogen, so bin ich wieder leicht und frei und verzeihe mir, will sagen: ihm, gern und ganz das Verübte. Denn ich strafe eigentlich ungern, wiewohl scharf.
Briefe ohne besondern Inhalt lasse ich nun Frau Hedwig ganz selber komponiren und unterzeiche nur. Aber solche, die ich selbst abfassen muß, da ist eben die alte Noth. O, wie schwer ist ein Brief! Gerade auch an Freunde! -- Man meint: da darfst du dich ja gehen lassen, es ist ja doch fast wie gesprochen, ist ja kein Aufsatz, kein Amtsschreiben. Aber was Schwarz auf Weiß dasteht, ist eben ein ander Ding als das Gesprochene: hier ist der Ton der Stimme, Blick, Mienenspiel dabei und bringt zu einem scharfen Wort, einem stark gesalzenen Spaß die erklärende, versöhnende Begleitung, während die schwarzen Haken auf dem Papier abstrakt dastehen und am Leser herumkratzen. Das mag der Teufel lernen, sich gehen lassen und zugleich nicht gehen lassen, einen Besuch machen in Hemdärmeln und doch im wohlgebürsteten und ge¬ knöpften Rock! -- Zehnmal lieber ein neues Polizei¬ gesetz verfassen oder hundert Paragraphen eines philo¬ sophischen Lehrbuchs in Lapidarstyl! Ich schreibe auch
ſchäme, ſtatt mich für ihn zu ſchämen; mir iſt, als hätte ich das Unrecht ihm gethan. Anders, wenn es in meiner Macht liegt, ihn zu ſtrafen; iſt dieß voll¬ zogen, ſo bin ich wieder leicht und frei und verzeihe mir, will ſagen: ihm, gern und ganz das Verübte. Denn ich ſtrafe eigentlich ungern, wiewohl ſcharf.
Briefe ohne beſondern Inhalt laſſe ich nun Frau Hedwig ganz ſelber komponiren und unterzeiche nur. Aber ſolche, die ich ſelbſt abfaſſen muß, da iſt eben die alte Noth. O, wie ſchwer iſt ein Brief! Gerade auch an Freunde! — Man meint: da darfſt du dich ja gehen laſſen, es iſt ja doch faſt wie geſprochen, iſt ja kein Aufſatz, kein Amtsſchreiben. Aber was Schwarz auf Weiß daſteht, iſt eben ein ander Ding als das Geſprochene: hier iſt der Ton der Stimme, Blick, Mienenſpiel dabei und bringt zu einem ſcharfen Wort, einem ſtark geſalzenen Spaß die erklärende, verſöhnende Begleitung, während die ſchwarzen Haken auf dem Papier abſtrakt daſtehen und am Leſer herumkratzen. Das mag der Teufel lernen, ſich gehen laſſen und zugleich nicht gehen laſſen, einen Beſuch machen in Hemdärmeln und doch im wohlgebürſteten und ge¬ knöpften Rock! — Zehnmal lieber ein neues Polizei¬ geſetz verfaſſen oder hundert Paragraphen eines philo¬ ſophiſchen Lehrbuchs in Lapidarſtyl! Ich ſchreibe auch
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ſchäme, ſtatt mich für ihn zu ſchämen; mir iſt, als
hätte ich das Unrecht ihm gethan. Anders, wenn es
in meiner Macht liegt, ihn zu ſtrafen; iſt dieß voll¬
zogen, ſo bin ich wieder leicht und frei und verzeihe
mir, will ſagen: ihm, gern und ganz das Verübte.
Denn ich ſtrafe eigentlich ungern, wiewohl ſcharf.
Briefe ohne beſondern Inhalt laſſe ich nun Frau
Hedwig ganz ſelber komponiren und unterzeiche nur.
Aber ſolche, die ich ſelbſt abfaſſen muß, da iſt eben
die alte Noth. O, wie ſchwer iſt ein Brief! Gerade
auch an Freunde! — Man meint: da darfſt du dich
ja gehen laſſen, es iſt ja doch faſt wie geſprochen, iſt
ja kein Aufſatz, kein Amtsſchreiben. Aber was Schwarz
auf Weiß daſteht, iſt eben ein ander Ding als das
Geſprochene: hier iſt der Ton der Stimme, Blick,
Mienenſpiel dabei und bringt zu einem ſcharfen Wort,
einem ſtark geſalzenen Spaß die erklärende, verſöhnende
Begleitung, während die ſchwarzen Haken auf dem
Papier abſtrakt daſtehen und am Leſer herumkratzen.
Das mag der Teufel lernen, ſich gehen laſſen und
zugleich nicht gehen laſſen, einen Beſuch machen in
Hemdärmeln und doch im wohlgebürſteten und ge¬
knöpften Rock! — Zehnmal lieber ein neues Polizei¬
geſetz verfaſſen oder hundert Paragraphen eines philo¬
ſophiſchen Lehrbuchs in Lapidarſtyl! Ich ſchreibe auch
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1879, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch02_1879/316>, abgerufen am 28.11.2024.
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